Im Seeburgpark steht in diesem Sommer eine strahlend weiße Akropolis. Darauf, darin, davor geht es ums Eingemachte. Sex und Frieden. Denn Leopold Huber hat sich für sein See-Burgtheater ein antikes „Make love not war“ vorgenommen, übrigens weit vor den Ereignissen in der Ukraine: die Komödie „Lysistrata – Streik der Frauen“ des griechischen Autors Aristophanes.
Und um es gleich zu sagen: Im Lauf dieser Inszenierung geht nicht nur ein trojanisches Pferd, sondern gleich ein ganzer Stall voller Theater-Gäule mit dem Ensemble durch.

Doch der Reihe nach. Der Plot an sich ist rasch erzählt. Die Frauen von Athen und Sparta verbünden sich und erpressen ihre kriegerischen Männer durch einen Sex-Streik – und nicht zu vergessen den Raub der Kriegskasse – zum Frieden.
Die Frauen sind erfolgreich, die Männer brechen bereits nach kurzer Zeit unter der Last ihrer Erektionen zusammen und fügen sich. Soweit, so, ja genau, verwunderlich. Denn dass vor annähernd 2400 Jahren ein Mensch dieses Theaterstück mit all seinem durchaus derben Witz aufgeschrieben hat, das verblüfft dann doch immer wieder.

Und der Stoff ist zugegebenermaßen eine Steilvorlage, zumal wenn man eine so spielfreudige Truppe und einen Regisseur wie Giuseppe Spina zusammenbringt: Sophie Arbeiter in der Titelrolle, flankiert von den Mitstreiterinnen Maria R. Sautter (Myrrhine), Moria Albertalli (Kalonike), Johanna Köster (Lampito) und Astrid Keller (Stratyllis) sowie auf der „gegnerischen“ Seite Axel Julius Fündeling (Ratsherr), Lucca Kleimann (Kinesias) und Ralf Beckord als herrlich komischer Thespis. Dazu ein wuseliges Chor-Getümmel.

In Kreuzlingen entsteht aus dieser Mischung eine Revue, die Elemente von Monty Python (man kann gar nicht genüg blödeln), „Asterix und Obelix“ (Männer in Rock und Sandalen ziehen grundsätzlich den Kürzeren) und „Mamma Mia“ (schnell noch ein Schlager) zu einem Spektakel vereint, in dem man schon mal das Gemüse im Schritt oder den E-Scooter unter der Legionärs-Schlappe hat.
Klamauk jedenfalls in einer solchen Reinform, dass man sich am Ende, analog zum geschlagenen Ratsherrn, fragt, ob der Satz „Ein Staatsmann sollte niemals nüchtern sein“ nicht doch auch abgewandelt auf Theaterbesucher angewendet werden sollte.
Denn natürlich versieht Spina mit Dramaturgin Anja Schmitter das Stück mit formaler Ironie und zeitgemäßem Text. Sie packen die antiken Elemente beim Schopf und lassen dabei keinen Kalauer aus, der irgend etwas mit Schwellkörpern und Stehvermögen zu tun haben könnte, schließlich kennt ja auch das Original nur wenig Manschetten.

In schönster Sandalen-Film-Optik stehen sie dann da (Kostüme: Joachim Steiner), die Schauspieler und Schauspielerinnen und nehmen hemmungslos Geschlechter-Klischees auf die Schippe: Apéro-Damenkränzchen, Schuhkauf, Hausarbeit, Männer-Hygiene.
Außerdem geht es ganz zeitgeistig um Lieferketten, Feedback-Kultur und die „Taktik-Besprechung“ im „Strategie-Zelt“. Über allem die an sich schlüssige Bedingung „no peace, no pussy“. Und ja, das ist saukomisch – aber in all seiner fast schon nostalgisch anmutenden, stereotypen und manchmal auch ein bisschen bodenlosen Mann-Frau-Kabbelei manchmal zu viel. Die Gürtellinie hängt ziemlich tief an diesem herrlichen Premierenabend.
Aber genau dann, wenn man gerade die Stirn runzelt und sich fragt, ob der eben gesehene Ständer-Gag auch noch sein musste, fangen sie ja auch schon wieder an zu singen in ihren blauen und roten Togen, mit ihren Schlappen und Perücken vor dieser unglaublichen Kulisse (Musik: Philippe Frey, Bühnenbild: Damian Hitz): „You can leave your hat on“, „Gimme gimme gimme“, „You give me fever“, ein famoses „Sie ist weg“ oder gar Schuberts „Nur wer die Sehnsucht kennt“.

Begleitet werden Chor und Solisten von Harfenistin Viviane Nüscheler, die in ihrem pseudo-antiken Erker den Hits den richtigen Swing gibt und die Harfe aus dem Orchestergraben in den Schlagerhimmel holt. Eine echte Entdeckung. Und auch das Ensemble ist musikalisch absolut auf Zack und beweist Revue-Talent.
Denn Spina und Choreografin Robina Steyer verlangen den Beteiligten ein enormes Tempo ab: Da fliegen die Wortwechsel und schlüpfrigen Wortspiele, da wird im Chor unisono gesprochen, gesungen, getanzt, gekämpft, und dieser Wechsel, diese so schwierige Leichtigkeit scheint dem Ensemble mühelos von der Hand zu gehen.
Sie platzen nachgerade vor lauter Lust am Spiel, ach ja, und vor Lust überhaupt. Höhepunkt der zeitgeistigen Blödelei im antiken Gewand: das Ikea-Pferd „Troja“ samt Aufbauplan.
Es gelingt sogar, Momente des Ernstes einzubauen: Lucca Kleimann gibt als Kinesias den Anti-Kriegs-Song „I ain‘t marching anymore“ mit neuem, auf die aktuelle Kriegs-Situation bezogenen Text. Er singt ihn klar, eindringlich und erhält bei der Premiere spontanen Szenen-Applaus.
Und der ungeheuer präsenten Sophie Arbeiter gehört als Lysistrata das Schlusswort, bevor das Premierenpublikum in lauer Sommernacht dann tosend applaudiert: eine Hommage an die Frauen in Kriegszeiten.
Hingegen eher vom politisch-korrekten Bemühen getragen sind die inklusiv-diversen Regenbogenfahnen und -lichter samt eigens eingeflochtenem Diversitäts-Appell. Die gute Absicht wirkt in einem sozusagen brachial-binären Spiel dann doch ein wenig aufgesetzt.
Was auf der Bühne bleibt, ist Syrtaki und der Sieg der Liebe, ansonsten auf dem Nachhauseweg die vage Ahnung, dass dieser schöne, 2400 Jahre alte Plan wohl schon deswegen nicht aufgehen wird, weil die Kriegstreiber dieser Welt vermutlich so lustfeindlich wie humorlos sind.
Kommende Vorstellungen: 20.-23. Juli sowie 26.-30. Juli und 2.-6. August, täglich um 20.30 Uhr. Weitere Informationen: www.see-burgtheater.ch