Im vergangenen Jahr haben Sie kein einziges Konzert vor Publikum gespielt. Ihr Kollege Michi Beck sagte: Das Jahr bestand aus Tiefen und Tiefen. Mit welchen Gedanken und Gefühlen schauen Sie auf 2020 zurück?
Mein unerschütterlicher Optimismus ist getrübt. Es ist meine erste Pandemie. Ich weiß nicht genau, wie es weitergeht. Große Sprünge erwarte ich jedenfalls nicht.
Wie lange befanden Sie sich in Schockstarre, als der erste Lockdown im März losging?
Am Anfang war mir das Ausmaß der Folgen natürlich nicht bewusst. Ich dachte, vielleicht müssen wir ein paar Konzerte verschieben – und dann geht es normal weiter. Ich kann mich gut erinnern, wie ich mit meinem Fliegerkameraden Steve Schwenkglens, der in Hamburg Geschäftsführer der Barclaycard Arena ist, über seine Einschätzung gesprochen habe – er war wie die meisten optimistisch.
Dann hat die Pandemie die Branche rechts überholt. Schockstarre würde ich als Wort für mich allerdings nicht verwenden. Mein Leben besteht nicht nur aus der Band – es gibt für mich in jedem Lebensbereich Herausforderungen.
Richtig niedergeschlagen bin ich nicht. Hin und wieder kommt der Coronablues, aber das ist im Augenblick eine Variante des Winterblues. Aber wenn man ein ganzes Jahr lang nicht auf der Bühne steht, fragt man sich als Bühnenkünstler schon, wer man eigentlich ist.
Ende November haben Sie eine Corona-App namens „Luca“ vorgestellt. Dass eine Band, die nicht auftreten darf, selbst für eine technische Innovation in der Pandemiebekämpfung sorgt, ist ungewöhnlich. Warum haben Sie das selbst in die Hand genommen?
Über einen gemeinsamen Bekannten haben wir die Firma Nexenio in Berlin kennengelernt, die mit uns über digitale Lösungen sprach, was Konzerte angeht. Die Pandemiesituation hat sich allerdings verschärft, und große Konzerte sind und bleiben der Endgegner. Spannend für uns ist, die Dokumentationspflicht, die bei Veranstaltern und Gastronomen während der Corona-Pandemie besteht, zu digitalisieren und so die Gesundheitsämter zu entlasten. Dafür wurde die App „Luca“ entwickelt.
Was kann „Luca“?
Mit dieser App erhält man einen persönlichen QR-Code, der beim Einchecken im Restaurant, Konzertsaal, in einem Pflegeheim oder wo immer die Dokumentationspflicht vorgeschrieben ist, gescannt wird.
Wenn sich jemand mit dem Coronavirus infiziert, dann kann er seine digital festgehaltenen, verschlüsselten Besuchsdaten ans Gesundheitsamt weitergeben, das sie entschlüsselt. Bei dieser Datenübermittlung werden auch der Veranstalter und die Menschen, die am gleichen Ort waren, informiert. Es müssen keine Zettel mehr ausgefüllt werden, es müssen nicht mehr Dutzende von Hilfsarbeitern in den Gesundheitsämtern sitzen und Handschriften entziffern, Leute anrufen und Daten händisch ins System eingeben. Und das alles bei vollem Datenschutz.
Infektionsketten können so viel schneller verfolgt werden, was wiederum die Ausbreitung des Coronavirus stark begrenzt. Auch bei privaten Treffen kann man die App nutzen und auf diese Weise ein digitales Kontakt-Tagebuch führen. Alleine durch den Zeitgewinn vermeidet man die Hälfte aller Infektionsfälle. „Luca“ ist also nicht nur eine App, sondern das ganze System. Der Zauber liegt in der direkten Anbindung an die Gesundheitsämter.
Wer finanziert „Luca“?
Wir haben als Band das Projekt mitfinanziert, um diese App an den Start zu bringen. Sie wird für die Nutzer und die Gastgeber kostenlos sein. Sollten im weiteren Verlauf Anbindungen wie Ticketdienste nötig und möglich sein, wird womöglich eine Lizensierung Sinn machen. Aber das ist Zukunftsmusik.
Inzwischen läuft eine Testphase der App in Jena. Sie haben bereits mit Gesundheitsämtern gesprochen und auch schon mit Gesundheitsminister Jens Spahn. Wie fallen die Reaktionen aus?
Die Gespräche laufen gut. Ich bin gerade auf dem Weg nach Berlin zu einem Treffen mit dem Leiter der Abteilung „Digitale Gesellschaft“ des Bundesinnenministeriums. Nächste Woche treffen wir den für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständigen Abteilungsleiter. Der Epidemiologe Dirk Brockmann am Robert-Koch-Institut ist ein Fan unseres Systems. Aus Jena können noch nicht viel Erfahrungen kommen. Zwar ist technisch und administrativ alles eingerichtet, aber wir sind ja noch im Lockdown.
Was erhoffen Sie sich von der App bezüglich des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens?
Eine deutliche Belebung, wenn die pandemische Situation wieder im Griff ist. Wir glauben auch, dass durch „Luca“ die zugelassenen Zuschauerzahlen bei Veranstaltungen höher angesetzt werden können. Man kann bei der Kontaktverfolgung viel schneller und chirurgischer vorgehen – das ermöglicht mehr Begegnungen von Menschen und weniger Grobmotorik bei Corona-Maßnahmen.
Mit „Irgendwann“ haben die Fantastischen Vier auch einen Coronasong gemacht. Im Video gehen Sie mit Ihren drei Kollegen durch die eigene Bandgeschichte wie durch ein Museum. Die Fotos von überfüllten Konzerthallen wirken wie aus lang vergangenen Zeiten. Glauben Sie, dass das Leben nicht mehr so sein wird, wie es einmal war?
Das weiß ich nicht. Hygienemaßnahmen wie Abstand, Mundschutz und die Verwendung von Desinfektionsmittel werden auch nach der Pandemie im Alltag Anwendung finden – so wie, historisch betrachtet, Wasserklosetts oder Seifen, die sich auch nach großen Katastrophen als neue Hygienestandards etabliert haben. Ich glaube auch, dass es die digitale Clustererfassung, wie sie „Luca“ ermöglicht, Bestand haben wird. Wenn ich meinen Kontakten ins Virologen-Milieu Glauben schenke, dann begleitet uns Corona noch fünf Jahre. Wie eng man in Zukunft bei Konzerten zusammen feiern kann, kann ich im Augenblick nicht erahnen.
„Also tick nicht aus und glaub an dich, gib nicht auf, ich glaub an Dich. Denn nur solang wir zusammen sind, endet irgendwann bestimmt“, heißt es in dem Coronasong. Ist das Ihr Appell an die Querdenker?
Nicht direkt. Gegen die Querdenker habe ich allerdings schon etwas. Der Mensch ist der Wirt für das Virus. Wenn bei den Schutzmaßnahmen einige nicht mitmachen, dann schadet das der Gemeinschaft. In London ist jeder Fünfte infiziert, in Meißen stapeln sich in einer Halle 250 Särge, weil das Krematorium mit dem Verbrennen der Leichen nicht hinterherkommt. Corona zu leugnen, ist einfach eine Schweinerei. Im Song „Irgendwann“ geht es eher um die Betonung der Gemeinsamkeit. Nur gemeinsam können wir die Krise bewältigen.
Wann planen die Fantas das erste Livekonzert vor Publikum?
Unser erstes terminiertes Konzert ist am 8. Juni 2021 in der Barclaycard Arena in Hamburg. Wenn wir dann spielen dürfen, treten wir auf. Wenn nicht, müssen wir das Konzert verschieben – wie alle anderen auch.