Wenn das ganze Land stillsteht, werden natürlich auch keine Filme und Serien produziert. Laut Erhebungen der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft gab es seit dem Ausbruch der Corona-Krise mehr als 400 Drehabbrüche, Unterbrechungen oder Verschiebungen. Das Investitionsvolumen entsprach rund einer halben Milliarde Euro.
Unsicherheit in der Branche
Gerade bei lange laufenden TV-Serien konnten die Dreharbeiten rasch wieder aufgenommen werden, wenn auch unter verschärften Sicherheitsbedingungen. Trotzdem herrscht nach wie vor große Unsicherheit in der Branche. Sie bezieht sich jedoch weniger auf konkrete Hygiene-Fragen, sondern auf die Zukunft, und sie betrifft ausnahmslos alle: Sender, Produktionsfirmen, Regisseure, Autoren, Schauspieler und selbstverständlich auch die vielen Mitarbeiter, die nie genannt werden.
Während sich Shows und Ratesendungen vergleichsweise problemlos auch unter Hygiene-Auflagen produzieren lassen, sieht das bei fiktionaler Unterhaltung ganz anders aus. Ein Kuss lässt sich nun mal nicht mit der Abstandsregel vereinbaren. Die große Frage ist daher: Unter welchen Bedingungen kann in Zukunft gedreht werden? Womöglich nur unter Auflagen, wie sie die Politik dem Bundesliga-Fußball gemacht hat? Mit Quarantäne für alle Beteiligten während der Dreharbeiten?
Bankbürgschaft notwendig
Ein ähnlich großes Problem wie die latente Bedrohung durch das Virus ist laut Johannes Züll, Vorsitzender der Geschäftsführung der Studio Hamburg Gruppe, eine fehlende Versicherung: „Viele Produktionen können erst begonnen werden, wenn eine Bankbürgschaft vorliegt. Banken wiederum geben nur dann Bürgschaften, wenn die Produktionen versichert sind. Aber gegen einen Corona-bedingten Drehstopp oder gar Abbruch kann man sich derzeit nicht versichern.“
Niemand zahlt für Ausfälle
Der große Unterschied zum Fußball, ergänzt der mehrfache Grimme-Preisträger Stephan Wagner, sei die Lastenverteilung beim Risiko: „Beim Profi-Fußball partizipiert ein Verein auch dann noch am Geldstrom durch die TV-Erlöse, wenn eine Mannschaft wegen positiver Covid-19-Fälle in Quarantäne muss. Es gibt aber keinen Ausfallfonds für Filmproduktionen, deren Dreharbeiten trotz penibler Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen einen infektionsbedingten Shutdown erleiden.“
Derzeit, sagt Wagner, der viele seiner Filme selbst produziert, befinde sich die Branche in Phase zwei der Pandemie. Die erste Phase sei „von Schockstarre und kurzfristigen Maßnahmen zur Schadensbegrenzung“ geprägt gewesen. Nun sei es an der Zeit, konkret die Frage zu beantworten, unter welchen Bedingungen eine Filmproduktion wieder stattfinden könne, und vor allem: „Wie geht man mit den für all diese Maßnahmen entstehenden Mehrkosten um? Denn nur weil uns ein Virus weltweit fest im Griff hält, stehen den deutschen Filmproduktionen ja keine höheren Budgets zur Verfügung.“
Rettungsschirm gefordert
Für den vielfach ausgezeichneten Regisseur Kilian Riedhof steht und fällt mit dieser Frage die Zukunft des deutschen Films. Er verlangt ein „Bekenntnis der Politik und der Fernsehsender in Form eines Rettungsschirms als Ersatz für den ausbleibenden Filmversicherungsschutz. Ohne diesen Schutz werden viele kleinere und mittlere Produzenten sehr schnell vom Markt verschwinden, wichtige Filme nicht stattfinden und wir einen beträchtlichen Teil kultureller Reflektion verlieren.“
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat der Filmbranche zwar 120 Millionen Euro zugesichert, aber wie die Summe verteilt werden soll, steht in den Sternen. In der Vergangenheit waren die Fachverbände schon bei deutlich einfacheren Themen nicht in der Lage, eine Einigung zu erzielen.
Corona wird nach Wagners Ansicht nicht nur Folgen für die Rahmenbedingungen, sondern auch für die Stoffauswahl haben: „Das zeitgenössische Kammerspiel im Zeitalter von Lockdown und Mundschutz hat hier in der Einfachheit der Herstellung einen klaren Vorteil gegenüber dem komparsenlastigen Historiendrama.“
Allerdings warnt Wagner davor, die Rahmenbedingungen aktueller Produktionen in irgendeiner Form auf die Filme Einfluss nehmen zu lassen, selbst wenn es sich nicht vermeiden lasse, dass die Zuschauer „die erschwerten Bedingungen in der Herstellung durch die intuitive Wahrnehmung fehlender Leichtigkeit spüren“. Riedhof ergänzt: „Die größte Gefahr besteht darin, dass wir Filme drehen, die im Bemühen um die Einhaltung der Hygiene-Regeln untergründig gehemmt wirken. Gerade jetzt aber brauchen wir Filme, die uns befreien, mutig und leidenschaftlich werden lassen und uns für die neu entstandene Realität öffnen.“
Nicht dem Virus unterwerfen
Doch das ist Zukunftsmusik. Für Miguel Alexandre, ebenfalls Grimme-Preisträger und Regisseur des RTL-Event-Movies „Starfighter“, gilt es erst mal, ganz konkrete Fragen zu klären. Eine Quarantäne für alle Beteiligten während der Dreharbeiten kann er sich zwar vorstellen, aber er fragt sich, wie mit Schauspielern umgegangen werde, die mehrere Produktionen gleichzeitig drehen.
Die Alternativ-Idee, alle Darsteller jeweils für die gesamte Dauer einer Produktion und unabhängig von der Anzahl ihrer Drehtage zu engagieren, ließe sich vermutlich kaum finanzieren. Er wäre jedoch eher bereit, „auf einen Drehtag zu verzichten, um etwaige Mehrkosten teilweise aufzufangen, als die gesamte inhaltliche Umsetzung einem Virus zu unterwerfen“.
Alexandre hofft, dass Corona die Gesellschaft zu mehr Solidarität animiere: „Wir Menschen sind keine Inseln, sondern Teil einer Gemeinschaft. Das wird sich auch auf die Geschichten auswirken, die wir in nächster Zukunft erzählen. Das Modell des Einzelgängers, der nach individuellem Erfolg strebt und diesem Ziel alles unterordnet, hat erstmal ausgedient. Wir werden Geschichten sehen wollen, in denen humanistische Werte eine zentrale Rolle spielen.“