Es sind ja längst alle guten Willens, niemand mehr da, der ernsthaft die Notwendigkeit eines wirksamen Klimaschutzes bestreiten würde. Und doch erhärtet sich mit jeder neuen Aktion der Klimakleber, mit jeder aufgeregten Diskussion um Maß und Mitte der dumpfe Verdacht: Was, wenn die Hoffnung, eine demokratische und kapitalistische Gesellschaft bekäme das schon irgendwie hin, trügt? Weil es gemäß Theodor W. Adornos berühmtem Satz eben kein richtiges Leben im falschen geben kann?
Der US-Amerikaner T. C. Boyle zählt zu denjenigen Autoren, die in ihren Werken schon früh vor Umweltzerstörung und blindem Fortschrittsglauben warnten. Mit „Blue Skies“ legt er jetzt einen Roman vor, der gar nicht erst den Anspruch verfolgt, seine Leser von irgendwelchen Notwendigkeiten zu überzeugen. Der Klimawandel ist hier eine so bittere wie unabwendbare Realität, und jedes Bemühen, ihm doch noch etwas entgegenzusetzen, mutet nurmehr rührend an.
Da ist die kalifornische Hausfrau Ottilie, die sich an den Rat ihres Sohnes hält und beim Kochen jetzt auf Insekten umstellt. In einem eigens gekauften Brutkasten züchtet sie Grillen. Aus der regelmäßigen Ernte gewinnt sie Mehl für Nudeln, Tortillas oder Kekse zum Kaffee. Das schont das Klima, ist gesund und in anderen Regionen dieser Welt schon längst eine Selbstverständlichkeit. Ihr Mann lässt sich auf die Ernährungsumstellung ein, nur der Nachbar bezahlt seinen ahnungslosen Verzehr dieser Tiere mit einer Nacht an der Kloschüssel: Aber vielleicht ist sein Unwohlsein auch psychisch bedingt.

Der Sohn selbst heißt Cooper und ist Entologe, also Insektenforscher, den Klimawandel erlebt er hautnah. Viele Insektenarten sind plötzlich spurlos verschwunden, andere vermehren sich plötzlich massenweise. Und wen sie stechen oder beißen, der sollte sich immer öfter über mögliche Folgen Gedanken machen. Ein vermeintlich harmloser Zeckenbiss bringt Cooper ins Krankenhaus, nur durch eine Amputation seines rechten Unterarms kann er dem Tod entkommen.
Ottilies Tochter Catherine will derweil von all diesen Gefahren nicht viel wissen. Sie wohnt am anderen Ende der USA in Florida, wo sie sich gerade mit dem smarten Markenbotschafter des Spirituosenherstellers Bacardi verlobt hat. Im gemeinsamen Haus mit Meerblick will sie jetzt als Influencerin durchstarten. Dazu bräuchte sie noch etwas Ungewöhnliches, Reizvolles, das sie von anderen unterscheidet. Beim Schlendern durch den Ort stößt sie auf ein Tiergeschäft: So ein Python, das wär‘s doch!
Natur ist niemals falsch
Als er das Reptil in dessen Terrarium im eigenen Wohnzimmer vorfindet, fällt der künftige Ehemann erst aus allen Wolken. Andererseits: Er ist ja ständig im Auftrag von Bacardi unterwegs, da kann er ihr schlecht die Wahl des Haustiers vorschreiben. Und so präsentiert Catherine ihre Errungenschaft stolz auf der nächstbesten Party, genießt die andächtigen Blicke, wenn der Python sich lautlos über ihre Schultern schlängelt – und versteckt schamhaft die blutende Wunde, als er plötzlich unversehens in den Unterarm beißt.
Es ist ein Untergang in Zeitlupe, den Boyle an dieser Familie dokumentiert. In Florida muss Catherine, inzwischen Mutter von Zwillingen, immer öfter mit Überschwemmungen kämpfen. Ihre in Kalifornien lebenden Eltern dagegen dürfen wegen Wassermangels kaum mehr duschen. Und wie ihr Bruder muss auch Catherine bald erfahren, wie sich die Natur an ihr ganz persönlich rächt für eine Gesellschaft, die Wildtiere als Klicktreiber auf YouTube feilbietet und Rum-Vermarkter per Flugzeug um den Erdball schickt.

Wie genau diese Rache aussieht, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel sei gesagt, dass Boyle mit einem so einfachen wie schockierenden dramaturgischen Kniff die heile Influencer-Welt aus den Angeln hebt und in der von Neid und Häme zerfressenen Nachbarschaft die eigentliche Wildnis zum Vorschein bringt. Der Mensch hat der Schlange Falschheit und Heimtücke angedichtet. Doch wenn das Schicksal zuschlägt, zeigt sich, dass solche Eigenschaften allein dem Menschen vorbehalten sind. Natur kann niemals falsch sein, allenfalls unerbittlich.
Mit der familiären Katastrophe steht Catherine auch vor den Trümmern ihres Geschäftsmodells. Und während sie mit Alkohol den Schmerz zu betäuben versucht, nagen die Termiten an den von den Sturmfluten durchfeuchteten Balken ihrer einstigen Traumvilla. Keine Frage, hier stürzt bald alles in sich zusammen, weder für Statiker noch für Klimaforscher oder Politiker gibt es noch irgendetwas zu retten. Und dem Leser bleibt allein die Suche nach dem Warum.
Dabei drängt sich der Eindruck auf, dass die gesamte Menschheit ihr Haus auf ebenso sandigemBoden errichtet hat wie Catherines Villa am Strand von Florida. Die einen halten in Kühlschränken Räucherlachs aus Alaska vor, die anderen können bei zunehmender Hitze von ihrem Pool nicht lassen, der Dritte sieht sich angesichts der zunehmenden Unwetter umso mehr veranlasst, seine Kinder im SUV durch die Landschaft zu fahren.
Und dieselbe Mutter, die eben noch zu Hause Grillen züchtete, sitzt jetzt auch schon im Flugzeug, um der Tochter in Nöten beizustehen. Es gibt nicht den einen Grund für die Tragödie, sondern nur unzählige kleine Bausteine: Weil sich der moderne Mensch ein falsches Leben angewöhnt hat, ist ein richtiges darin kaum mehr möglich.
T. C. Boyle erzählt davon mit der ihm eigenen Mischung aus ätzender Konsumkritik, lakonischenPersonenbeschreibungen und bisweilen drastischen Bildern. Das ist in gewohnt eingängiger Weise unterhaltsam, hinterlässt aber das schaleGefühl, dieses große Thema könnte doch in zu kleinerMünze abgehandelt werden. Zu glatt, zu nah am Klischee rauschen diese Figuren bisweilen dem Abgrund entgegen, mehr Widersprüche würde man ihnen wünschen, mehr Selbstzweifel.
Bleibt die Frage, warum die deutsche Übersetzung den Originaltitel übernimmt. „BlueSkies„ ist ein Jazz-Standard, komponiert 1926 von Irving Berlin, Boyle nimmt darauf ausdrücklich Bezug: Der Song spielt mit der Doppelbedeutung von Blau als Ausdruck von Traurigkeit und Melancholie einerseits und sommerlicher Lebensfreude andererseits. Es ist, als hätte Irving Berlin damals in den blauen Himmel geschaut – und darin die Zukunft gesehen.