Kaum zu glauben, in welche Gefahren sich der Mensch stürzt für etwas vermeintlich so entbehrliches: Farbe. Man kann sie nicht essen, sie schützt nicht vor Kälte, als Waffe taugt sie auch nicht wirklich. Allein dem schönen Schein kann sie dienen, und der steht bisweilen über aller Vernunft.

Bis weit ins 19. Jahrhundert rieben sich alternde Menschen, insbesondere des weiblichen Geschlechts ihre Haut nicht etwa mit Nivea ein, sondern einem Produkt, das zu den ältesten von Menschenhand hergestellten Farbpigmenten zählt: Bleiweiß. „Jugendlich und geheimnisvoll“ sollte man damit aussehen, schreibt der Farbforscher Stefan Muntwyler im neu erschienenen „Farbenbuch“ (Alata Verlag). Doch der Glanz war von begrenzter Dauer, denn bei eifriger Anwendung folgten auf die elfenbeinerne Schönheit gespenstische Blässe, blaue Flecken, Nierenversagen, Tod.

Das Schweinfurter Grün fand sich nicht nur auf den Leinwänden der von dieser satten Farbe berauschten Impressionisten wieder. Auch Hersteller von Tapeten wussten ihre Produkte damit effektvoll in Szene zu setzen. Sogar in Kinderzimmern schien es natürlicher zu leuchten als draußen in Wald und Feld. Einziger Haken: Das Zeug war pures Gift, an den unseligen Tapeten soll Napoleon sogar zu Tode gekommen sein.

„Chromoxidgrün feurig“

Bei der Kundschaft schrillten die Alarmglocken erst, als die Farbe unter dem Namen „Uraniagrün“ als Insektenschutzmittel über die Ladentheke ging. Zwar probierten die Hersteller fortan noch diverse weitere Namen aus (sage und schreibe 70 verschiedene), auf den Leim ging ihnen aber bald niemand mehr. In einer synthetischen Mineralfarbe namens „Chromoxidgrün feurig“ fand sich für das Schweinfurter Grün schließlich ein würdiger Ersatz.

Es ist aber auch verflixt mit diesen Farben: Ausgerechnet die leuchtendsten, schönsten Exemplare stehen meist mit dem Teufel im Bunde. Das goldgelbe Auripigment ist so giftig, dass die Alten Griechen zu seinem Abbau nur Strafgefangene einsetzten. Zahlreiche von ihnen bezahlten diesen Einsatz mit dem Leben, schreibt der Geschichtsschreiber Strabon.

Eine Ausnahme macht nur Berliner Blau, eine der Lieblingsfarben van Goghs und Monets, bekannt auch aus japanischen Farbholzschnitten wie Katsushika Hokusais „Große Welle von Kanagawa“: Wo andere Farben töten, kann diese nämlich heilen. Eingesetzt wird Berliner Blau etwa bei Vergiftungen mit radioaktivem Cäsium. Nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl dekontaminierte man mit ihm die Tiere in der Umgebung. Einzige Nebenwirkung: „erschreckend blaue Fäkalien.“

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Auf der Suche nach Farbe riskiert der Mensch nicht nur seine Gesundheit, er geht auch an seine Geschmacksgrenzen. Für „Indisch Gelb echt“ haben indische Milchbauern Mangoblätter an ihre Kühe verfüttert und anschließend deren Urin aufgefangen. In eingekochter, ausgepresster und konzentrierter Form gelangte die Farbe dann in den Handel. Man kann nur hoffen, dass es beim Einkochen nicht zu Verwechslungen mit eingekochten Lebensmitteln gekommen ist.

Was stellt man also mit Farbe an? Man malt mit ihr. Und wer das beruflich tut, kennt ihre Geheimnisse. Schwarz zum Beispiel mag der ahnungslose Kunstbetrachter als facettenarme Angelegenheit abtun, in Wahrheit lassen sich allein aus Obstkernen mehr als 40 verschiedene Sorten Schwarz gewinnen.

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Für das Buch hat Muntwyler entsprechend unterschiedliche Kerne gesammelt, sortiert und verköhlert – von der Aprikose bis zur Zwetschge. Zu sehen sind erst die Kerne, dann die aus ihnen verarbeiteten Pigmente, am Schluss die jeweilige Farbe, auf Leinwand aufgetragen. Man sieht und staunt: Nicht nur nach Frucht unterscheiden sich die Töne, sondern auch nach deren Herkunftsort. Die Olive aus Kalamata schneidet unverkennbar dunkler ab als jene aus Kythira.

Wie schwarz so ein Schwarz am Ende wirkt, hängt von der Struktur des Kohlenstoffgerüstes ab. Je gleichmäßiger diese Struktur ist, desto eher spricht der Betrachter von „Tiefschwarz“. Das trifft besonders zu auf Pigmente, die aus den Kernen von Kirschen, Pfirsichen oder Trauben gewonnen werden.

Eine Prise Bismut im Bild

Große Meister der Renaissance wie etwa Raffael wussten das natürlich. In seinem Bild „Madonna mit den Nelken“ (ca. 1506-1507) lässt er die Muttergottes und ihr Kind fast dreidimensional aus dem Bild hervortreten. Möglich macht diese Plastizität ein tiefschwarzer Hintergrund, der in seinen tiefsten Schatten geheimnisvoll zu glänzen scheint: Der Meister hat dort eine Prise Bismut eingestreut.

Für die Körper wählte er das erwähnte giftige Bleiweiß sowie Zinnoberrot, doch darauf allein kommt es nicht an. Mindestens so wichtig wie die Wahl der Farben ist nämlich die Grundierung (in diesem Fall handelt es sich um Gresso, eine Mischung aus tierischem Leim, Kreide und Gips) sowie die Imprimatur (Bleiweiß, Bleizinngelb von Typ I und fein gepulvertes Glas).

Farbeinsatz der Meisterklasse: Raffaels „Madonna mit den Nelken“ (ca. 1506-1507).
Farbeinsatz der Meisterklasse: Raffaels „Madonna mit den Nelken“ (ca. 1506-1507). | Bild: Wikipedia

Alles in allem wird deutlich: Wer malen will wie Raffael, muss kochen können wie Paul Bocuse. Dabei ist die profunde Kenntnis aller Zutaten nur eine Voraussetzung fürs Gelingen, Pinselführung, Komposition und Perspektive müssen dazukommen. Bei Raffaels Madonna besticht die Dreiecksordnung von Mutter, Kind und Burg, das Wechselverhältnis zwischen innen und außen: Das Blau des Mantels korrespondiert mit dem Himmel, das Grün des Ärmels mit der Wiese, etwas vom Bleizinngelb des Innenfutters findet sich im Gemäuer der Ruine wieder.

Wie der Farbforscher Stefan Muntwyler, der Chemiker Juraj Lipscher und der Grafiker Hanspeter Schneider in ihrem Werk den Bogen schlagen von den Fragen der Farbgewinnung bis zu den Werken der Kunstgeschichte, das ist nicht nur in seinem schieren Umfang beeindruckend. Es bietet darüber hinaus eine jederzeit verständliche, erhellende, genussreiche Lektüre.

Der Mensch mag für Farben bisweilen seine Gesundheit aufs Spiel setzen. Aber das „Farbenbuch“ zeigt: Er hat dafür gute Gründe.

„Das Farbenbuch“, hrsg. v. Stefan Muntwyler, Juraj Lipscher und Hanspeter Schneider, Alataverlag 2022; 496 Seiten, 196 Euro.