Kann es bald wieder große Konzerte geben? Das untersuchte das Universitätsklinikum Halle in der wissenschaftlichen Studie „Restart-19“ mit 1400 Probanden als Konzertgästen. Was nach einer flotten Wortschöpfung klingt, ist eigentlich eine Abkürzung und steht für „Risk prEdiction of indoor SporTs And cultuRe events for the Transmission of COVID-19“, also Risikovorhersage für Hallensport und Kulturveranstaltungen für die Übertragung von Covid-19.
Ich bin vor Ort, um mir das Ganze aus der Nähe anzuschauen. Eigentlich hatte ich als Probandin teilnehmen wollen; doch als Probandin waren selbst Handyfotos verboten. Als ich zum Studienort – der Leipziger Quarterback Immobilien Arena – komme, regnet es und die vereinzelten Probanden, die bereits da sind, gehen in Jacken gehüllt und unter Schirme gekauert möglichst schnell zum Check-in-Container.

Ein Mitarbeiter begrüßt mich mit „Können Sie die Haare ein bisschen hochmachen?“ Ich bin kurz irritiert, sehe dann das Laser-Fiebermessgerät in seiner Hand. Er richtet es auf meine Stirn und winkt mich mit einem „Passt alles“ weiter. Am Check-in erhalte ich eine medizinische FFP2-Maske, die alle Anwesenden während ihres gesamten Aufenthalts im Inneren der Halle tragen sollen.

Der Einlass für uns verzögert sich. Ich höre Englisch, das um mich herum gesprochen wird; die Studie hat internationales Interesse geweckt. Mit einiger Verspätung geht es nach drinnen, dort wird erneut Fieber gemessen und überprüft, ob ein negativer Coronatest für uns alle vorliegt. Den konnten wir – wie auch die übrigen Teilnehmer – selbst zu Hause machen. Das Testkit wurde kostenlos zugeschickt.
Maximal 48 Stunden vor dem Studientag durfte der Abstrich im Rachenraum genommen werden. Dabei verursacht nicht nur die zeitliche Knappheit Nervenkitzel. Für mich selbst ist es der erste Coronatest und einigen Kollegen geht es ähnlich. „Ich hatte schon ein bisschen Würgereiz, obwohl ich vorsichtig war“, verrät ein Kollege, der mit eineinhalb Meter Sicherheitsabstand von mir entfernt Platz genommen hat.

Den Test habe ich schließlich, wie die meisten, persönlich abgegeben, um mich nicht auf eine rechtzeitige Zustellung verlassen zu müssen. Ich fuhr extra früher nach Leipzig, um die Probe direkt in der Virologie des Uniklinikums abzugeben. Die erleichternde Nachricht: Mein Test fiel negativ aus.

Doch zurück zum Tag der Studie. Vor der Halle wird Abstand gehalten; die Schlange ist daher lang, obwohl gerade einmal ein Drittel der gewünschten Teilnehmerzahl gekommen sind. Auf 4200 hatte Studienleiter Stefan Moritz gehofft, 2200 hatten sich angemeldet und etwa 1400 sind schließlich erschienen. Ob es am schlechten Wetter liegt oder am sogenannten „No-Show-Verhalten“ bei kostenlosen Veranstaltungen, bleibt ungeklärt.

Fest steht jedenfalls: Die Ergebnisse sind so wissenschaftlich verwertbar. Studienleiter Stefan Moritz zeigt sich erfreut: „So können wir Modelle basierend auf realen Zahlen erstellen. Die haben uns lange gefehlt.“

Wie Catering unter Infektionsschutzbedingungen funktioniert, wird nur simuliert: Die Teilnehmer bekommen Getränke sowie süße und salzigen Snacks versorgt. Tatsächlich herrscht in der Halle aber ein striktes Konsumverbot; essen dürfen die Probanden nur draußen.

Viele der Anwesenden, mit denen ich ins Gespräch komme, sind nicht wegen der Musik hier, sondern aus Solidarität mit der Veranstaltungsbranche. „Wir hören sonst ganz andere Musik“, sagt ein Pärchen. Sogenante Contact Tracer, also Geräte, die den Abstand zu anderen messen sollen, baumeln um ihren Hals. Die Messgeräte blinken in unregelmäßigen Abständen grün auf.

Die Tracer sind essentiell für die Studie. Über sie wird bemessen, wie viele nahe Kontakte die Besucher in den unterschiedlichen Szenarien haben. Zu den Teilnehmern gehört auch die 33-jährige Daniela Borze. Sie freut sich über die gute Atmosphäre. Es läuft Musik, die Anwesenden sind gut gelaunt. „Das hat schon ein bisschen Festivalfeeling“, sagt die Dresdenerin.

In die Halle geht es für das erste Szenario wegen einer kleinen technischen Panne – es kamen 60 falsch programmierte Tracer in Umlauf – direkt zweimal. Denn auch der Einlass gehört mit dazu und soll untersucht werden. Dabei werden, wie bei einem normalen Konzert üblich, Tickets gescannt und Taschen kontrolliert.

Auch drinnen soll es beim ersten Szenario ganz normal zugehen: So werden Referenzwerte erstellt für abweichende Szenarien mit unterschiedlichen Abstandsregelungen. Die Presse darf beobachten: Mit Kamera, die auf den breiten Bügel der medizinischen Maske zusätzlich Druck ausübt, ist das zeitweise eine schmerzhafte Angelegenheit. Es wird schnell warm unter der Maske.

Das nächste Szenario beginnt: Das Publikum rückt zusammen. Es dauert einige Zeit, bis alle dieser Aufforderung Folge geleistet haben. „Man ist das einfach nicht mehr gewohnt“, sagt Probandin Jessica Hanke später.

Tim Bendzko freut sich sichtlich, auf der Bühne stehen zu dürfen. Er bedankt sich mehrfach bei seinem Publikum und baut in den ein oder anderen Liedtext eine Anspielung auf die Coronapandemie ein. Doch die Stimmung bleibt verhalten.

Als es nach draußen geht für die Simulation einer Konzertpause, halten die Anwesenden trotz gegenteiliger Aufforderung sofort wieder Abstand.

Im Freien findet die echte Mittagspause statt, für das drinnen bei der Simulation der Essensausgabe lediglich Gutscheine ausgegeben wurden.

Beim zweiten Szenario darf dann auch im Sitzen etwas Abstand eingehalten werden und der Einlass verlief ebenfalls mit mehr Abstandsregeln. Das Publikum wirkt entspannter, in manchen Kleingruppen entsteht richtige Konzertstimmung; es wird mitgesungen.

Nina Malek aus Hannover ist ebenfalls aus Überzeugung hier. Sie möchte einen solidarischen Beitrag für die Veranstaltungsbranche leisten; finanziell kann sie diese als Studentin nicht unterstützen.

Das dritte und letzte Szenario zeigt dann, wie viel Platz es benötigen würde, wenn man tatsächlich die Zuschauer mit rundherum eineinhalb Metern Abstand platzieren würde. Die Halle, die zu Normalzeiten mehr als 4000 sitzenden Zuschauern Platz bietet, ist mit den 1400 Menschen durch die Abstandsregeln ganz schön voll.

Der Stimmung tut der Abstand jedenfalls keinen Abbruch. In den hinteren Reihen hält es ein paar Zuschauerinnen nicht mehr auf ihren Plätzen, sie wippen mit der Musik mit. Auch in den übrigen Reihen werden Handys als Feuerzeugersatz zum „Mitschunkeln“ gezückt.

Der lange und warme Studientag neigt sich dem Ende zu. Meine Maske hat unter der Kamera etwas zu viel Druck auf Nase und Wangen ausgeübt; die Druckstellen werden noch einige Stunden zu sehen sein.
Mit den gesammelten Erkenntnissen des Tages wollen die Studienleiter Modelle und Simulationen erarbeiten, die helfen sollen, Veranstaltungen wieder leichter möglich zu machen. Und zwar ohne das Risiko, ein sogenanntes Super-Spreading-Event auszulösen, bei dem sich viele Menschen auf einmal infizieren können.
