Kann es bald wieder große Konzerte geben? Das untersuchte das Universitätsklinikum Halle in der wissenschaftlichen Studie „Restart-19“ mit 1400 Probanden als Konzertgästen. Was nach einer flotten Wortschöpfung klingt, ist eigentlich eine Abkürzung und steht für „Risk prEdiction of indoor SporTs And cultuRe events for the Transmission of COVID-19“, also Risikovorhersage für Hallensport und Kulturveranstaltungen für die Übertragung von Covid-19.

Ich bin vor Ort, um mir das Ganze aus der Nähe anzuschauen. Eigentlich hatte ich als Probandin teilnehmen wollen; doch als Probandin waren selbst Handyfotos verboten. Als ich zum Studienort – der Leipziger Quarterback Immobilien Arena – komme, regnet es und die vereinzelten Probanden, die bereits da sind, gehen in Jacken gehüllt und unter Schirme gekauert möglichst schnell zum Check-in-Container.

Als die Teilnehmenden morgens eintrudeln, begrüßt sie starker Regenfall. Sommeroutfits sind dennoch ein Muss.
Als die Teilnehmenden morgens eintrudeln, begrüßt sie starker Regenfall. Sommeroutfits sind dennoch ein Muss. | Bild: Lena Reiner

Ein Mitarbeiter begrüßt mich mit „Können Sie die Haare ein bisschen hochmachen?“ Ich bin kurz irritiert, sehe dann das Laser-Fiebermessgerät in seiner Hand. Er richtet es auf meine Stirn und winkt mich mit einem „Passt alles“ weiter. Am Check-in erhalte ich eine medizinische FFP2-Maske, die alle Anwesenden während ihres gesamten Aufenthalts im Inneren der Halle tragen sollen.

Diese Maske wird nur zwei von drei Szenarios überstehen. Durch die Überbelastung durch die Kamera, reißt dann ein Band.
Diese Maske wird nur zwei von drei Szenarios überstehen. Durch die Überbelastung durch die Kamera, reißt dann ein Band. | Bild: Lena Reiner

Der Einlass für uns verzögert sich. Ich höre Englisch, das um mich herum gesprochen wird; die Studie hat internationales Interesse geweckt. Mit einiger Verspätung geht es nach drinnen, dort wird erneut Fieber gemessen und überprüft, ob ein negativer Coronatest für uns alle vorliegt. Den konnten wir – wie auch die übrigen Teilnehmer – selbst zu Hause machen. Das Testkit wurde kostenlos zugeschickt.

Das Test-Kit Video: Lena Reiner

Maximal 48 Stunden vor dem Studientag durfte der Abstrich im Rachenraum genommen werden. Dabei verursacht nicht nur die zeitliche Knappheit Nervenkitzel. Für mich selbst ist es der erste Coronatest und einigen Kollegen geht es ähnlich. „Ich hatte schon ein bisschen Würgereiz, obwohl ich vorsichtig war“, verrät ein Kollege, der mit eineinhalb Meter Sicherheitsabstand von mir entfernt Platz genommen hat.

Lena Reiner beim Entnehmen des Abstrichs aus ihrem eigenen Rachenraum für den Coronatest im Vorfeld der Studie. Foto: Frank Labitzke
Lena Reiner beim Entnehmen des Abstrichs aus ihrem eigenen Rachenraum für den Coronatest im Vorfeld der Studie. Foto: Frank Labitzke | Bild: Lena Reiner

Den Test habe ich schließlich, wie die meisten, persönlich abgegeben, um mich nicht auf eine rechtzeitige Zustellung verlassen zu müssen. Ich fuhr extra früher nach Leipzig, um die Probe direkt in der Virologie des Uniklinikums abzugeben. Die erleichternde Nachricht: Mein Test fiel negativ aus.

Die Nachricht, auf die viele nervös gewartet haben: Letztlich erhält nur eine Teilnehmerin eine Absage aufgrund eines positiven ...
Die Nachricht, auf die viele nervös gewartet haben: Letztlich erhält nur eine Teilnehmerin eine Absage aufgrund eines positiven Testergebnisses. Alle übrigen 1900 Tests – für Probanden, Mitarbeiter und Presseleute – fielen negativ aus. | Bild: Lena Reiner
Warteschlange mit Abstand Video: Lena Reiner

Doch zurück zum Tag der Studie. Vor der Halle wird Abstand gehalten; die Schlange ist daher lang, obwohl gerade einmal ein Drittel der gewünschten Teilnehmerzahl gekommen sind. Auf 4200 hatte Studienleiter Stefan Moritz gehofft, 2200 hatten sich angemeldet und etwa 1400 sind schließlich erschienen. Ob es am schlechten Wetter liegt oder am sogenannten „No-Show-Verhalten“ bei kostenlosen Veranstaltungen, bleibt ungeklärt.

„Wir sollten auf das Gute fokussieren und nicht die schlechte Nadel im Heuhaufen suchen. Wir sollten uns darüber freuen, dass ...
„Wir sollten auf das Gute fokussieren und nicht die schlechte Nadel im Heuhaufen suchen. Wir sollten uns darüber freuen, dass 1.500 Leute gekommen sind und uns nicht auf die konzentrieren, die nicht gekommen sind. Die 1500 sind unsere Helden. Und für uns ist es ein Glückstag. So etwas wie heute haben wir das letzte Mal vor 167 Tagen beim letzten Heimspiel erlebt“, sagt Karsten Günther, Geschäftsführer des SC DHfK Handball. | Bild: Lena Reiner

Fest steht jedenfalls: Die Ergebnisse sind so wissenschaftlich verwertbar. Studienleiter Stefan Moritz zeigt sich erfreut: „So können wir Modelle basierend auf realen Zahlen erstellen. Die haben uns lange gefehlt.“

Stefan Moritz, Studienleiter der RESTART-19-Studie der Universitätsmedizin Halle (Saale) zeigt sich bei der Pressekonferenz erleichtert: ...
Stefan Moritz, Studienleiter der RESTART-19-Studie der Universitätsmedizin Halle (Saale) zeigt sich bei der Pressekonferenz erleichtert: „Ich bin positiv überrascht von der Disziplin beim Masketragen. Man sieht kaum eine Maske, die falsch sitzt.“ Und betont außerdem: „Da ist ganz viel von mir abgefallen, als ich die Leute heute gesehen habe und dass alles funktioniert.“ | Bild: Lena Reiner

Wie Catering unter Infektionsschutzbedingungen funktioniert, wird nur simuliert: Die Teilnehmer bekommen Getränke sowie süße und salzigen Snacks versorgt. Tatsächlich herrscht in der Halle aber ein striktes Konsumverbot; essen dürfen die Probanden nur draußen.

Bei der Essensausgabe, die Teil der Szenarien ist, werden lediglich Essensgutscheine ausgegeben. Im Inneren der Halle darf nicht ...
Bei der Essensausgabe, die Teil der Szenarien ist, werden lediglich Essensgutscheine ausgegeben. Im Inneren der Halle darf nicht gegessen oder getrunken werden. Die Risikominimierung für die Teilnehmenden steht den ganzen Tag über im Vordergrund. | Bild: Lena Reiner

Viele der Anwesenden, mit denen ich ins Gespräch komme, sind nicht wegen der Musik hier, sondern aus Solidarität mit der Veranstaltungsbranche. „Wir hören sonst ganz andere Musik“, sagt ein Pärchen. Sogenante Contact Tracer, also Geräte, die den Abstand zu anderen messen sollen, baumeln um ihren Hals. Die Messgeräte blinken in unregelmäßigen Abständen grün auf.

Diese schwarzen Plastikkästchen sind ein wesentlicher Aspekt der Studie. Die sogenannten Contact Tracer messen Abstände und zeichnen ...
Diese schwarzen Plastikkästchen sind ein wesentlicher Aspekt der Studie. Die sogenannten Contact Tracer messen Abstände und zeichnen Kontakte auf. Zu Beginn der Studie sorgt ein vertauschter Koffer mit für die Straßenbahn programmierten Tracern erst einmal für eine Stunde Verspätung. Das weitere Experiment verläuft pannenfrei. | Bild: Lena Reiner

Die Tracer sind essentiell für die Studie. Über sie wird bemessen, wie viele nahe Kontakte die Besucher in den unterschiedlichen Szenarien haben. Zu den Teilnehmern gehört auch die 33-jährige Daniela Borze. Sie freut sich über die gute Atmosphäre. Es läuft Musik, die Anwesenden sind gut gelaunt. „Das hat schon ein bisschen Festivalfeeling“, sagt die Dresdenerin.

„Gerade dieses Jahr hatte ich extrem viele Tickets schon gekauft für Konzerte. Das Jahr sah echt gut aus und das wurde dann alles ...
„Gerade dieses Jahr hatte ich extrem viele Tickets schon gekauft für Konzerte. Das Jahr sah echt gut aus und das wurde dann alles abgesagt. Ich bin heute hier, weil ich hoffe, dass die Eventbranche sieht, was wissenschaftlich aktuell wichtig ist und wieder Veranstaltungen stattfinden können. Tim Bendzko ist nicht meine Musik; ich höre eher so Metal und Gothic.“ – Daniela Borze, 33 Jahre alt, aus Dresden | Bild: Lena Reiner

In die Halle geht es für das erste Szenario wegen einer kleinen technischen Panne – es kamen 60 falsch programmierte Tracer in Umlauf – direkt zweimal. Denn auch der Einlass gehört mit dazu und soll untersucht werden. Dabei werden, wie bei einem normalen Konzert üblich, Tickets gescannt und Taschen kontrolliert.

Einlass zum ersten Szenario: Bis auf die Masken geht es wie bei einem ganz normalen Konzert zu.
Einlass zum ersten Szenario: Bis auf die Masken geht es wie bei einem ganz normalen Konzert zu. | Bild: Lena Reiner

Auch drinnen soll es beim ersten Szenario ganz normal zugehen: So werden Referenzwerte erstellt für abweichende Szenarien mit unterschiedlichen Abstandsregelungen. Die Presse darf beobachten: Mit Kamera, die auf den breiten Bügel der medizinischen Maske zusätzlich Druck ausübt, ist das zeitweise eine schmerzhafte Angelegenheit. Es wird schnell warm unter der Maske.

Ganz schön ungewohnt: Im ersten Szenario wird als Referenzwert für die späteren beiden Szenarien erstellt. Daher müssen die ...
Ganz schön ungewohnt: Im ersten Szenario wird als Referenzwert für die späteren beiden Szenarien erstellt. Daher müssen die Teilnehmenden so zusammenrücken, wie es ohne die Pandemie tun würden. | Bild: Lena Reiner

Das nächste Szenario beginnt: Das Publikum rückt zusammen. Es dauert einige Zeit, bis alle dieser Aufforderung Folge geleistet haben. „Man ist das einfach nicht mehr gewohnt“, sagt Probandin Jessica Hanke später.

Nachdem er mittags „Guten Morgen Leipzig“ gerufen hat, sagt Tim Bendzko: „Ich habe übrigens beschlossen, dass ich ...
Nachdem er mittags „Guten Morgen Leipzig“ gerufen hat, sagt Tim Bendzko: „Ich habe übrigens beschlossen, dass ich heute jedes Mal so tue, als würde ich euch zum ersten Mal sehen.“ Später wendet er sich erneut an sein Publikum, als er die Melodie zu „Hoch“ anstimmt: „Ich weiß, es ist unangenehm mit der Maske, aber hier müsst ihr mitsingen.“ | Bild: Lena Reiner

Tim Bendzko freut sich sichtlich, auf der Bühne stehen zu dürfen. Er bedankt sich mehrfach bei seinem Publikum und baut in den ein oder anderen Liedtext eine Anspielung auf die Coronapandemie ein. Doch die Stimmung bleibt verhalten.

Die Anweisung beim ersten Szenario lautet: Verhaltet euch so, als gäbe es keine Pandemie. Das heißt: Abstandhalten ist nicht erwünscht. ...
Die Anweisung beim ersten Szenario lautet: Verhaltet euch so, als gäbe es keine Pandemie. Das heißt: Abstandhalten ist nicht erwünscht. Manchen fällt das sichtlich schwer. Zur Sicherheit tragen alle Teilnehmenden medizinische Masken. | Bild: Lena Reiner

Als es nach draußen geht für die Simulation einer Konzertpause, halten die Anwesenden trotz gegenteiliger Aufforderung sofort wieder Abstand.

„Die Maske hat mich weniger gestört, als ich erwartet hatte. Aber keinen Abstand zu halten: das war wirklich ungewohnt. Man hält ...
„Die Maske hat mich weniger gestört, als ich erwartet hatte. Aber keinen Abstand zu halten: das war wirklich ungewohnt. Man hält ja aktuell überall Abstand, auch beim Einkaufen. So hat sich auch drinnen jeder einen Platz mit Abstand gesucht. Als es in der Halle dann hieß, wir sollten zusammenrücken, mussten wir ja auch mehrfach aufgefordert werden. Für mich ist heute sowieso vieles neu: Ich bin heute auch zum ersten Mal wieder Straßenbahn gefahren; mit der, die extra für die Studie gestellt wurde. Sonst erledige ich alles mit dem Fahrrad oder Auto.“ – Jessica Hanke aus Leipzig | Bild: Lena Reiner

Im Freien findet die echte Mittagspause statt, für das drinnen bei der Simulation der Essensausgabe lediglich Gutscheine ausgegeben wurden.

Bei der Essensausgabe, die Teil der Szenarien ist, werden lediglich Essensgutscheine ausgegeben. Im Inneren der Halle darf nicht ...
Bei der Essensausgabe, die Teil der Szenarien ist, werden lediglich Essensgutscheine ausgegeben. Im Inneren der Halle darf nicht gegessen oder getrunken werden. Die Risikominimierung für die Teilnehmenden steht den ganzen Tag über im Vordergrund. | Bild: Lena Reiner

Beim zweiten Szenario darf dann auch im Sitzen etwas Abstand eingehalten werden und der Einlass verlief ebenfalls mit mehr Abstandsregeln. Das Publikum wirkt entspannter, in manchen Kleingruppen entsteht richtige Konzertstimmung; es wird mitgesungen.

Nach einer Weile kommt – zumindest in manchen Publikumsreihen – beim zweiten Szenario echte Konzertstimmung auf.
Nach einer Weile kommt – zumindest in manchen Publikumsreihen – beim zweiten Szenario echte Konzertstimmung auf. | Bild: Lena Reiner

Nina Malek aus Hannover ist ebenfalls aus Überzeugung hier. Sie möchte einen solidarischen Beitrag für die Veranstaltungsbranche leisten; finanziell kann sie diese als Studentin nicht unterstützen.

„Es ist gar nicht meine Musik. Ich bin nur hier, weil ich so viele Künstler und Musiker im Freundeskreis habe. Ich möchte denen ...
„Es ist gar nicht meine Musik. Ich bin nur hier, weil ich so viele Künstler und Musiker im Freundeskreis habe. Ich möchte denen irgendwie unter die Arme greifen. Ich habe aber kein Geld, um meine Leute zu unterstützen. Darum mag ich mit der Teilnahme hier meinen Beitrag leisten. Dementsprechend habe ich etwas gelitten musikalisch, aber ich wusste ja, worauf ich mich einlasse. Das mit der Maske ist absolut kein Problem; wir sind das doch eh schon alle gewöhnt. Jeder, der sich da aufregt: Albern.“ – Nina Malek aus Hannover, 36 Jahre alt. | Bild: Lena Reiner

Das dritte und letzte Szenario zeigt dann, wie viel Platz es benötigen würde, wenn man tatsächlich die Zuschauer mit rundherum eineinhalb Metern Abstand platzieren würde. Die Halle, die zu Normalzeiten mehr als 4000 sitzenden Zuschauern Platz bietet, ist mit den 1400 Menschen durch die Abstandsregeln ganz schön voll.

Im letzten Szenario gilt ein Mindestabstand um die Probanden herum, die allein oder haushalts- bzw. pärchenweise zusammensitzen.
Im letzten Szenario gilt ein Mindestabstand um die Probanden herum, die allein oder haushalts- bzw. pärchenweise zusammensitzen. | Bild: Lena Reiner

Der Stimmung tut der Abstand jedenfalls keinen Abbruch. In den hinteren Reihen hält es ein paar Zuschauerinnen nicht mehr auf ihren Plätzen, sie wippen mit der Musik mit. Auch in den übrigen Reihen werden Handys als Feuerzeugersatz zum „Mitschunkeln“ gezückt.

Im letzten Szenario gilt ein Mindestabstand um die Probanden herum, die allein oder haushalts- bzw. pärchenweise zusammensitzen.
Im letzten Szenario gilt ein Mindestabstand um die Probanden herum, die allein oder haushalts- bzw. pärchenweise zusammensitzen. | Bild: Lena Reiner

Der lange und warme Studientag neigt sich dem Ende zu. Meine Maske hat unter der Kamera etwas zu viel Druck auf Nase und Wangen ausgeübt; die Druckstellen werden noch einige Stunden zu sehen sein.

Mit den gesammelten Erkenntnissen des Tages wollen die Studienleiter Modelle und Simulationen erarbeiten, die helfen sollen, Veranstaltungen wieder leichter möglich zu machen. Und zwar ohne das Risiko, ein sogenanntes Super-Spreading-Event auszulösen, bei dem sich viele Menschen auf einmal infizieren können.

Die Masken hinterlassen ihre Spuren. Abschlussfoto des Tages.
Die Masken hinterlassen ihre Spuren. Abschlussfoto des Tages. | Bild: Lena Reiner
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