Sie haben beide, jeder auf seine Art, Rockgeschichte geschrieben: Hitparaden-Star Eric Clapton, einst Mitglied der legendären Yardbirds und der nicht minder mythenumwobenen Cream, und Van Morrison, mit der Combo Them in den glorreichen Sixties die seinerzeit schärfste Rolling-Stones-Konkurrenz und seit mehr als einem halben Jahrhundert ein erfolgreicher Solo-Künstler.

Beide sind nunmehr 75 Jahre alt und beide mischen sich jetzt überraschend deutlich ein in die Diskussion um die Anti-Corona-Krisenmaßnahmen, die – mit der Ausnahme Schwedens und einiger anderer Länder – erstaunlich gleichförmig weltweit getroffen werden. Und zu deren Kennzeichen die Stilllegung ganzer Wirtschaftsbereiche gehört – auch die praktisch des gesamten Kultursektors: Kinos, Theaterstätten, Konzerthallen, Museen.

Gegen den Lockdown

Bereits im Herbst des letzten Jahres veröffentlichte Morrison via Internet mehrere Songs, deren Texte unmissverständlich den globalen Lockdown attackieren. Nun hat er ein Stück geschrieben, das dieses Mal nicht von ihm selbst, sondern von Kumpel Clapton interpretiert wird: „Stand and Deliver“ heißt es, und auf der Video-Plattform YouTube ist es bisher rund 300 000 Mal angeklickt worden.

Blues-Legende Eric Clapton will den umstrittenen Song als Zeichen der Solidarität verstanden wissen.
Blues-Legende Eric Clapton will den umstrittenen Song als Zeichen der Solidarität verstanden wissen. | Bild: Uwe Anspach

Die Lyrics sind einigermaßen starker Tobak: „You let them put the fear on you/but not a word you heard was true“ (“Du hast Dir von ihnen Angst einjagen lassen/aber kein Wort von dem, was Du gehört hast, war die Wahrheit“) heißt es da, und: „Do you wanna be a free man/or do you wanna be a slave?“ (“Willst Du ein Sklave sein oder ein freier Mensch?“). Im weiteren Verlauf des Songs ist von einem Polizeistaat die Rede und von Ketten, die einem angelegt würden. Zielloses Granteln zweier alter weißer Männer, über die die Zeit hinweggegangen ist?

„Risikogruppe begehrt auf“

Ein wahrer Shitstorm in den etablierten und in den neuen Medien brach los, nachdem der Song veröffentlicht war – insbesondere in Deutschland. „Achtung, die Risikogruppe begehrt auf“ lästerte ein renommiertes deutsches Online-Musikmagazin und stellte fest: „lyrisch armselig“.

Er werde ab jetzt seine alten Morrison-Alben nicht mehr anhören, verkündete gar ein User bei YouTube – als ob der künstlerische Wert von Meisterwerken wie etwa der LP „Astral Weeks“ (1969) dadurch geschmälert würde, dass der Sänger des Albums sich ein halbes Jahrhundert danach politisch weit aus dem Fenster lehnt.

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Was dabei bewusst oder unbewusst in den Hintergrund geschoben wird, ist der Umstand, dass die Kulturbranche zu denjenigen Bereichen gehört, die am massivsten von den aufeinanderfolgenden Lockdown-Maßnahmen getroffen wird. Für Musiker und für Theaterschauspieler gibt es nun schon seit vielen Monaten ein Auftrittsverbot, für die Mitarbeiter von Konzertveranstaltern, Theatern, Kinos und Museen ein faktisches Berufsverbot.

Akt der Solidarität?

Nun nagen natürlich weder Clapton noch Morrison am sprichwörtlichen Hungertuch: Von seinem Live-Album „Unplugged“ verkaufte Ersterer bis heute allein in den USA mehr als zehn Millionen LPs und CDs, Morrison seinerseits erzielte im Jahr 2018 nach Angaben seiner Plattenfirma ein Einkommen von rund vier Millionen Euro – vor Steuern.

Ihre Lockdown-Kritik wollen beide auch als einen Akt der Solidarität mit den vielen Musikern, die nicht so reich und berühmt sind und derzeit faktisch ohne Einkommen dastehen, verstanden haben – die Streaming-Einnahmen aus „Stand and Deliver“ sollen in vollem Umfang in den schon vor Monaten von Morrison gegründeten „Lockdown Financial Hardship Fund“ fließen – mit ihm sollen Musikerkollegen unterstützt werden, deren Lebensunterhalt in der Corona-Krise weggebrochen ist.

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Und das ist schließlich ein begrüßenswertes Engagement. Solidarität mit allen, die sie nötig haben, war schließlich einer der zentralen Werte der sogenannten Woodstock-Kulturrevolution, zu der natürlich auch Clapton und Morrison gehörten (auch wenn sie beide bei dem berühmten Festival nicht aufgetreten sind): Solidarität mit den Opfern der US-Flächenbombardements in Vietnam, mit den Hungernden in der Dritten Welt.

Mittellosigkeit und Unterdrückung gibt es aber nun (und gab es auch damals) nicht nur in Afrika, Asien und Lateinamerika, sondern auch in den angeblich so wohlhabenden Staaten der westlichen Welt – und die Corona-Krise wird all diese ökonomischen und sozialen Ungleichheiten zweifellos noch massiv verstärken.

Protestierende Künstler – alles Querdenker?

In Frankreich rief Mitte Dezember die Gewerkschaft CGT Spectacle, die sowohl Künstler als auch die Mitarbeiter von Kulturinstitutionen vertritt, zu einer Anti-Lockdown-Demonstration auf dem Place de la Bastille in Paris auf – und es kamen Zehntausende, unter ihnen auch der Sänger Benjamin Biolay, diverse YouTube-Influencer und Polit-Promis der Sozialistischen Partei und der französischen Linkspartei. Alles Querdenker?