Je nachdem, wen man so fragt, hat das Bildungssystem in der Corona-Krise geglänzt oder versagt. Recht haben beide: Manche Schulen und manche Lehrer sind seit März über sich hinausgewachsen, haben sich digitalisiert (oder waren es schon längst), haben ihre Schüler ermutigt, über Video unterrichtet und emotional Kontakt gehalten, kurz: einen großartigen Job gemacht.
Wochenlang abgetaucht
Andere hingegen waren wochenlang abgetaucht, haben auf Direktiven von oben gewartet (die nicht kamen), sich der Digitalisierung verweigert (O-Ton eines Junglehrers, kein Witz: „Videokonferenzen? Ich bin doch kein YouTuber!“), den heimischen Garten gepflegt und gehen nun auf die Barrikaden, wenn sie gebeten werden, in den Sommerferien Aufhol-Kurse für Krisen-Verlierer-Kinder anzubieten.
Es ist reines Glück oder Pech, woran man als Schüler gerät. Ob Corona einen unaufholbar ins Hintertreffen befördert hat, oder man sogar von Krise, Ruhe und Einzelbetreuung profitiert. Forscher haben errechnet, wie viele Hunderttausend Euro weniger die Corona-Generation in ihrem Leben verdienen wird, weil Lehrer, Schulleiter, Ministerialbeamte und Ministerin ihren Job nicht gemacht haben. Das Schlimme daran: Die Einbußen werden sehr ungleich verteilt sein – und völlig willkürlich.
Einfache Frage
Was genau ist denn der Zweck, der Sinn, das Ziel von Bildung in diesem Land? Es ist verblüffend: Diese einfache Frage hat Deutschland sich nie gestellt. Und doch gibt es ganz viele Antworten, je nachdem, wen man so fragt. Geht es um formale Qualifikation, also: Abschlüsse?
Geht es um Lerninhalte (einen Literaturkanon, mathematische Formeln, Programmiersprachen, Evolution, Revolution und Inflation)? Geht es um Kompetenzen (Textverständnis, vernetztes Denken, soziales Handeln, sinnvolle Kommunikation, kreative Problemlösung, Teamarbeit, Abstraktionsvermögen, Selbstreflexion)? Oder gar darum, jede Schülerin und jeden Schüler als komplexe Persönlichkeit zu erkennen, zu akzeptieren, zu fördern und beim Wachsen zu begleiten, egal, ob aus diesem Menschen mal ein Schauspieler, Finanzbeamter, Professor für Astrophysik oder Stahlgießer wird?
Weil darüber anscheinend niemand auch nur diskutieren mag, schreibt man lieber nach jedem Regierungswechsel neue Bildungspläne, erfindet neue Schulformen und mottet alte ein, macht lieber Wahlkampf als Bildungspolitik, regt sich über Pisa-Studien auf, lamentiert über die Dummheit von Schülern und haut sich gegenseitig Klischees von (je nachdem, wen man so fragt) faulen, überbezahlten oder überforderten, idealistischen Lehrern um die Ohren.
Fachwissen oder Empathie?
Unser Schulsystem macht alle verrückt: Schüler, Lehrer, Eltern. Weil sie nicht wissen, woran sie eigentlich sind, was das alles eigentlich soll, was von ihnen erwartet wird, was richtig ist und falsch. Muss ein Lehrer viel Fachwissen haben oder viel Empathie? Soll er Fakten vermitteln oder Menschen entwickeln? Soll er jeden Schüler am Beginn eines Schuljahres abholen, oder am Ende alle danach prüfen, wie gut sie in zentral definierte Schubladen passen?
Neuseeland richtet sein Schulsystem nach dem „Well-Being“, dem Wohlbefinden von Schülern und Lehrern aus. Wir müssen leider feststellen: Neuseeland liegt nicht nur geografisch am anderen Ende der Welt.