Und das soll ein Kunstmuseum sein? Ratlos blättert der Erstbesucher im Stadtplan oder nestelt an seinem Handy, um die Adresse zu prüfen. Kunstmuseum Ravensburg in der Burgstraße 9, die Adresse stimmt. Auf den ersten Blick wirkt das Gebäude wie eine in die Jahre gekommene Burg, ausgestattet mit schmalen Fenstern, fast groß wie Schießscharten. Erst beim genauen Hinsehen zeigt die Zitadelle seine wahre Bestimmung als Ort der Kunst – plötzlich entdeckt man elegante Winkel oder den riesigen Erker, der keck auf die Straße schaut.
Ute Stuffer und ihre Mitarbeiterinnen feiern ein kleines Jubiläum. Vor zehn Jahren erst wurde das Gebäude seiner Bestimmung übergeben. Stuffer, 47, leitet das Haus, das sich der zeitgenössischen Kunst widmet, seit fünf Jahren.
Sie verweist auf zahlreiche Details, die von den Baumeistern geschickt eingearbeitet wurden und die zeigen: Nicht nur die Bilder sind sehenswert – das Konstrukt mit dem gewellten Dach ist selbst ein Kunstwerk ersten Grades. Es wurde vom bekannten Architekten Arno Lederer entworfen (Büro LRO/Lederer+Ragnarsdóttir+Oei), der erst vor wenigen Wochen im Alter von 75 Jahren verstorben ist. Lederer hatte sich einiges einfallen lassen, um der oberschwäbischen Kreisstadt ein Juwel zu schaffen.
Gute Ökobilanz
„Viele Museen beneiden uns um diesen Bau“, berichtet Ute Stuffer. Die Architekten um Arno Lederer setzten von Anfang auf ein Passivhaus. Dessen Ökobilanz ist fantastisch. Das kolossal wirkende Bauwerk wirkt zeitlos, dabei ist es energetisch auf der Höhe der Zeit. Lederers Werk hat Auszeichnungen in Serie eingeheimst, der Deutsche Architekturpreis 2015 ist einer davon.
Viele haben sich damals gewundert, wie in der schwäbischen Provinz ein Zentrum für ausschließlich moderne Kunst entstehen konnte. Dieser seltene Fall verdankt sich zwei Glücksfällen, die sich ergänzen.
Das eine Glück beginnt mit einem Todesfall: Der Ravensburger Peter Selinka hatte in den 50er-Jahren mit dem Sammeln von Bildern begonnen. Dabei hatte er sich auf Expressionisten geworfen in einer Zeit, als diese Stilrichtung kaum jemanden interessierte. Selinka wollte seine wertvollen Bilder der Stadt vermachen. Diese nahm den Ball dankend auf, stand aber vor einer einschneidenden Frage: Wohin mit dem Geschenk? Ravensburg hatte keine zufällig leer stehende Halle in der Hinterhand.
In dieser Situation greift der zweite Glücksfall, wobei sich Bürgersinn mit Branchenkenntnis verbinden: Das Bauunternehmen Reisch mit Sitz in Saulgau nahm die Sache in die Hand und stellte der Stadt 2013 das schlüsselfertige Museum hin. Die beiden Firmenchefs Hans Jörg und Andreas Reisch kauften erst das nötige Gelände am Rand der Altstadt zusammen, ließen einiges abreißen und bauten das heutige Kunstmuseum auf. Sie stellen es der Stadt kostenlos zur Verfügung, die es als Gehäuse für die geschenkte Sammlung dankbar annahm. Dass es durch seine Passivbauweise günstig wirtschaftet, kommt als Pluspunkt dazu.

Der Neubau hat eine spannende Vorgeschichte: Die Ziegel stammen aus einem belgischen Kloster, das abgerissen wurde. In Ravensburg wurden sie dann zum zweiten Mal verbaut. Auch daher rührt der zeitlose Eindruck, den man von der Außenhülle hat. Sie war nie neu und wird nie veralten. „Architektur ist ein Staffellauf“ – so lautete die Maxime des Stuttgarter Architekten Lederer. Will sagen: Einer baut auf den Errungenschaften des anderen auf.

Mit der Resonanz ist die Direktorin zufrieden, 30 000 Besucher zählt die Kasse im Schnitt. „Das Museum wird fantastisch angenommen“, sagt Ute Stuffer. Drei Sonderausstellungen stellen die Kuratorinnen im Jahr auf die Beine. „Der Wechsel ist wichtig. Das bedeutet, dass wir immer viel zu tun haben.“ Tragend sind die Stücke aus der Pelinka-Sammlung, die immer gezeigt wird. Eines davon stammt aus der Hand von Alexej von Jawlensky, sein Bild „Spanisches Mädchen“ ist der ewige Hingucker. Wer die Treppe ins zweite Obergeschoss hochkommt, stößt sehr schnell auf diese Malerei des Russen. Eine Zeitung nannte sie kürzlich die „Mona Lisa von Ravensburg“.

Die Treppen gehören zur Spezialität des Baus. Lederer hat hier ausnahmsweise viel Licht spendiert; die Besucher nehmen die breit leuchtenden Stufen, bevor sie in das Dunkel des Ausstellungsraumes treten. „Das ist eine der wenigen Stellen, an denen Licht hineinfällt“, erklärt Stuffer. Noch ein Detail: In den großzügig bemessenen Vorraum gerät man über eine prächtige Drehtür. Arno Lederer wollte diese Form des Eingangs. Sie wirkt großzügig wie ein Grandhotel. Die Verkleidung von Tür und benachbarten Wänden ist aus glänzendem Kupfer gearbeitet. Das nimmt dem Raum die Strenge und mildert den ersten Eindruck der Bastion.