Beide sind Meeresbewohner: sowohl der größte Fisch der Erde, der Walhai, als auch das größte Säugetier – der Blauwal. Neben ihm wirken im direkten Größenvergleich selbst Elefant und Giraffe wie Kleinsäuger. Um den Besucher der Ausstellung im Museum LA 8 für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden auf die ganz anderen Dimensionen der Weltmeere einzustimmen, erwartet ihn deshalb gleich eingangs das mächtige, acht Meter lange Skelett eines Schwertwals – Relikt des Exemplars einer noch eher zierlich zu nennenden Walart. Unmittelbar daneben platziert ist der gewaltige Schädelknochen eines Finnwals.
Die gewichtigen Ausstellungsstücke stammen aus dem Deutschen Meeresmuseum Stralsund; auch Leihgaben aus dem Schifffahrtsmuseum Rostock oder dem Deutschen Historischen Museum in Berlin werden geboten. Es geht ums Meer, die „hohe See“ im 19. Jahrhundert. Als „Schön und gefährlich“ beschreibt sie der Titel der Schau.
In der Tat: Neben seiner einzigartigen Ästhetik eignete den Weltmeeren bis vor gar nicht langer Zeit ein Faktor beträchtlicher Unberechenbarkeit. Vor Gericht und auf hoher See ist man sprichwörtlich in Gottes Hand. Das Meer ist – oder war bis zum 19. Jahrhundert – eine Sphäre der ästhetischen Erhabenheit wie unwägbarer Risiken.

Die Zivilisationsgeschichte des Meeres stellt sich so vornehmlich als Geschichte vom Kampf des Menschen gegen die maritimen Naturgewalten dar – auch wenn gerade im 19. Jahrhundert der technische Fortschritt in Schiffsbau und Navigation die Gefahren der Seefahrt erheblich minderte. Heute ist die Ursache für Schiffsunglücke viel häufiger technisches oder menschliches Versagen als die Naturgewalt des Meeres. Andreas Achenbachs malerische Schilderungen von Schiffen in schwerer See bezogen demgegenüber ihre Spannung aus den Unbilden von Wetter und Seegang. Sie machte Achenbach visuell nacherlebbar.
Die Urgewalt des Meeres
In der schäumenden Gischt wild bewegter Wellen vermittelt sein Gemälde „Einschiffung bei Sturm“ (1871) eine Ahnung von der Urgewalt des Meeres. „Mondnacht“ zeigt ungeachtet des romantischen Titels ein bei Unwetter auslaufendes Rettungsboot. Schon dem jungen Achenbach wurde 1842, im Jahr nach dem Unglück, der Untergang des Dampfschiffs „President“ zum Sujet.
Wie seine spätere Lithografie „Untergang“ versetzt das Gemälde den Betrachter mit geradezu fotorealistischer Naturtreue in ein mögliches Untergangsszenario. Die Gefahren der Seefahrt erklären auch die imperiale Pose einer ausgestellten Gallionsfigur: Der Eigner einer deutschen Schiffsflotte ließ sich im Habitus eines Eroberers, mit der Hand in der Knopfleiste des Mantels porträtieren. Ein Napoleon der Meere.
Schiffskatastrophen flankierten die Eroberung der Weltmeere, die bis heute wohl weniger gut erforscht sind als das Weltall: Die erste deutsche Tiefseeexpedition gab es 1898. Beispiele, die sich ins Gedächtnis der Menschheit gebrannt haben wie der Untergang der Titanic oder die Havarie der Méduse (für Théodore Géricault liefert sie den Vorwurf für das existenzielle Drama seines Gemäldes „Das Floß der Medusa“) thematisiert die Schau mit Schiffsmodellen, künstlerischen Darstellungen und Fotografien.
Zum Thema werden auch die Anfänge der modernen Tauchtechnik – mit Taucherglocke oder originalgetreuem Nachbau der Kreeft‘schen Tauchmaschine –, der im 19. Jahrhundert ökonomisch bedeutsame Walfang und die ersten Geh- oder besser Segelversuche des modernen Seenotrettungswesens.
Zerstörungslust und Heimtücke
Die „Zerstörungslust“, „Heimtücke“ und „unermessliche Grausamkeit“ – für Joseph Conrad charakteristische Merkmale der Ozeane – sind als Anthropomorphisierung des Meeres Projektionen menschlichen Umgangs mit ihm selbst. Von Seekriegen und der Brutalität des Walfangs über die Verklappung von Atommüll bis hin zur Verunreinigung der Meere durch Plastikmüll – für Museumsdirektor Matthias Winzen diente das Meer je schon als „Auslagerungscontainer“ menschlich-zivilisatorischer Widersprüche.
Schon immer galt die See auch als Spiegel menschlicher Existenz wie in Caspar David Friedrich Gemälden „Lebensstufen“ und „Mönch am Meer“. Und die „Dialektik der Aufklärung“ von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer deutet die Irrfahrten des „listenreichen“ Odysseus als Kapitel aus der Urgeschichte des bürgerlichen Subjekts.
Die Kehrseite aller Schrecken und Gefahren von hoher und Tiefsee sowie der Seefahrt war freilich stets – Faszination. Der geradezu poetisch anmutende Hymnus auf die Meeresflora und -fauna aus der Feder Matthias Jacob Schleidens – des bedeutenden Biologen und Mitbegründers der Zelltheorie – oder ihre zwischen Wissenschaftsillustration und Kunst oszillierende visuelle Darstellung durch Ernst Haeckel legen davon Zeugnis ab.
Professionelle Künstler wie Hans Thoma und Max Klinger setzten auf mythische Gestalten wie verführerische Meeresnymphen, um den Sirenengesang der Ozeane hörbar zu machen: In Klingers Ölbild „Sirene“ wälzen sich auf offenem Ozean ein Triton und eine Nereide lustvoll im Lotterbett schäumender Wogen.
Museum LA8, Lichtentaler Allee 8, Baden-Baden. Bis 27.2.2022, Di. bis So. 11-18 Uhr. Weitere Informationen: www.la8.de