Was für ein Heidenspaß, Theater zum Mitmachen und Miterleben, Theater zum Anfassen und Ausprobieren, Theater interaktiv! Gesucht wird in Philipp J. Ehmanns neuem Stück das Abenteuer, die Gefahr und auch die Flucht aus dem Alltag. Weg von dem Coronafrust hinein in die Kunst.

Das Stück gäbe es nicht ohne den Erfolgsroman „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ von Jules Verne, so etwas wie dem Urvater der Science-Fiction Literatur. Entstanden 1864, gehört das Buch zu den großen Werken der Weltliteratur. In Ehmanns Mittelpunkt der Erde gruselt es gewaltig, doch immer mit einer großen Lust auf das Entdecken, auf das Außergewöhnliche beim Aufspüren in der Natur.

Ein Lampe für jeden Zuschauer

Alles beginnt damit, dass die Wissenschaftlerin Gretchen Vierland (Bineta Hansen) jedem der Zuschauer eine Karbidlampe in die Hand drückt, mit deren Hilfe man dann in das dunkle Innere der Spiegelhalle vordringt. Dort scheint man in einem unterirdischen Stollen, man weiß nicht so recht, wohin die Reise gehen soll.

Gretchen sucht nach dem verschollenen Axel Lidenbrock (Dominik Puhl). Erst einmal versammelt man sich an einem langen Tisch, auf dem allerhand Gerätschaften zu finden sind, Mikroskope, OP-Besteck, eine Eieruhr (sie gibt später das Tempo des Stückes vor), Töpfe und Tiegel aus Kupfer, ein Fernrohr.

All das soll und darf man anfassen, Neugier ist erwünscht. Man begibt sich auf ein extraordinär wissenschaftliches Unterfangen. Die Gäste werden in Gruppen aufgeteilt und müssen verschiedene Aufgaben lösen. Es ist eine Reise ins Ungewisse, keiner weiß genau was kommen wird, im Hintergrund wabern satte Synthesizer Klänge (Sound von Abby Lee Tee).

Als Bühnenbild (Andreas L. Mayer und Lilli Lehmann) dienen bizarre mannshohe Gebilde aus Felsen, die eine Höhle simulieren, aufgebaut wie ein Labyrinth. Es stellt sich die Frage, was im Erdinnern an Pflanzen und Tieren vorhanden ist, dabei wird Wissenschaft immer auch als Karikatur begriffen, es darf nicht bierernst sein, es muss Spaß machen. Gretchen erklärt, doziert mit Nachdruck und Verve, was sich hinter den Kulissen verbirgt, Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg.

Gretchen Vierland (Bineta Hansen) nimmt die Fährte auf: Wo steckt nur der verschollene Axel Lidenbrock?
Gretchen Vierland (Bineta Hansen) nimmt die Fährte auf: Wo steckt nur der verschollene Axel Lidenbrock? | Bild: Ilja Meß / Theater Konstanz

Nachdem die diversen Aufgaben verteilt sind, beginnt die Reise ins Innere der Höhle, Rauch steigt in die Luft, die Karbidlampen leuchten diffus die Szenerie aus. Auf die Felsen sind Bilder gemalt, Fische, Pilze, der Himmel ist aus Watte gemacht, aus dem Off hört man Stimmen, alles mutet ein wenig surreal an, beinah scheint man sich zu verirren, doch Gretchen hilft und ist stets zu Diensten, wenn es etwas zu erklären gibt. Man ist in die skurrile Welt versetzt, die Jules Verne einst erfunden hat, durchaus mit dem Impetus, die Natur als ein Geschenk zu begreifen.

Gewiss gab es im 19. Jahrhundert noch keinen Klimawandel und auch keine Coronaepidemie, doch gerade hier will Ehmann ansetzen und uns klar machen, dass es eben nur eine Natur gibt, die uns von der Schöpfung geschenkt wurde, und mit der wir sorgsam und mit Bedacht umgehen sollten. Man trägt Maske während des Stücks, man schützt sich, das ist auch gut so. Tiere greifen ein, ein Mammut, ein Delphin, man stößt bei der Suche auf Knochen, dabei erklärt sich Zeit nicht nur als etwas Relatives, sondern auch als knapp und kostbar. Wie sagt man es dieser Tage so treffend, es gibt für unsere Erde keinen Plan B, wir haben nur die eine. Und plötzlich passiert das Unglück doch, man hat Pilzsporen eingeatmet.

Denkanstöße statt Belehrung

Die Welt, wie sie im innersten zusammenfällt, die Wissenschaft scheint den Überblick verloren zu haben, Abgründe üben eine berauschende Anziehungskraft aus. Doch es gibt einen Silberstreifen am Horizont, die Luft riecht wie eine Blumenwiese.

Philosophisch wird gefragt, wie man den Urzustand der Welt benennt. Das zu beantworten ist keine einfache Geschichte. Ehrmann lässt dem Zuschauer die Freiheit, das selbst zu entscheiden. Er will nicht belehren, sondern lediglich Denkanstöße liefern. Hat Tourismus eine moralische Dimension? Muss der Mensch sich die Natur zum Untertanen machen? Wie weit darf man in die Natur eingreifen?

Die Zuschauer werden leise und heimlich in einen Diskurs verwickelt, die Luft scheint dünn, ewig grüßt der Killerpilz. Doch es muss einen Ausweg geben. Welchen, das lässt die Szenerie offen. Liebe vielleicht, Zuneigung, Sorgsamkeit, Rücksicht? Jedenfalls wird die Luft immer dünner, das müssen wir uns klar machen, je schneller und konsequenter desto besser.

Dann geht es für die Zuschauer oder besser Besucher zurück an den Tisch, die Ergebnisse der Reise werden ausgewertet, die Uhr ist abgelaufen. Doch es scheint etwas passiert zu sein, man wartet schon die ganze Zeit auf Axel, wo steckt der eigentlich? Eine Expedition birgt immer auch Gefahren, vermutlich handelt es sich hier um eine ernste Vergiftung. Gretchen führt uns dann in einen kleinen Verschlag, dort hat sich Axel versteckt. Er sieht schaurig aus, beinah entstellt, voller Seetang und das Gesicht wie durch ein Feuer verätzt.

Axel lehnt am Baum des Lebens, er findet nur wenige Worte, es gibt Hoffnung. Noch können wir die Erde als das begreifen was sie ist, nämlich ein Geschenk. Noch.

Kommende Termine am 24., 28., 29. und 31. Mai jeweils um 18.30, 19.30 und 20.30 Uhr. Weitere Informationen: http://www.theaterkonstanz.de