„Ich arbeite wie ein Gärtner oder ein Winzer“, erklärte Joan Miró. „Die Dinge entfalten sich langsam. Meinen Formenschatz habe ich nicht auf einen Zug entdeckt. Er hat sich von selbst gebildet. Die Dinge folgen ihrem natürlichen Lauf. Sie wachsen, sie reifen. Das Reifen geschieht in meinen Kopf.“

In jener überaus lebendigen Fülle und fantasievollen Vielfalt der Farben und Formen kann der Besucher den Rundgang durch die reich bestückte Ausstellung „Joan Miró – Magie der Zeichen“ im Stadtmuseum Stockach erleben.

Farbfelder und Linienzeichen: Aquatinta-Radierung aus der Serie „Espriu“ von 1975.
Farbfelder und Linienzeichen: Aquatinta-Radierung aus der Serie „Espriu“ von 1975. | Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Edmund Möhrle

Über zwei Etagen des Dachgeschosses breitet sich das Werk des großen Spaniers aus; der Schwerpunkt liegt auf seinen druckgrafischen Arbeiten. Mit rund 80 Radierungen, Lithografien und Zeichnungen aus mehreren Privatsammlungen legt die Schau den Fokus auf das zweite große Aktionsfeld des Künstlers, neben seiner Malerei, Skulptur und Keramik.

Wenn der Betrachter in die farb- und formintensive Bildwelt Mirós eintaucht, erfordert es ein konzentriertes Hinschauen, um die Veränderung seiner Bildsprache nachzuverfolgen, denn Miró hatte schon früh die wesentlichen Merkmale seines typischen Stils gefunden.

Beginnend bei den noch figürlich inspirierten Radierungen von 1930, über die rein abstrakten Arbeiten seit den 40er-Jahren bis hin zu den luftig aufgelösten Farb- und Linien-Kompositionen der 80er-Jahre fächert die Ausstellung die ganze Bandbreite seines Schaffens auf. Illustrierte Bücher, Plakate, Fotografien, Materialien zu den Techniken von Radierung und Lithografie sowie zwei Wandteppiche runden die Ausstellung ab.

Geboren 1893 in Barcelona, zog es Joan Miró 1920 nach Paris, wo er mit Einzelausstellungen erste Erfolge feiern konnte und 1924 Anschluss an den Kreis der Surrealisten um André Breton, Max Ernst und René Magritte fand. Bis 1936 pendelte Miró zwischen Barcelona und Paris, mit Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges übersiedelte er nach Paris.

Nach der Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen kehrte Miró 1940 nach Spanien zurück, wo er zunächst in Palma de Mallorca, ab 1942 in Barcelona wohnte. 1948 kehrte er vorübergehend nach Paris zurück, seit 1956 lebte und arbeitete er in Palma. Dort starb Joan Miró 1983. Seit den 40er-Jahren gehörte Miró mit Ausstellungen und Wandbild-Projekten in Paris, New York, Zürich, Venedig und Barcelona zu den bedeutendsten Malern des 20. Jahrhunderts.

Joan Miró, Ma de proverbis.
Joan Miró, Ma de proverbis. | Bild: Successió Miró, VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Edmund Möhrle

Beliebt ist Miró vor allem wegen seiner heiter-verspielten Bildwelt aus ungegenständlichen Formgebilden, Farbflächen und rhythmischen Linienstrukturen, die sich wie in einem freien organischen Wachstumsprozess über die offenen Bildräume ausbreiten und dort ein magisches Eigenleben entwickelt.

Fantasie und Imagination, Bewegung und Transformation prägen den Ausdruck seiner Werke. Ausgehend von der Landschaft und Natur Kataloniens und gefundenen Objekten am Strand gelangte Miró schrittweise zu seinen zeichenhaft verdichteten Bildlösungen, erfüllt von der Leuchtkraft der Farben und Leichtigkeit der Linienschwünge, von mediterraner Lebensfreude und sinnlicher Atmosphäre.

„Jede Form, jede Farbe in meinen Bildern geht auf ein Stück Wirklichkeit zurück“, sagte Miró. Und so scheinen aus seinen freien, assoziativ aufgebauten Bildwelten Dinge wie Sterne, Augen, Vögel, Pflanzliches, Figurinen auf. Tanz und Theater bildeten weitere Inspirationsquellen für Mirós dynamisch bewegten Bildergarten.

Eine intensive Beziehung zur Literatur wirkte als wichtiger Impulsgeber. Häufig illustrierte, kommentierte oder ergänzte Miró mit seinen Bildzeichen aus Traum und Poesie literarische Texte. Begleitend zu den lyrischen Formen- und Farbwelten kann der Betrachter die dazugehörigen Verse und Texte von Literaten wie Alfred Jarry oder René Char lesen.

Anregung für die Fantasie der Betrachter: Joan Miró, Die Vogelkutsche.
Anregung für die Fantasie der Betrachter: Joan Miró, Die Vogelkutsche. | Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Edmund Möhrle

Seinen Bildern verlieh Miró oftmals stimmungsvoll beschreibende Titel wie „Zerstreute Blätter“ (1957), „Der Gleichgültige“ (1955), „Sonne und Wind“ (1963), „Das Pflanzenreich“ (1968) oder die „Die Vogelkutsche“ (1973) und signalisierte damit eine über das abstrakte Formenrepertoire hinausweisende inhaltliche Lesart und symbolische Bedeutung seiner Werke.

Die Stockacher Schau spiegelt außerdem seine enorme Popularität und Produktivität nach 1945. Vor allem in den 60er- und 70er-Jahren konzentrierte er sich auf die Herstellung von Farblithografien, die – nicht zuletzt auf Anregung von Galeristen und Verlegern – in großen Auflagen die Sammler und das breite Publikum erreichten.

Einziger Wermutstropfen für das Ausstellungserlebnis bleibt die sehr dichte Hängung der Exponate, welche die Präsentation allzu gedrängt wirken lässt. Erfreuen dürften die jungen Besucher die zahlreichen museumspädagogischen Mitmach-Stationen. Begleitet wird die von Museumsleiter Johannes Waldschütz ambitioniert kuratierte Ausstellung von einem umfangreichen Katalog.

„Joan Miró – Magie der Zeichen“, bis 13. November im Stadtmuseum Stockach. Öffnungszeiten: Di.-Sa. 10-17, So. und Feiertag 13-17 Uhr