Eigentlich hatte niemand mehr damit ge­rechnet. Dass nämlich Kunst noch provozieren, für Schlagzeilen oder erregte Diskussionen sorgen könnte. Schienen doch alle Schlachten bereits geschlagen: für die Durchsetzung einer auf Provokation gebürsteten Moderne. Und gegen kunstfremde Tabuisierungen und Be­schränkungen solcher Kunst. Wirkliche oder vermeintliche Zumutungen wurden schließlich stillschweigend hingenommen.

Die unglaublichen Summen, die für moderne und bald auch für zeitgenössische Kunst gezahlt wurden, taten ein Übriges zu dieser vermeintlichen Befriedung: Gegen Millionenwerte lässt sich schwer argumentieren. Die Preise für Kunst stiegen und stiegen – in astronomische Höhen, wie man sie heute kennt. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – und kostet im Zweifel inzwischen mehrere hundert Millionen Euro.

Doch dann das. Ein Gemälde des vikt­orianischen Malers William Waterhouse in der Manchester Art Gallery war im Januar 2018 weltweit in den Schlagzeilen. Wegen einiger barbusiger Nymphen in einem Teich war es abgehängt worden: Sexismus-Verdacht!

Das Gemälde „Hylas und die Nymphen“ (1896) von John William Waterhouse im Lager der Manchester Art Gallery. Wegen der ...
Das Gemälde „Hylas und die Nymphen“ (1896) von John William Waterhouse im Lager der Manchester Art Gallery. Wegen der Darstellung von Frauen war es dort aus der Ausstellung entfernt worden – das sorgte für Entrüstung. | Bild: Britta Schultejans / dpa

Ob feministischer Übereifer für die Entfernung des Bildes verantwortlich war oder das Ganze tatsächlich eine künstlerische Aktion war, wie das Museum eilig verbreiten ließ – in der öffentlichen Debatte über den Vorgang erhoben die einen den Vorwurf der Zensur, während andere das Ereignis tiefer hängten und manche den Verantwortlichen zu der Entscheidung gar gratulierten.

Die öffentliche Erregung über den Vorgang hatte zweifellos mit der zeitlichen Nähe zur MeToo-Debatte zu tun, die seit Oktober 2017 die Gemüter erhitzt.

Erst der Streit, dann die Ausstellung

Das Kunstmuseum Basel nimmt diesen Streit zum Anlass für die Ausstellung „Kontrovers?“. Mit Werken aus dem Bestand der öffentlichen Kunstsammlung Basel stellt das Museum die grundsätzliche Frage nach dem Erregungspotenzial von Kunst.

Dass sich ausgerechnet ein Ausstellungshaus am Rheinknie diesem Thema widmet, ist wohl kein Zufall: Im Sommer 2018 hatte die große Retrospektive zum Werk des französischen Malers Balthus in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel bereits im Vorfeld für Diskussionen gesorgt.

Denn: Durfte man Bilder dieses Malers mit dem Motiv halbwüchsiger Mädchen in ungezwungener Pose überhaupt ausstellen? Oder war das nicht bereits Stoff für pädophile Fantasien? In New York hatten Ende 2017 mehr als 11.000 Unterzeichner einer Online-Petition gefordert, das Metropolitan Museum Of Art solle Balthus‚ Gemälde „Thérèse, träumend“ abhängen: wegen „Voyeurismus und Sexualisierung von Kindern“.

Das Museum beugte sich dem öffentlichen Druck damals nicht. Und jetzt war eben dieses Bild – neben anderen umstrittenen Gemälden – in Riehen bei Basel zu sehen.

Einleitend nimmt die aktuelle Basler Ausstellung unzweideutig auf die Kontroverse um Balthus Bezug – mit dem „Bildnis des Mädchens Ida Antony“ (1910) des Basler Malers Eugen Ammann. Es zeigt eine Halbwüchsige im Sommerkleid mit etwas nackter Haut. Sehr viel freizügiger ist Emil Beurmanns darauf folgender „Mädchenakt“ von 1890 – oder eine Lithografie mit weiblichem Akt in gebückter Haltung von Auguste Rodin (1897).

Nacktheit gibt es in der Kunst schon lange

Andere nackte Tatsachen sind viel älteren Datums. Seit der Renaissance fanden Künstler in antiken mythologischen oder biblischen Stoffen eine Möglichkeit, die künstlerisch ansonsten verpönte Nacktheit darzustellen. So setzte Jean-François de Troy 1734 den Mythos von Diana, die von Aktäon im Bade belauscht wird, künstlerisch um.

Knapp zwei Jahrhunderte früher entstand Lucas Cranachs d. Ä. Gemälde „Lucretia“. Es ist nicht seine einzige Darstellung des Motivs der nackten, einen Dolch gegen sich kehrenden Selbstmörderin. Frühe Pornografie?

Lucas Cranach d.Ä.: „Lucretia“ (um 1535/40).
Lucas Cranach d.Ä.: „Lucretia“ (um 1535/40). | Bild: Kunstmuseum Basel / Martin P. Bühler

Angesichts des Umstands, dass in der Vergangenheit nur wenige Frauen Eingang in die Kunstgeschichte fanden, fragten die Guerilla Girls 1989 in einer Collage provokant und nicht ohne Grund: „Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?“

Die deutsche Gegenwartskünstlerin Rosemarie Trockel aber drehte den Spieß einfach um – und wartete mit Darstellungen nackter Jünglinge und Männer „nach Balthus“ oder „nach Ernst Ludwig Kirchner“ auf.

Unter dem Motto „Kritik der Verhältnisse“ versammelt die Ausstellung auch Kunstwerke, die aufgrund ihrer politischen Botschaft umstritten waren. Nicht nur das: Klaus Staecks beißende Kritik ließ Bundestagsabgeordnete der CDU sogar zu Bilderstürmern werden. 1976 verwüsteten sie Werke des Plakatkünstlers in einer Ausstellung.

Der Maler Erik Bulatov wagte es gar nicht erst, im Sowjetstaat systemkritische Gemälde – etwa „Einstimmig“ (1987) – auszustellen. Dagegen ließ sich Gustave Courbet seine künstlerische Kritik an der Kirche nicht abmarkten. Josef Ratzinger wiederum nahm als Papst Benedikt XVI. Anstoß an Martin Kippenbergers geschmackloser Darstellung eines gekreuzigten Froschs.

Auch Fälschungen werden in Basel gezeigt

Auch belastete Lebensläufe – wie Emil Noldes Nähe zu den Nationalsozialisten oder Edgar Degas‘ Antisemitismus –, dazu Fälschungen und umstrittene Erwerbungen werden in der Ausstellung zum Thema gemacht.

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