Es gibt eine neue Mode: Reborn. Erwachsene Frauen behandeln lebensgroße Puppen wie echte Kinder. Sie wickeln, baden und füttern ihre lebensgrossen Vinyl-Babys. Krank? Ein Skandal?
Hobby erregt die Gemüter
Es gibt Männer, die schlafen mit Sexpuppen. Es ist schon seltsam, wie das harmlose Hobby der Puppen-Mütter die Gemüter erregt. Auch meines. Was andere fühlen, kann niemand beurteilen. Man muss schon von sich selber sprechen.
Als Kind gekränkt
Ich fühle mich gekränkt – und zwar als Kind. Wenn eine Mutter ebenso gut einer toten Puppe ihre Zuneigung schenken kann: Entwertet sie damit nicht mein Lebendigsein als Kind? Die Puppe wird zu einem unheimlichen Rivalen. Und ich kann mich nicht einmal emotional wehren. Denn wie kann ich eifersüchtig auf ein tote Hülle sein?
Ich denke an meine eigene Mutter: Hätte sie mich nicht lieber als Puppenkind gewollt? Als ein Kind, das nicht stört, das nicht aggressiv ist, das sie nie verlassen kann?
Seelenlose Wesen
Ich bin verunsichert. Wenn sich mütterliche Zuneigung einem seelenlosen Wesen zuwenden kann: Kann die Gesellschaft dann überhaupt noch mit echter Mutterliebe rechnen? Ist Muttersein nur eine Rolle?
Liebe zu toten Sachen
Ich entdecke plötzlich das Christentum: Feiert es nicht die Menschwerdung Gottes in einem lebendigen Jesuskind? Die Auferstehung des Leibes im Geist? Warum liebe ich selber so viele tote Sachen?
Ich sage mir: Du wehrst dich gegen Puppen-Liebe nicht, weil sie dir so fremd ist. Sondern weil sie dir so nah ist und du die Entfremdung deiner eigenen Gefühlswelt fürchtest. Du kommuniziert jeden Tag mit deinem toten Computer. Du willst ihn mit jedem Update zu neuem, besseren Leben erwecken – Reborn. Du fütterst die Maschine mit Daten wie die Puppen-Mami ihr unbelebtes Kind. Du liebst die seelenlosen Pixel-Gestalten auf dem Display, du spielst mit ihnen, gibst ihnen deine Sehnsüchte und Hoffnungen. Du weisst, dass sie tot sind. Aber dein Wissen hilft dir nicht.
Tote Welt der virtuellen Realität
Du liebst die tote Welt der virtuellen Realität. Deine Liebe, ausgerechnet das beste aller menschlichen Gefühle, wird dir zum Verhängnis. Du liebst das Tote. Waren, Produkte, Geld. Autos, Geräte, Hightech. Sie erziehen dich zum maschinentauglichen Wesen. Sie nähren sich vom Strom und von deiner seelischen Energie. Sie lassen dich am Algorithmus zappeln. Sie machen dich zu ihrer Puppe. Du bist am Ende.