Siegbert Kopp

Willkommen in Afrika. Willkommen in einem Kongo, wo die Frauen so aparte Namen tragen wie Hulda und Swanhilde. Wo die Bewohner überwiegend hellhäutig sind. Die Fischer hier sind geschminkt, als kämen sie geradewegs aus Gunther von Hagens makabrer Totenshow „Körperwelten“ – ein Chor von lebenden Toten, irgendwie.

Und damit nicht genug: Eine tapfere Frau rächt sich fürchterlich an den Mördern ihres Volks, an den Männern, Unterdrückern, Vergewaltigern und am Kolonialismus überhaupt, begleitet von permanentem Bodennebel und pyrotechnischen Sensationen. Eine erstaunliche Gegend, dieses Zentralafrika. Was ist hier los?

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Das Theater Freiburg hat „Hulda“ exhuminiert, eine unbekannte Oper von César Franck (1822-1890). Sie wurde 1894 in Monte Carlo uraufgeführt, damals kamen nur zwei Akte zum Zuge. Das Theater Freiburg suchte und fand den Rest in der Pariser Bibliothèque Nationale de France. Man rekonstruierte die Grand Opéra und brachte sie jetzt als deutsche Erstaufführung zu Gehör.

Das Ergebnis: Es gibt mächtig was auf die Ohren. Das formidable Sängerensemble, der gewaltige Chor und das groß besetzte Philharmonische Orchester unter Leitung von Fabrice Bollon sind dem Bombastical und Seelenkitsch des Komponisten mehr als gewachsen.

Die Inszenierung bietet viel

Insbesondere Morenike Fadayomi in der kraftraubenden Titelpartie ist eine Wucht. Regisseur Tilman Knabe packt aus, was Werkstätten, Beleuchtung und Technik des Theaters hergeben und was ihm an politischer Aktualisierung einfällt. Und doch lässt die Inszenierung über weite Strecken merkwürdig kalt.

Die Oper „Hulda“, basierend auf einem Drama des Nobelpreisträgers Bjørnsterne Bjørnson (1832-1910), spielt ursprünglich im von Fehden zerrissenen Norwegen des elften Jahrhunderts. Das ist sehr lange her, das Libretto mit seiner norwegischen Legende ist wenig prickelnd, und die Rekonstruktion der Komposition ist allenfalls von musikhistorischem Interesse.

Kolonialismus dient der Legitimation des Stücks

Alles zusammen ist für ein Publikum des 21. Jahrhunderts kaum relevant. Mithin brauchte die deutsche Erstaufführung eine zusätzliche Legitimation. Knabe fand sie im Kolonialismus. Wie es der Zufall wollte, teilten die Europäer zu der Zeit, als die Komposition entstand, den afrikanischen Kontinent unter sich auf.

Für Francks Werk spielte der Kolonialismus keine Rolle, wohl aber für den offensichtlich unter Aktualisierungsdruck stehenden Regisseur. Knabe ergreift die Gelegenheit beim Schopfe und siedelt die Norwegerin Hulda in Afrika an. Stammeskriege und Freiheitskämpferinnen gibt es halt überall – und so beliebig nach Niemandsland, nach Bastelstube und Ethnokitsch sieht die Inszenierung denn auch aus, leider.

Der Kongo im Wandel der Zeit

Auf der Drehbühne ist in abrupten Farbwechseln jede Menge zu sehen: Wellblechhütten-Armut, ein Rotlichtbezirk, eine Doppelhochzeit mit dreistöckigen Torten im zerschossenen Grenzbunker-Hotel, brutales Gerammel an Kunstpalmen und aufgesetzte Polonäsen-Fröhlichkeit, dazu Blauhelme, Rotwesten und ein UN-Pickup-Truck.

Kongo im Zeitenwandel: vom belgischen Kolonialismus übers sozialistische Zwischenspiel bis zum Ausverkauf im Kapitalismus, made in China.

Was immer gleich bleibt, ist der Geschlechterkampf. Johlende Männerhorden im Tarnanzug vergewaltigen Frauen und knüppeln nieder, was ihnen nicht passt. Hulda schwört Rache.

Zentrale Konflikte werden ignoriert

Dabei ignoriert die Inszenierung zentrale Konflikte: die Hautfarbe, den Rassismus im Kolonialismus, die Armut im Postkolonialismus, die korrupten Clans und Potentaten, die schwerreichen Eliten, das schwarze Establishment, das mit multinationalen Konzernen das eigene Land ausbeutet.

Am Ende ist Hulda im Herz der Finsternis, sie schwenkt die rote Fahne für eine bessere Menschheit und wird erschossen. Bei ihrer Wiederauferstehung hält sie das „Cahier Africain“, die Dokumentation der Kriegsverbrechen in Zentralafrika. Man sollte es lesen. Diesseits von Afrika.

Der Applaus blieb nicht aus. Gegen Imperialismus und Völkermord ist jeder. Mit viel Beifall bedacht wurden vor allem Orchester, Chor und Sänger, allen voran Morenike Fadayomi als Hulda und Joshua Kohl als untreuem Lover. Auch Regisseur Knabe, Bühnen- und Kostümbild bekamen ihren Teil ab.

In Liebe verbunden: Eiolf (Joshua Kohl) und Hulda (Morenike Fadayomi).
In Liebe verbunden: Eiolf (Joshua Kohl) und Hulda (Morenike Fadayomi). | Bild: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Auf dem Heimweg jedoch konnte man sich fragen: Ist die Verlegung Norwegens nach Afrika nicht eine neue Form von Kolonialisierung durch das Theater? Dient Afrika nur als Rohstofflieferant für die Ambitionen eines deutschen Regisseurs? Von der Verschwendung der Ressourcen des Theaters ganz zu schweigen. Fazit: gut gemeint, kurz gedacht, aufwändig gemacht.

Weitere Aufführungen der Oper "Hulda" am Theater Freiburg gibt es am 28. Februar 2019, am 6., 10., 23. und 27. März sowie am 3. und 11. Mai. Informationen dazu finden Sie hier.