Die Nachgeborenen des Malers Matthias Grünewald haben früh erkannt, dass es sich bei seinem Isenheimer Altar um mehr handeln muss, als um eine konventionelle Darstellung der Leiden Christi. Sie spürten, dass alles an diesem Altar Wirkung ist – ohne dass sie die Wirkung klar beschreiben konnten. Also beriefen sie sich, wie der Maler Hagerich von Chur, auf Gott. „Das ist Kunst“, heißt es in seinem 1578 entstandenen Hymnus: „Diese Kunst ist Gottesgabe…“. Zu diesem Zeitpunkt war Grünewald schon seit 50 Jahren tot.

Zu Grünewald existieren nur wenige Zeugnisse

Wobei nicht ganz klar ist, ob Hagerich das Altarwerk überhaupt dem Meister zuschrieb. Denn so wenig Grünewald biografisch fassbar ist, so wenig ist auch über sein künstlerisches Werk bekannt. Gut zwei Dutzend Gemälde und einiges mehr an Zeichnungen aus der Hand des Visionärs sind beglaubigt. Zu Grünewald existieren nur wenige Zeugnisse und, anders als Dürer hinterließ er keinerlei theoretische Schriften.

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Stellte Grünewald Seife her?

Was wir wissen ist, dass er um 1475/80 als Mathis Gothart Nithart in Würzburg (oder in Aschaffenburg) geboren und 1528 in Halle an der Saale gestorben ist. Dass er von Auftrag zu Auftrag, von Stadt zu Stadt reiste. Der Großteil seiner Produktion, die von Kirchenleuten und vermögenden Bürgern angestoßen wurde, findet sich entlang des Mains und des Rheins nahe Aschaffenburg, Mainz, Frankfurt und Straßburg, wo er nicht nur als Maler, sondern auch als Wasserkunstmacher, Baumeister und – gegen Ende seines Lebens – als Seifensieder tätig war. Grünewald, der inspirierteste Kolorist der deutschen Kunst als Seifenhersteller? Kaum vorstellbar. Waren ihm die Aufträge ausgegangen? Die Zeichen standen damals auf Sturm. Grünewald war Zeit- und Augenzeuge von Reformation, Bauernkriegen und Glaubenskämpfen.

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Zermalmte Arme

Dass seine Begabung Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt wurde, verdankt sich dem Franzosen Joris-Karl Huysmans, der die Zeitgenossen wachrüttelte: „Zermalmte Arme an ausgerenkten Schultern; das Fleisch an den Muskeln ausgehöhlt, als hätten da dicke Stricke gerissen, es knirscht wie gebrochene Knochen – und hoch mit schreienden Fingern große gespenstige Hände, Hände, die fluchen wollen und Segen stammeln.“

Verkrampfte Finger

Der Franzose beschrieb Grünewalds Tauberbischofsheimer Altar von 1524. In der Drastik steht diesem Werk der Isenheimer Altar nicht nach, den Grünewald für die Antoniterkirche im elsässischen Isenheim geschaffen hatte. Die Mönche des dort angesiedelten Klosters führten Kranke vor den Wandelaltar, die am „Antoniusfieber“ litten, einer Mutterkornvergiftung, die zum Absterben von Gewebe führen kann, um ihnen zu zeigen, dass Jesus' Leid größer war als ihr eigenes. Auch im Isenheimer Altar legt der Künstler den Finger in die Wunde. Er stellt die Passion so brutal realistisch dar, dass sie den Betrachter mitten ins Herz trifft. Er malte den gemarterten Körper aschfahl, mit einem Lendentuch kaum verhüllt, mit Dornen übersät, mit verkrampften Fingern und verzerrten Füßen.

Bild 3: Wer war nur dieser Matthias Grünewald? Im Elsass wird jetzt sein Isenheimer Altar restauriert
Bild: KEMPF Christian

Schreiende Hände

Die von Huysmans begutachteten „schreienden Hände“ entwickelten sich im 20. Jahrhundert zu einem Stilmerkmal expressionistischer Kunst. Wie überhaupt Grünewald zur Leitfigur vieler Künstler wurde. Aber auch Schriftsteller zeigten sich erschüttert. Thomas Mann besichtigte den Altar in München, wohin das Werk 1918 aus „Sicherheitsgründen“ verlagert worden war – die Kulturwissenschaft interpretierte das Retabel als nationales Kunstwerk, sein Rücktransport nach Colmar 1919 wurde zum visuellen Ausdruck der Verluste durch den Versailler Vertrag. In sein Tagebuch vermerkte er: „Im Ganzen gehören die Bilder zum Stärksten, was mir je vor Augen gekommen“.

Restaurierung wurde abgebrochen

In seiner bewegten Geschichte wurde dieses Hauptwerk der Renaissance oft restauriert, zuletzt 2011. Nachdem jedoch Kritik an der angeblich unsachgemäß durchgeführten Frischekur laut wurde, mussten die Arbeiten abgebrochen werden.

Bild vom porösen Rahmen – auch die Rahmen werden restauriert.
Bild vom porösen Rahmen – auch die Rahmen werden restauriert. | Bild: Kopitzki, Siegmund

Neuer Anlauf

Nun kommt es zu einem erneuten Anlauf. Der Malgrund, die Holztafeln, sind offenbar gut erhalten, verändert haben sich dagegen die polychromen Malschichten und die Lasur. Der Firnis ist durch Staub und Schmutz getrübt und gefährdet das Werk. Aber auch die Holzskulpturen werden gereinigt und, wo nötig, ausgebessert. Selbst die Bilderrahmen erhalten eine Behandlung.

1,2 Millionen Euro

Vier ganze Jahre soll die Kampagne dauern. Die Kosten taxiert die Direktorin des Musée Unterlinden, Pantxika De Paepe, auf gut 1,2 Millionen Euro. Das Werk bleibt vor Ort und für das Publikum zugänglich. Eine Kamera überträgt die Arbeiten auf einen Monitor. Dabei blicken die Besucher den Restauratoren ohnehin schon fast über die Schulter: Werkstatt und Publikum trennt nur eine Plexiglasscheibe.