Sind es 40 Milliarden US-Dollar? Oder 200 Milliarden? Seit Jahren wird darüber spekuliert, wie reich Russlands Machthaber Wladimir Putin ist. Das türkische Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdogan meinte 2014 zu Putins illegal gebautem Prunkpalast, dieser beherberge nicht nur 1000 Zimmer, sondern „mindestens 1150“. Nordkoreas Diktator Kim Jong-un lässt sich, während sein Volk darbt, in Nobel-Karossen von Mercedes-Benz oder Rolls-Royce vorfahren – obwohl diese gar nicht in das Land eingeführt werden dürfen.

Die Liste ließe sich erweitern. Zum Beispiel um den US-Präsidenten Donald Trump, der dem Golfen frönt, während Landsleute entlang der Südostküste vorm nahenden Hurrikan Sand in Säcke schaufeln. Oder um Brasiliens rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der sein Ego ebenfalls an einer langen Leine spazieren führt.

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Woher kommen diese geldverfetteten Großmäuler auf der Politbühne? Und woher ihre Gegenspieler? Gewiss lassen sich mehrere Antworten finden. Erhellend ist der Programmheftbeitrag von Thomas Assheuer zur Inszenierung von Georg Friedrich Händels Oratorium „Belshazzar“ am Opernhaus Zürich.

Er verweist auf einen uralten Konflikt. Demzufolge gibt es Menschen, die sagen: Wir teilen grundsätzlich dasselbe Schicksal und müssen uns um Gleichheit und Gerechtigkeit für alle sorgen, um eine Menschheitsmoral also.

Mythos statt Moral

Und es gibt die anderen, vermutlich die Mehrheit, für die gilt: Lebenspralle Mythen sind mächtiger als eine abstrakte Moral, denn sie schöpfen aus den Tiefen des Menschlichen. Mit Bezug auf den Konstanzer Ägyptologen Jan Assmann erinnert der Autor an den Auszug der Juden aus Ägypten als „Gründungsszene der Zivilisation“ und den zentralen Streit zwischen dem Glauben an einen Gott und dem Vielgötterglauben.

Dieser Weltbildstreit ist für Assheuer das Thema von Händels 538 vor Christus spielendem Oratorium, wo sich Babylons Herrscher Belshazzar an einem polytheistischen Glauben festkrallt und ein Fest so weinselig feiert, dass die Perser die Stadt erobern, Belshazzar getötet wird und die Juden freikommen.

Belshazzar (Mauro Peter, mit dem Chor der Oper Zürich) feiert ausschweifend.
Belshazzar (Mauro Peter, mit dem Chor der Oper Zürich) feiert ausschweifend. | Bild: Herwig Prammer / Opernhaus Zürich

Bei Händel und seinem Librettisten Charles Jennens siegt die Überzeugung, der monotheistische Glaube der Juden, dem (im Oratorium) auch die Perser anhängen, könne übermächtige Herrscher bezwingen. Assheuer erinnert an „die modernen Belshazzars“, an „all die Trumps, Putins und Bolsonaros“, Vertreter einer mythengläubigen Nicht-Menschheitsmoral, die ihre „babylonische Macht“ behaupten wollen.

In der Inszenierung von Sebastian Baumgarten lässt sich das von Assheuer als zentral bewertete Thema immer wieder entdecken. Wobei der Regisseur und die Ausstatterinnen Barbara Steiner und Christina Schmitt schon die Grundpositionen scharf herausstellen. Betrunkene und bekiffte Babylonier, die in bunten Fummeln herumeiern, stehen im Gegensatz zu Juden in Ordenstracht und einer Körperhaltung, die von innerer Sammlung kündet.

Regisseur Sebastian Baumgarten bringt „Belshazzar“ auf die Bühne.
Regisseur Sebastian Baumgarten bringt „Belshazzar“ auf die Bühne. | Bild: Tanja Dorendorf / Opernhaus Zürich

Baumgarten lässt das Ganze so ablaufen, als würde der Prophet Daniel (Tuva Semmingsen) die Geschichte als Film erzählen – der biblischen Erzählung folgend, samt aller technischen Verfahren wie der Kamerafahrt über eine Modellstadt. Entsprechend kommt das Medium Video prominent zum Einsatz. Bei all dem hat der „Gesamtkunstwerker“ Baumgarten die Möglichkeit, von einer psychologischen Personenführung auf diverse Kommentar-Ebenen auszubrechen, was er hingebungsvoll nutzt.

Der Krieg zieht Fratzen

So wird unter anderem der „Hure Babylon“ Tribut gezollt, lässt man den Krieg, der ja gerade im Nahen Osten seine traurigen Wiederholungsschlaufen zieht, Fratzen ziehen, ja, werden sogar apokalyptisch anmutende Katastrophenbilder eingeflochten.

Zwischen der dem neuen Glauben anhängenden Mutter von Belshazzar (Layla Claire) und ihrem unbotmäßigen Sohn (Mauro Peter) gestaltet sich ein Mutter-Sohn-Konflikt aus. Zu Ehren kommt auch ein über die Bühne tapernder Riesen-Puma, mit dem an das barocke Maschinentheater erinnert wird.

Cyrus (Jakub Józef Orlinski) reitet auf einem riesigen Puma auf die Bühne. Das Tier erinnert an das barocke Maschinentheater.
Cyrus (Jakub Józef Orlinski) reitet auf einem riesigen Puma auf die Bühne. Das Tier erinnert an das barocke Maschinentheater. | Bild: Herwig Prammer / Opernhaus Zürich

Besondere Akzente setzt der Countertenor Jakub Jozef Orlinski in der Rolle des Perserprinzen Cyrus mit Hochgeschwindigkeits-Koloraturen. Ein Lob gebührt auch dem von Janko Kastelic einstudierten Chor für federnde und sauber gestaffelte Fugati.

Die vom Händel-Spezialisten Laurence Cummings dirigierte Originalklang-Formation „Orchestra La Scintilla“ arbeitet die spätbarocke Affekt-Rhetorik packend heraus und entsendet eine Vielzahl an Farben in den Klangraum.

Weitere Vorstellungen von „Belshazzar“ am Opernhaus Zürich gibt es am 6., 9., 15., 17., 21., 23. und 30. November 2019 sowie am 6. Dezember. Informationen dazu finden Sie hier.

Drei Fragen an …

Regisseur Sebastian Baumgarten (50) über die Inszenierung

Was ist Ihnen bei der ersten Lektüre durch den Kopf gegangen?

Der Stoff hat gegenwärtig Relevanz.

Was war die größte Schwierigkeit?

Man muss das Oratorium, das eher episch funktioniert, in eine dramatische Form bringen.

Der stärkste Satz des Abends?

Trügerisches, unbeständiges Los menschlicher Herrschaft.