Maria Schorpp

Ob die Liebe nimmer aufhört, das ist hier die Frage. Ob sie alles verträgt, alles glaubt, alles hofft und alles duldet? Kann sein – solange man nicht arbeitslos ist. Kasimir hat sich hineingefressen in sein Unglück, er ist willens, es sich bis zum bitteren Ende einzuverleiben. Streit ist unter diesen Umständen vorprogrammiert. Die amüsierbereite Karoline denkt nicht dran, sich der miesen Stimmung ihres Geliebten zu unterwerfen. Es ist Oktoberfest, und alle gehen hin. Ödön von Horváth braucht in "Kasimir und Karoline" nicht viel Personal, um die gesamte Gesellschaft auf der Wiesn zusammenzubringen: Ein Arbeitsloser, ein Kleinkrimineller, ein Angepasster, zwei Vertreter der Macht und zwei Frauen. Karoline hat noch Ambitionen. Es könnte schon sein, dass ihr der Streit mit Kasimir gerade recht kommt, um sich umzuorientieren.

Es gibt noch ein paar Rollen mehr, und das See-Burgtheater hat in seiner Inszenierung auf der Seebühne im Kreuzlinger Seeburgpark die eine oder andere gestrichen, beziehungsweise mehrere in einer verdichtet. Wie im Ausrufer, den sich Andrej Reimann ein bisschen wie den Conférencier in der "Cabaret"-Verfilmung zurechtgelegt hat. Seine anzüglichen Witze sind allerdings unterste Schublade, sexistisch und diskriminierend, womit er auf teuflische Weise zu erkennen gibt, dass er seine Pappenheimer kennt. Womit auch das Publikum des See-Burgtheaters gemeint sein könnte, das Frauen-, Ossi- und Behindertenwitze durchaus zu goutieren weiß. Andrej Reimann macht das jedenfalls großartig.

Eigentlich der einzige Verführer, der sein Opfer im Griff hat. Astrid Keller hat es in „Kasimir und Karoline“ zwar mit Vertretern aus mehr oder weniger proletarischen Verhältnissen einerseits und mehr oder weniger kapitalistischen Verhältnissen andererseits zu tun, aber sie hat die Figuren quasi vom Ende her aufgezogen. Irgendwie alle Opfer der Verhältnisse. Das, was am Ende rauskommt, wenn der Mensch nur zählt, wenn er was hat. Das klingt scherenschnittmäßig, gewinnt jedoch in Kellers Horváth-Inszenierung große Überzeugungskraft.

Wie das Spiel von Maria Lisa Huber, die die Karoline als junge Frau gibt, die zunächst nicht weiter darüber nachdenkt, was sie tut. Die Schauspielerin stattet ihre Figur mit einer Unbekümmertheit aus, die von vornherein die Ahnung mitliefert, dass der Sturz ins Bodenlose unausweichlich folgt. Es ist eine große Freude, Maria Lisa Huber zuzuschauen, nicht die einzige im jungen Ensemble, die erst dabei ist, ihre Schauspiel-Ausbildung abzuschließen. Mit Kaspar Locher als Kasimir und Florian Steiner, der den Klein-Karrieristen Schürzinger spielt, hat sie zwei Partner, die ihre Rollen ebenso verblüffend unmittelbar einnehmen.

Mittendrin hat Bühnenbildnerin Beate Faßnacht die Musik platziert. Goran Kovacevic und die Musiker des Baro Drom Orkestar aus Florenz spielen mit. Sie liefern den Sound dieses Oktoberfestes: Von Sauflied und Schlager, wobei beide auf erstaunliche Weise ihren Subtext offenbaren, bis hin zu Klassikern und ihrem eigenwilligen und vielseitig beeinflussten Repertoire. Über ihnen turnen die immer besoffener werdenden Wiesn-Besucher auf einem Gerüst, das den Blick zum See durchlässt – und zum Himmel, der Erna Sehnsuchtsort und Trost ist. Was ist der Mensch neben einem Stern?

Tatjana Sebben als Erna bildet mit Lennart Lemster als Merkl Franz das andere Paar, das unter dem Druck der Verhältnisse zerbricht. Ein starkes Paar trotzdem, sehr vielschichtig, jeder für sich und miteinander, aber längst in der Gewaltfalle verhakt. Schade um die beiden. Sie kommen einem nahe, wie alle diese Menschenfiguren auf der Seebühne, wie auch Elli und Maria von Miriam Dey und Mahalia Slisch, die beiden jungen Frauen, die viel dafür geben, die Brosamen vom Tisch der Begüterten abzubekommen. Werner Biermeier ist als Kommerzienrat Rauch ein Kapitalist wie er im Buche steht, Bastian Stoltzenburg sein Schatten Speer. Und mit ihnen haben die Mercedes-Limousine und das große nette Pferd ihren Auftritt.

In dieser Inszenierung – die Produktionsleitung hat Leopold Huber – stimmt so ziemlich alles. In der Zeit nach der Weltwirtschaftskrise 1929 entstanden, hat Horváths Volksstück eine verblüffend unmittelbare Aktualität, die hier in einem großherzigen Menschenbild ausgeführt wird. Kann sein, sie hört nimmer auf, die Liebe, ganz gleich, ob es Mensch oder System es verbockt haben. Spaß macht das alles auch.

Vorstellungen bis 10. August, meist dienstags bis samstags, jeweils 20.30 Uhr. Karten unter info@see-burgtheater.ch oder Tel. 0041/71/670 14 00. Weitere Infos: www.see-burgtheater.ch

Zum Inhalt

Kasimir und Karoline lieben sich. Sie will sich auf dem Oktoberfest amüsieren. Kasimir ist nicht nach Feiern zumute, da er grad arbeitslos geworden ist. Sie fangen an zu streiten. Karoline flirtet und hofft dabei auf gesellschaftlichen Aufstieg. Der mittlerweile betrunkene Kasimir tut sich mit der Braut seines Freundes zusammen, der gerade verhaftet worden ist. Reuevoll kommt Karoline zu Kasimir zurück, wird aber abgewiesen. Als Reaktion liiert sie sich mit einer Zufallsbekanntschaft. (ms)