Frau Margot spürte bei Stalins Geburtstag in Moskau nicht nur seinen, sondern auch den heißen Atem der Weltrevolution. Frau Imelda wurde von Castro persönlich durch Havanna kutschiert, Mao widmete ihr ein Gedicht; und Frau Leila feierten internationale Blätter als schönstes Gesicht der arabischen Welt.

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Drei Damen schwärmen von guten Zeiten. Die schlechten blenden sie aus. Oder doch nicht? „Auf einmal sind wir Dreck!“, poltert die arabische Schönheit los. „Bei uns sind Leute von jetzt auf gleich verschwunden. Und irgendwann hat man sie ohne Kopf gefunden. In der Oper sind das große Momente“, tönt Maos Muse, die viel für die Oper übrig hat, singt sie doch selbst. „Was kann ich dafür, wenn manche so blöd waren, über die Mauer zu klettern“, betreibt Margot atemlos linke Geschichtsarbeit. Ja, was kann sie dafür?

Frau Margot (Chrisiane Roßbach) am Boden zerstört: Ihr ist die Urne mit Erichs Asche aus der Hand gefallen. Bild: Björn Klein
Frau Margot (Chrisiane Roßbach) am Boden zerstört: Ihr ist die Urne mit Erichs Asche aus der Hand gefallen. Bild: Björn Klein | Bild: Björn Klein

Aber nein, Mitleid erregt das Trio auf der Bühne des Stuttgarter Schauspiels nicht. Auch keine Bewunderung. Vielmehr sorgen solche Bekenntnisse für Lachsalven. Das Böse ist banal, das ist spätestens seit Hanna Arendt bekannt und das ist ein denkbarer Fingerzeig von Theresia Walsers Komödie „Ich bin wie ihr. Ich liebe Äpfel“. Auch, dass das Böse immer und überall und so gar nicht auszurotten ist, ist eine Erkenntnis, die mit Äpfeln oder Birnen nichts zu tun hat. Der Titel des Stücks übrigens, der ganz anderes erzählen will, nämlich dass wir doch alle nur Menschen sind, ist einem Gaddafi-Gedicht entnommen. Frau Leila rezitiert das hingebungsvoll. Alles klar?

Marcos’ eisgekühltes Gemächt

Auch der letzte Geschichtsignorant kann das Trio infernale leicht identifizieren, das Walser zu Heldinnen ihrer pointenreichen Farce macht: Frau Margot gehört zu Erich Honecker, dem einstmals mächtigsten Mann der DDR; Frau Imelda Marcos, das ist die Dame mit den 3000 Paar Schuhen sowie Hunderten Handtaschen und BHs – einige davon sind schussfest. Sie hat ihren Ferdi im Exil einbalsamieren und ins Tiefkühlfach legen lassen. Dessen eisgekühltes Gemächt ist jetzt ein Thema. Und schließlich Leila Ben Ali. Für sie hat sich Walser bei drei Biografien bedient. In der Tunesierin, eine Friseurin, stecken außerdem noch Asma Al-Assad und Suzanne Mubarak.

Frau Imelda (Anke Schubert) und Frau Leila (Paula Skorupa) klagen einander ihr Leid: Szene aus "Ich bin wir ihr, ich liebe Äpfel". Bild: ...
Frau Imelda (Anke Schubert) und Frau Leila (Paula Skorupa) klagen einander ihr Leid: Szene aus "Ich bin wir ihr, ich liebe Äpfel". Bild: Björn Klein | Bild: Björn Klein

Mit Frauenquoten, Gleichstellungsbeauftragten, MeToo-Bewegten und/oder männlich-schleimigem Respekt können diese Herrinnen nichts anfangen. Sie stehen darüber (oder daneben). Und ja, an ihrer Stelle hätten ebenso gut Frau Kim, Frau Mao oder Frau Ceausecu auftreten können.

Tolle Schauspielerinnen

Walsers Lehrstück basiert, ungeachtet der Fakten, auf ihrer Fantasie. „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“, das bereits 2013 am Nationaltheater in Mannheim uraufgeführt wurde, hat sie für bestimmte Schauspieler verfasst. Das sei ein Glück, sagte sie einmal dazu. Der Regisseur damals wie heute: Burkhard C. Kosminski, seit dieser Spielzeit Intendant in Stuttgart. Wir sehen also drei Schauspielerinnen, die Diktatorenfrauen spielen, die sich wegen eines geplanten Filmprojekts vor der Pressekonferenz darüber unterhalten, wie Schauspielerinnen Diktatorenfrauen spielen. Und das machen sie toll.

Anke Schubert, die auch schon in Mannheim dabei war, gibt ihre Imelda als matronenhafte Einfalt, die bei Kaffee aus der Thermoskanne – und ohne ihre geliebten Nora-Makrönchen – über das Schöne und Wahre schwafelt. Sie kann sich, Welt verkehrt, herrlich darüber aufregen, dass der Attentäter, der elfmal auf sie eingestochen hatte, nur ein schäbiges Messer verwendet hat. Ohne Stil dieser Mann…

Einmal Genossin, immer Genossin

Von solchen Angriffen verschont blieb bisher Modepüppchen Leila, das auch ein Lästermaul sein kann. In ihrer Haut: Paula Skorupa. Sie nervt die Runde mit ihrer Phobie gegenüber verseuchtem Trinkwasser – ein running Gag Walsers, wie Imeldas Ruf nach Blumen und Margots unerfüllter Wunsch nach einer Cola. Dass ihr Gatte vor ein Gericht in Holland gestellt wurde, einfach lächerlich. Und was den geplanten Film angeht: Sie kann sich Nicole Kidman als Leila vorstellen. Margot dagegen, Christiane Roßbach, hält sich für undarstellbar. Für sie gilt: Einmal Genossin, immer Genossin. In ihrem südamerikanischen Exil vermisst die Unbelehrbare die Pilze und Wälder von Wandlitz. Ach, Heimat. Nein, Sentimentalität erlaubt sich Margot keine.

Erichs Asche

Eine Auszeit davon nimmt sie, wird weinerlich, als Gottfried die Urne mit der Asche ihres Erichs, die sie in ihrer Tasche hatte, fallen lässt und darauf eine Staubwolke entsteht. Leila kriegt einen Hustenanfall. Und Gottfried? Das ist der Vierte im Bunde, der Dolmetscher, für den die eitle Stalinistin kein gutes Wort findet. Das mag mit Gottfrieds Herkunft zu tun haben – Jena. Aber auch die beiden anderen Fußnoten der Weltgeschichte gucken auf ihn herab. Doch Gottfried befreit sich rasch und clever aus dem Herrinnen-Knecht Verhältnis, indem er seine Spielräume nutzt: Er übersetzt nach Gutdünken („Ein guter Dolmetscher ist immer einen Satz voraus“).

Sven Prietz ist Gottfried. Auch er brillierte mit dieser Figur bereits bei der Uraufführung des Rampenstücks in der Regie von Kosminski, der, wie schon in Mannheim, alles richtig gemacht hat. Gottfried, „das Würstchen aus Jena“ (Margot), ist der heimliche Moderator dieser Talkshow, er ist Zuspitzer und Verharmloser, er sorgt nicht nur für die schönsten Missverständnisse, sondern auch für die komischten Szenen. – Langer Applaus für einen großartigen Theaterabend!

Die kommenden Vorstellungen: am 29., 30. November, 3. Dezember. Weitere Informationen: http://www.schauspiel-stuttgart.de

Drei Fragen an Christiane Roßbach

Christiane Roßbach, Ensemblemitglied am Schauspiel Stuttgart (Bild: Maks Richter), spielt in Theresia Walsers Stück Frau Margot.

Christiane Roßbach
Christiane Roßbach | Bild: Maks Richter

Was war die größte Schwierigkeit?

Der Spagat zwischen der Annäherung an die historische Figur und den Gesetzmäßigkeiten der Komödie. Margot Honecker war nämlich eigentlich überhaupt nicht komisch.

Warum sollen wir reingehen?

Weil es mehr als eine Komödie ist: ein intelligentes, sprachlich fulminantes und wahnsinnig komisches Meisterwerk. Endlich auch mal ein Stück, in dem die Frauen böse sind!

Der stärkste Satz des Abends?

„Politik ist kein Beruf, Politik ist ein Zustand.“ (Frau Margot)