Herr Fleischhauer, was ist Ihr Buch: Öko-Thriller, Liebesgeschichte oder Europa-Roman?
Ich hoffe, es ist einfach ein guter Roman. Vom Genre her ist es natürlich vor allem ein Öko-Thriller. Aber ich benutze diese Genres im Grunde nur für den Einstieg. Wenn der Ich-Erzähler ins Spiel kommt, mutiert das Buch zu einem literarischen Roman, denn nun geht es auch um die große Frage: Soll man sein privates Glück im gesellschaftlichen Unglück leben? Der Öko-Thriller ist dafür nur die Bühne.
Warum haben Sie das Meer zum Thema eines Spannungsromans gemacht?
„Das Meer“ ist der dritte Roman einer Reihe, in der es um Gier und Verdrängung geht. Ich hätte das auch in der Fleischindustrie oder in der Gemüseindustrie erzählen können. Aber das Meer hat für mich eine mythische, geheimnisvolle Kraft. Und es ist ein Ort, der mir besonders Sorge bereitet.
Warum?
Über das Meer wird kaum geredet. Man redet viel über Klimawandel, über Tierschutz – aber eben nur bei Kälbern. Doch über die Fische oder den Tiefsee-Bergbau wird nicht viel gesprochen. Dort sind auch nur wenige Journalisten unterwegs, weil man eben nur sehr schwer hinkommt.
Dass es die Überfischung der Meere gibt, weiß eigentlich jeder. Aber das Thema ist, wie Sie sagen, nicht sehr präsent. Woran liegt das?
Fische sind uns relativ fremd und deshalb weitgehend egal, wir haben kein Mitleid mit ihnen. Es liegt also zunächst an dieser Unkenntnis. Und dann auch an der schlechten Presse der Fleischindustrie, denn viele Leute sind umgestiegen auf Fisch, weil sie meinen, das sei gesünder für sie. Das mag schon sein, aber: Für die Fische ist es extrem ungesund. Es wird immer mehr Fisch gegessen. Inzwischen etwa 80 Millionen Tonnen pro Jahr. In den 1960er-Jahren waren es noch sechs Millionen Tonnen.
Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Recherche?
Die erste und größte Herausforderung war, dieses Thema überhaupt anzugehen. Denn Ökologie ist ein Thema, das man langsam nicht mehr hören kann. Man weiß alles darüber. Und man kann nichts tun. Aus dieser Lähmung heraus kam der Widerspruch. Ich habe viel nachgelesen, war dann so verärgert und wütend, dass ich dachte: Ich muss das jetzt erzählen.

Hat sich denn nach der Recherche ihre Einstellung noch mal verändert?
Nein. Durch meine Arbeit als Dolmetscher weiß ich das alles seit Jahren und habe schon lange große Sensibilität entwickelt. Ich bin viel aufmerksamer beim Verbrauchen, beim Kaufen. Bestimmte Produkte würde ich nie essen. Was ich nicht wusste, ist, wie schlimm das schon ist, wie unglaublich organisiert diese internationale Fischerei-Mafia ist und welche Summen als wirtschaftlicher Anreiz dahinter stehen, in dieses Geschäft einzusteigen.
Es geht im Buch um eine Gruppe von Öko-Aktivisten, die für die Rettung der Meere ihr Leben aufs Spiel setzen. Haben Sie so jemanden getroffen?
Getroffen nicht, aber gesprochen. Die Fischerei-Beobachterin aus dem Buch, die gibt es wirklich. Mit ihr habe ich lange gemailt, telefoniert, über Skype gesprochen. Sie hat mir von sich und auch von Kollegen erzählt, denen schlimme Dinge widerfahren sind bei ihrer Arbeit auf den Schiffen.
Warum sind die Fischerei-Beobachter dort so unbeliebt?
Weil die denen das Geschäft verderben. Die sind ja quasi der Polizist an Bord, der dafür sorgen soll, dass alle Fischerei-Vorschriften eingehalten werden, dass die Fischer ihr Geschäft halbwegs nachhaltig betreiben. Die Interessenlage ist extrem konfliktbeladen.
Inwiefern?
Auf diesen Schiffen sitzen hauptsächlich arme Schweine aus der Dritten Welt, die die ganze sehr schwere und gefährliche Arbeit machen. Die werden extrem schlecht bezahlt, teilweise werden sie auch nur abhängig vom Fang-erfolg entlohnt. De facto ist der Fischerei-Beobachter ein großes Hindernis für diese Leute, Gewinnmaximierung zu betreiben. Entsprechend beliebt ist er.
Und dann geht eben ab und zu mal einer über Bord?
Genau. Im Internet sind einige Fälle dokumentiert. Man muss auch bedenken: Auf den Piratenschiffen, die unter Billigflaggen fahren und überhaupt keine internationalen Abkommen anerkennen, gibt es keine Fischerei-Beobachter. Da gibt es nur noch Sklaven.
Sklaven?
Ja, das ist das nächste Problem. Der ökonomische Druck ist so hoch, dass – um überhaupt noch etwas zu verdienen – immer mehr Leute für immer weniger Geld arbeiten müssen. Deshalb nimmt man oft Zwangsarbeiter, die gar nicht mehr von den Schiffen runterkommen. Die sehen nie wieder Land. Denn die Fangschiffe bleiben ständig draußen auf hoher See.
Können Sie Menschen verstehen, die – wie im Buch – zu illegalen Mitteln greifen, um die Natur zu schützen?
Meine Öko-Terroristen im Buch machen ja im Grunde nichts anderes als eine ökologische Schluckimpfung. Sie nehmen eine Alge, die eine lebenslange Fisch-Unverträglichkeit erzeugt. Die mischen sie in den Fisch. Den Leuten, die das essen, wird einmal furchtbar schlecht – und von da an mögen sie keinen Fisch mehr. Das ist doch eigentlich eine elegante Lösung. Ich will nicht aufrufen zu illegalem Handeln, aber: Was macht man denn mit illegalem oder verbrecherischem Regierungshandeln? Leute treffen Entscheidungen für zukünftige Generationen. Menschen, die noch gar nicht geboren sind, werden illegal enteignet. Die können sich nicht wehren, die haben keine Lobby. Irgendwann haben die eben keinen Fisch mehr, kein sauberes Wasser, keine saubere Umwelt. Die Frage der Legalität stellt sich da meiner Ansicht nach nicht. Denn es ist eine Frage der Humanität.
Wie gehen die Kontrollbehörden gegen die illegale Fischerei vor?
Gar nicht. Vergangenes Jahr hat Oceana in Brüssel in den EU-Kantinen mal geguckt, wieviel illegaler Fisch dort verfüttert wird. Das waren 30, 40 Prozent. Das ist ja das Problem: Es wird auf dem Meer schon untergemischt, verarbeitet, in kleine Filets gepresst, mit Panade umwickelt und verpackt. So kommt das nach Europa. Es gibt zwar alle möglichen Labels und Kennzeichnungen und Absprachen, aber: Wie soll man das alles kontrollieren? Das ist doch ein Ding der Unmöglichkeit.
Sie arbeiten auch als Dolmetscher für die EU-Kommission in Brüssel …
Wissen Sie, es ist nicht so, dass da ein Teufel in Brüssel sitzt, der sich vorgenommen hat, die Umwelt kaputt zu machen. Nein: Wir alle machen sie kaputt, mit unserem Lebensstil.
Was tun? Keinen Fisch mehr kaufen?
Zumindest wesentlich weniger. Der Verbraucher hat eine große Macht. Ich bezweifle aber, dass die Leute das wirklich wissen.
Zur Person
Der gebürtige Karlsruher Wolfram Fleischhauer (57) ist Schriftsteller und Konferenz-Dolmetscher in Brüssel und Berlin. Seit „Die Purpurlinie“ 1996 schreibt er mit ungebrochenem Bestseller-Erfolg. In seinen neuesten Romanen „Torso“, „Schweigend steht der Wald“ und „Das Meer“ verbindet der versierte Erzähler aktuelle gesellschaftliche Themen mit rasantem Thrill. Mit seiner Frau und den beiden Kindern lebt Fleischhauer in Berlin.