Simon Kaminski

Herr Lüpertz, Malerei schafft es immer dann in die Tagesthemen, wenn ein Werk für zig Millionen Euro versteigert wird. Dann wird von obszönen Summen gesprochen. Nervt Sie das Lamento über den Kunstmarkt?

Es gibt schon Leute, die für den Kunstmarkt arbeiten. Das geht in Richtung Unterhaltung. Ich brauche das nicht. Natürlich beschädigt der Kunstmarkt auch die Kunst. Aber so ist nun mal der Zeitgeist.

Immer wiederkehrend ist auch das Herbeireden des Endes der Malerei.

Die Malerei ist eine alte Kulturdisziplin. Das kann man nicht abschaffen wie alle göttlichen Dinge. Es geht allerdings etwas von der Einmaligkeit der Malerei verloren. Denn es ist ein Problem, dass es heute bei der Kunst zu oft um Politik oder Pädagogik geht.

Sie waren Protestant und sind zur katholischen Konfession gewechselt. Warum?

Bei den Katholiken ist mehr los. In den katholischen Kirchen gibt es große Kunst. Die Protestanten waren die Bilderstürmer.

Wie groß ist die Rolle, die Religion in Ihren Werken spielt?

Es geht schon um Glauben. Religion ist die große Mutter der Kunst. Der liebe Gott hat die Maler auserkoren, den Menschen die Welt zu erklären. Das ist mein Auftrag. Denken Sie nur an die Werke der Renaissance. Ich glaube, dass der Mensch als Krönung der Schöpfung seinen Gott gebiert. Atheismus hat geschadet. Die Menschen haben das Glauben verlernt. Ich erinnere an den furchtbaren Satz von Lenin, der gesagt hat: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Heute hat die allgegenwärtige Kontrolle fast inquisitorische Züge.

Inquisitorische Kontrolle – ist das auch ein politisches Phänomen?

Natürlich. Das ist es, was mich an der Politik enttäuscht. Und die Politik ist in den Zeitungen nach dem Sport ja das wichtigste Thema. Da sehe ich viel Regierungsunfähigkeit. Machtlose Politiker sind nur noch damit beschäftigt, sich gegenseitig zu überwachen. Wer fährt welches Auto, wer benutzt einen Dienstwagen, wer fährt erste Klasse Zug. Das ist so was von dusselig geworden. Da geht es nur noch darum, dem anderen zu schaden. Das ist doch keine Politik, das ist fürchterlich.

Wie informieren Sie sich über Politik?

Ich bin ein intensiver Zeitungsleser. Da bin ich nicht der Künstler Markus Lüpertz, sondern ein Staatsbürger, der die Pflicht hat, sich zu informieren. Zum Beispiel über die alles erstickende Bürokratie. Dagegen kommt man ja kaum noch an. Wir hatten eine großartige Bundesrepublik. Doch seit der Wiedervereinigung kommt da so ein Zungenschlag rein. Dieses verdammte Großdeutschland, das sich jetzt in Duckmäusertum aufbläht – das geht mir so auf den Wecker.

Ist die Lage so schlimm?

Die Möglichkeiten, die unser Land bietet, sind gigantisch. Der Zugang zu Bildung, zu Kultur. Für das mangelnde Interesse der Bevölkerung, diese Möglichkeiten zu nutzen, mache ich die Politiker verantwortlich. Da muss einfach mehr passieren.

Was fehlt in der Politik?

Es geht nur noch um die Vermittlung von irgendwelchen digitalen Informationen, um die Anhäufung von irgendwelchem Wissen. In der Politik fehlen Emphase, Dramatik und Pose. Politiker reden nur noch von Transparenz, sie wollen gläsern sein, alles auf den Tisch legen. Das ist mittlerweile schon krank. Dann sollen sie doch gleich nackt rumlaufen. Und das Allerschlimmste: Sie verwechseln Freiheit mit Versorgung.

Ist das nicht zu verallgemeinernd? Ihre Freundschaft mit Gerhard Schröder ist bekannt. Sie treffen sich mit dem Altkanzler nicht nur regelmäßig zum Skatspielen.

Ich kenne sehr viele Politiker. Es ist ein Vorteil, Zugang zur anderen Seite zu haben. Natürlich gibt es auch positive Ausnahmen. Doch diese Ausnahmen werden ja fast immer – meist von den eigenen Leuten – demontiert. Dass die SPD heute Hartz IV loswerden will, ist ja legitim. Das Problem ist nur, dass sie jetzt alles an der Person Schröder aufhängen. Das war früher bei Willi Brandt und Helmut Schmidt ganz genauso. Sie haben immer ihre Götter demontiert.

Halten Sie die Erfolge der AfD für bedrohlich?

Die AfD ist die Karikatur unserer großen Parteien, weil sie sich mit ständigen gegenseitigen Bezichtigungen ruiniert. So wie einst die Piratenpartei. Da ging es am Ende auch nur noch um Pöstchen. Deswegen kann man da ganz gelassen bleiben. Die anderen Parteien sollten aber genau hinschauen. Denn da kann man lernen, was passiert, wenn man so weitermacht.

Sie sprechen immer wieder von einer vom Vater ererbten, angeborenen Heiterkeit, die Ihnen dabei hilft, traurige Ereignisse zu überwinden. Hat Sie diese Gabe schon mal im Stich gelassen?

Kann mich nicht erinnern. Da ich ja nun lebe und überlebe, bin ich mit dieser angeborenen Heiterkeit offensichtlich gut zurechtgekommen. Ich gehöre nicht zu den alten Männern, die alles schlechtreden.

Wer sich dazu bekennt, eitel zu sein, müsste sich ja auch dazu bekennen, verletzbar zu sein. Wie ist das bei Ihnen? Sie sind ja schon ein bisschen eitel.

Ein bisschen ist gut. Eitelkeit ist eine Disziplin. Wer eitel ist, der muss schon gut aussehen. Da musst du was dafür tun. Man muss Frühsport machen, kontrolliert essen. Sonst passt du nicht mehr in die teuren Anzüge rein. Das wäre Geldverschwendung. Eitelkeit wird ja immer gleich negativ gesehen.

Ob Kunst in der U-Bahn in Karlsruhe, die Kirchenfenster in Hannover, der Mozart in Salzburg oder – kurz nach der Jahrtausendwende – die Aphrodite in Augsburg: Häufig gibt es Widerstand, auch Fälle von Vandalismus gegen Ihre Kunst im öffentlichen Raum. Wie sehr verletzt Sie so etwas?

Ja, das verletzt mich, natürlich. Das sind ja schließlich meine Kinder. Hass hat keine Intelligenz. Im Nachhinein aber behaupten sich die Sachen. In Salzburg gab es ja heftige Proteste gegen meine Mozart-Skulptur, jetzt halten die Touristenbusse davor.

Haben Sie sich Hornhaut zugelegt?

Nein. So etwas reizt mich persönlich.