Deutschland geht es so gut wie lange nicht mehr, sagen die einen – und verweisen auf Wirtschaftswachstum und gesunkene Arbeitslosigkeit. Das ist nur vordergründige Zahlendeuterei, halten andere dagegen – und verweisen auf Top-Manager, die mit steigender Tendenz Millionen scheffeln, während der Durchschnittsdeutsche für einen viel zu geringen Lohn, teils gar unter prekären Bedingungen arbeiten muss.
Während die einen auf das Wirtschaftswachstum als Wohlstandsbringer setzen, kritisieren andere dessen negative Effekte wie soziale Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung. Und überhaupt: Ständiges Wachstum – ist das überhaupt möglich? Erreicht nicht jedes Wachsen irgendwann ein natürliches Ende?
Wertschätzung statt Wachstum
Fest steht: Die Zweifel an unserem Wirtschaftssystem nehmen zu. Bislang unhinterfragte Grundsätze der kapitalistischen Marktwirtschaft geraten ins Wanken. Doch was wäre die Alternative? Gibt es sie überhaupt? Der österreichische Autor und Polit-Aktivist Christian Felber hat 2010 den „Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie“ gegründet.
Diese versteht sich als alternatives Wirtschaftsmodell: Nicht der größtmögliche wirtschaftliche Gewinn fur ein Unternehmen, sondern der größtmögliche Gewinn für das Gemeinwohl soll Ziel jedes unternehmerischen Handelns sein: Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung ersetzen den Wachstum um des Wachstums willen.
Klingt gut. Doch wie sieht das in der Praxis aus? Und setzt dieses Modell nicht allzu viel Idealismus voraus? Das Klangforum Wien, eines der wichtigsten Ensembles für Neue Musik, hat die Probe aufs Exempel gemacht und die Ergebnisse in dem Projekt "Happiness Machine" beim Eclat-Festival in Stuttgart präsentiert.
Mit den Mitteln des Trickfilms
Jeweils zehn Filmemacherinnen und Komponistinnen taten sich zusammen, um sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es eine Alternative zum herrschenden Wirtschaftssystem geben kann.
Die zehn überaus abwechslungsreichen und ästhetisch sehr unterschiedlichen Kurzfilme reichen von einer Neuinterpretation des Märchens vom Fischer und seiner Frau ("Die Flunder") über eher abstrakte Darstellungen von Organisationsformen oder Hierarchien ("Lickalike" oder "Hierarchy Glitch") bis hin zu politisch aufgeladenen Bildern von Menschenmassen ("Suggestion of Least Resistance"). Als Werbetrailer zur Gemeinwohl-Ökonomie taugen sie eher nicht – und sollen es auch gar nicht. Es sind künstlerische Auseinandersetzungen.

Bestenfalls "Bloomers" wird da konkret. Der Film stellt einen britischen Dessous-Hersteller vor, der seine Produktion aus Rentabilitätsgründen erst ins Ausland verlegte, dann aber zurückholte und nun arbeitslose Menschen ins Brot setzt.

Wirklich witzig, wenn auch recht plakativ, aber von einem wundervollen bissigen Humor durchzogen ist der titelgebende Film "Happiness Machine" (von Ana Nedeljkovic und Hanna Hartmann), der in der Art eines Videospiels die Geschäftspraktiken eines Unternehmens simuliert. Wird da der Knopf "Gewinnmaximierung" betätigt, werden lustige Knetmännchen vor ihren Laptops beschäftigt. Dass deren zunehmende Erschöpfung im umgekehrten Verhältnis zum weiteren Ertragsgewinn steht, versteht sich.

Gemeinwohl-Bilanz fürs Ensemble
Schade nur, dass die meisten Komponistinnen für ihre Tonspur auf einen hohen Anteil an Zuspielung setzten und so das Live-Spiel des Klangforum Wien ungebührlich in den Hintergrund rückten. Deren Musiker haben in diesem Projekt allerdings auch noch andere Aufgaben. Das Klangforum wollte es nämlich nicht bei der rein künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Gemeinwohl belassen und hat sich als Organisation der Bewegung angeschlossen.
Dazu gehört auch, eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen zu lassen. Da geht es dann um die Offenlegung der Einkommensspreizungen innerhalb des Ensembles. Aber auch um solche Fragen wie der, ob es vertretbar ist, von Wien nach Tokio zu fliegen, nur um dort dreißig Minuten Musik zu spielen.
Selbstkritische Stellungnahmen
Mit solchen (selbst-)kritischen und nachdenklichen Stellungnahmen traten Intendant, Musiker, Techniker und Marketing-Beauftragte zwischen den Kurzfilmen vors Publikum. Während der Saxophonist das Gemeinwohl-Projekt für das Ensemble als überflüssig betrachtet, macht sich der Technik-Einkäufer Gedanken darüber, wie er den Händler vor Ort unterstützen kann, ohne sein Budget komplett zu überreißen. Der Hornist fragt sich, ob es bei der Suche nach einem neuen Ensemblemitglied darum gehen muss, wer der beste Instrumentalist ist oder darum, dass derjenige auch zur Gruppe passt.
Und die Flötistin schildert die Schwierigkeiten, einen Ausgleich zu finden zwischen dem Wunsch, als Mutter Teilzeit zu arbeiten, und dem Erwartungsdruck im Ensemble, alles zu geben. Auch wenn in diesem Projekt (Regie: Jacqueline Kornmüller) die Musik letztlich in den Hintergrund rückte – die große Authentizität machte es dennoch zu einem zentralen Ereignis im diesjährigen Eclat-Festival.
Das Private ist öffentlich

Um eine bloß gespielte Authentizität ging es dagegen in "Up Close and Personal", einer Veranstaltung, für die der Countertenor Daniel Gloger zum "Artist Talk" in sein (vermeintliches) Atelier bat. Hier spielte sich Gloger nun quasi selbst und plauderte in einer Mischung aus Wahrheit und Fiktion aus dem Nähkästchen seines Künstlerlebens und gab Entspannungs- und Optimierungstipps.
Auch das ein Programmpunkt im Festival, der zwar wenig mit Musik zu tun hat, aber eine hübsche Reaktion auf den Voyeurismus in den Sozialen Netzwerken ist, die das durchinszenierte Ausstellen von Privatheit befeuern.
Neue Musik in der Krise?
Angesichts solcher wenn auch gelungener Projekte stellt sich allerdings auch die Frage, in welche Richtung die Neue Musik steuert – und mit ihr Festivals wie das Eclat. Der Druck, die eigene Relevanz durch größere Publikumswirksamkeit und zugänglichere Programmpunkte unter Beweis zu stellen, ist allerorten spürbar. Gewiss muss man die Öffnung der Neuen Musik auch begrüßen.
Der Trend der großen Kunstfestivals, sich zu "Festivals für Zeitgeist, Performatives mit Klangbegleitung und öffentlichen Diskurs mit Musikeinlagen zu wandeln", wie es Klangforum-Intendant Sven Hartberger formuliert, hat aber auch seine Kehrseite. "Man muss sich ja fast schon dafür entschuldigen, einfach nur Musik machen zu wollen", sagte ein Musiker des ensemble ascolta am Rande des Festivals.
Tatsächlich spielte das Ensemble im Eclat-Festival eines der gar nicht mal so vielen Programme, die einfach nur aus Kompositionen bestanden – ohne Inszenierung, ohne Raumgestaltung, ohne Publikumsbeteiligung, ohne Performance, ohne Videozuspielung und sogar nur mit einem Minimum an Elektronik. Nein, wir wünschen uns nicht die Festivaldramaturgien der Achtziger- oder Neunzigerjahre zurück.
Aber man muss dennoch sagen, dass beispielsweise Niklas Seidls "5 gentlemen" für Trompete, Schlagzeug, Klavier und Violoncello einfach ein toll komponiertes, leichtfüßiges und trotzdem virtuoses Stück ist, das von ensemble ascolta auch noch erstklassig gespielt wurde. Und das hätte man vielleicht nicht bemerkt, wenn es in eine wie auch immer geartete Inszenierung eingebettet gewesen wäre.