Wer ganz genau hinhört, kann auf der Frankfurter Buchmesse ein Pfeifen im Walde vernehmen. Heinrich Riethmüller zum Beispiel: Der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels sprach zur Eröffnung von Tugenden wie „Selbstbewusstsein“ und „Optimismus“. Mit ihnen wolle die Branche ihre zugegebenermaßen „großen Aufgaben“ angehen.
Zuversicht gehört auf einer Messe zum guten Ton. Die tatsächliche Stimmungslage in Deutschlands Verlagen hat mit Optimismus wenig zu tun. Rückläufige Verkaufszahlen, Konzentration auf dem Buchmarkt, unsichere Rechtslage für Urheber und natürlich die Folgen der Digitalisierung: Die Liste der Sorgen ist lang. Und niemand entkommt ihr, ganz gleich ob Belletristik- oder Sachbuchverlag, ob Ratgeber oder Wörterbuch.
Beim auf sprachliche Bildung spezialisierten Langenscheidt Verlag trauert man den Zeiten nach, als noch nicht eine Suchmaschine namens Google jedes beliebige Wort in jede beliebige Sprache zu übersetzen vermochte. Mit Wörterbüchern lässt sich heute kaum noch Geld verdienen, umso mehr setzt der Verlag auf umfassende Angebote zum Sprachenlernen. Und hier tut sich zurzeit Erstaunliches: Nicht Spanisch oder Französisch ist in diesem Bereich der Verkaufsrenner – sondern Deutsch.

Flüchtlinge als Kunden
„Wir haben gerade die dritte Welle unserer Angebote für das Erlernen von Deutsch als Fremdsprache“, sagt Pressesprecherin Gabriele Becker. Die erste kam mit der Flüchtlingskrise 2015. „Damals haben wir sofort unser Arabischwörterbuch kostenlos online gestellt, damit alle gleich die wichtigsten Begriffe nachschlagen konnten.“
Die Entscheidung erweist sich inzwischen nicht nur als überzeugende humanitäre Geste, sondern auch aus geschäftlicher Sicht als cleverer Schachzug: Denn erst tauchten im Verlagsprogramm wenig später Deutschangebote für Kinder auf. Und heute, wo viele Flüchtlinge von damals schon im Behörden- und mitunter auch Berufsalltag angekommen sind, gibt es „Deutsch auf dem Amt“, „Deutsch für den Beruf“ oder auch „Deutsch in der Gastronomie“. Die Bücher gehen weg wie warme Semmeln, Becker spricht von „exorbitanten“ Umsätzen in diesem Bereich. So mancher Käufer dürfte sich wegen des Gratis-Angebots von damals für Langenscheidt entschieden haben.
Doch eine Zuwanderung in diesem Ausmaß wird es so schnell nicht mehr geben, die strukturellen Probleme bleiben bestehen. Eine vom Börsenverein in Auftrag gegebene Studie hat ergeben, dass die Menschen zwar weiterhin Bücher lesen möchten, aber immer weniger dazu kommen. Ständig von der Sorge getrieben, etwas zu verpassen, blickt der potenzielle Kunde alle Minuten aufs Smartphone: schlechte Voraussetzung, um in Ruhe einen umfangreichen Roman zu lesen. Vor allem die Jüngeren zieht es deshalb mehr zu Filmen und Serien auf den Internetportal Netflix.
Bei Ravensburger versuchen sie, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Technik spielt dabei durchaus eine Rolle. Mit dem sogenannten Tiptoi-Stift konnten Kinder schon bisher zu den Buchstaben und Bildern auch die passenden Geräusche abrufen. Jetzt bekommt der Wunderstift eine Zusatzfunktion: Man kann mit ihm nun auch Geräusche aufnehmen und sie ins Buch einspeisen – oder auch in kleine Aufkleber, die man dann als sprechende Botschaften in der Wohnung verteilen kann.
„Wir bringen den Kassettenrekorder zurück ins Kinderzimmer“, sagt Pressesprecherin Heike Herd-Reppner: „Damit können die Kinder selbst Dialoge erfinden und ihren Freunden mit Stickern Nachrichten hinterlassen.“ Technik also nicht als Teufelszeug, sondern als Hilfsmittel zur Leseförderung. Eines aber bleibt tabu bei Tiptoi: Bildschirme.
Um die Leselust der Besucher auf der Frankfurter Buchmesse (für das private Publikum ist sie am Wochenende geöffnet) brauchen sich die Verlage ohnehin nicht zu sorgen. Deren größtes Interesse gilt weniger der Leseförderung als vielmehr dem Zustand unserer Gesellschaft. Auskunft zu dieser Frage erhofft man sich unter anderem von den diesjährigen Friedenspreisträgern, Aleida und Jan Assmann.

Das Konstanzer Forscherpaar soll die Ehrung am Sonntag in der Paulskirche entgegen nehmen – allerorten präsent ist es aber schon jetzt. Schließlich können gleich zwei Verlage mit ihrem Konterfei werben: Jennifer Royston von C.H. Beck sagt, man sei besonders deshalb stolz auf seine prominenten Autoren, weil sie über all die Jahre hinweg immer auf einem gleichbleibend hohen Niveau publiziert haben. Und Martin Spieles, Kommunikationschef des Fischer-Verlags, wuchtet – angesprochen auf Jan Assmann – gleich Thomas Manns Joseph-Tetralogie auf den Tisch.
Das Werk zählt nicht allein zu den wichtigsten der deutschen Literaturgeschichte. Es ist auch von höchster Bedeutung für den Fischer-Verlag, weil es dem Haus im Dritten Reich das Überleben ermöglichte. Jetzt sind die vier Romane neu erschienen: kommentiert von Jan Assmann „und weiteren Gelehrten“, wie im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ kürzlich zu lesen war.
Die schmähliche Schrumpfung von Geistesgrößen wie den Literaturwissenschaftlern Dieter Borchmeyer und Stephan Stachorski zu „weiteren Gelehrten“ sagt viel über das Ansehen des in Konstanz wohnenden Ägyptologen aus. „Jan Assmann ist für uns eine ganz große Figur“, sagt denn auch Martin Spieles und pocht nachdrücklich auf den Buchdeckel.
Hoch angesehen ist auf dieser Frankfurter Buchmesse auch Nino Haratischwili. Das liegt zum einen an der Tatsache, dass Georgien offizielles Gastland ist. Zum anderen hat die aus Tiflis stammende Autorin gleich zu Beginn eine flammende Rede gehalten. Sie richtete sich gegen Grenzen, insbesondere in unseren Köpfen. Zwar seien Grenzen grundsätzlich notwendig, um unsere Identitäten zu formen. Inzwischen aber sei die Welt „geradezu besessen“ von diesem Begriff: „Wir teilen in hier und dort, in richtig und falsch.“ Das Ergebnis sei unerträgliche Rechthaberei. Sie endete mit einem Tschechow-Zitat: „Menschen, die recht haben, schreiben schlechte Bücher.“
Vielleicht liegt gerade in dieser Verweigerung des Rechthabens die Irritation ihrer eigenen Literatur. Im aktuellen Roman über den zweiten Tschetschenienkrieg, „Die Katze und der General“, gewährt sie auch dem schlimmsten Verbrecher noch so etwas wie eine schlüssige Biografie.
„Ich muss versuchen, die Menschen in ihrem Menschsein zu beschreiben“, erklärt sie das auf einer Podiumsdiskussion: „Diese Täter sind ja keine Psychopathen, sondern junge Männer, die ihre Hoffnungen und Träume haben, aber in schwierige Zeiten mit schwierigen Verhältnissen geraten. Der Leser darf nicht denken, ihm könnte das nie passieren.“

Rechte in der Sackgasse
Bleibt die Frage, was eigentlich die Rechten so treiben. Im vergangenen Jahr hatte Rechtsaktivist Götz Kubitschek mit seinem Antaios-Verlag für Ärger gesorgt. Bei einem Auftritt des AfD-Politikers Björn Höcke hatte es Tumulte gegeben. Aus diesem Grund haben die Veranstalter der Buchmesse für dieses Jahr vorgesorgt und alles, was nach rechter Gesinnung riecht, in eine abgelegene Sackgasse gesteckt.
In diesem absurd anmutenden Kellerloch befindet sich jetzt zum Beispiel der Stand des rechten Verlags „Junge Freiheit“. Dessen Sprecher Bastian Behrens gibt sich auf Anfrage entsprechend verärgert. Der Sinn einer Messe sei doch, miteinander ins Gespräch zu kommen, selbst wenn man die Meinung der Gegenseite nicht teilt. „Wie soll das hier passieren, so ganz ohne Laufkundschaft? Und warum werden wir für Vorfälle bestraft, die Götz Kubitschek zu verantworten hat?“Man muss nicht die „Junge Freiheit“ gut finden, um Behrens zu verstehen. Denn nur wenige Gänge weiter zeigt sich die ganze Absurdität dieser Aktion. Unweit des Suhrkamp-Verlags nämlich, schräg gegenüber der linksalternativen „taz“, sitzt: Götz Kubitschek.
Er hat seinen Antaios-Verlag nur wenige Tage vor Beginn der Messe an einen Zahnarzt aus Rheinau im Ortenaukreis verkauft. Jetzt prangt auf seinem Stand der Name „Loci“. Das klingt so wunderbar unverdächtig, dass niemand etwas gegen eine prominente Platzierung einzuwenden hatte.
Es scheint, als habe die Buchbranche noch einiges zu lernen: nicht nur in der Auseinandersetzung mit Marktkonzentration, Urheberrechtsfragen und der Digitalisierung. Sondern auch im Umgang mit Andersdenkenden.
Drei Verleger erklären, warum die Buchmesse heute noch wichtig ist: