Die Zukunft der Schweizer Atomenergie liegt in einem Museum in Leibstadt. Hier am Rhein, gegenüber von Dogern, informiert das örtliche Kernkraftwerk über das geplante Tiefenlager für Strahlenmüll, mithilfe einer Illusion.

Deutschland will bis 2068 einen Standort

Denn in der Debatte um die Atomkraft ist er ein Argument, das sich nicht wegdiskutieren lässt: Für Hunderttausende von Jahren wird atomarer Abfall strahlen. Deutschland hat hierfür bisher keine Lösung, außer der Zusage, spätestens bis 2068 den Standort für ein Endlager finden zu wollen. Die Schweiz ist da weiter.

Verschlossen, in Beton gegossen, verpresst: radioaktiver Abfall in Behältern, hier in einem Modell am Besucherzentrum in Leibstadt.
Verschlossen, in Beton gegossen, verpresst: radioaktiver Abfall in Behältern, hier in einem Modell am Besucherzentrum in Leibstadt. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

Dort arbeiten Experten seit den 1980er Jahren an einer Lösung. Den Schweizern geht es um 9300 Kubikmeter hoch radioaktiver Abfälle aus den Atomkraftwerken. Nach Angaben der Nagra, wie die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle heißt, entspricht das dem Volumen von etwa acht Einfamilienhäusern.

Dazu kommen rund 72.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle, ein Teil davon auch aus Medizin, Industrie und Forschung. Die Gesamtmenge, so heißt es, würde die Zürcher Bahnhofshalle zu knapp zwei Dritteln füllen.

All das will das Land in der Tiefe versenken – entlang des Hochrheins, der Ort steht fest. Die Behörde hatte ihn im September vergangenen Jahres bekannt gegeben. Er wird an der deutschen Grenze liegen, fast in Sichtweite des badischen Hohentengens. Nördlich Lägern heißt das Gebiet.

Wie sieht nun aber ein solcher Friedhof aus, der genau an dieser Stelle die Erblast aus Jahrzehnten begraben soll? Das hat die Nagra in einem Video nachgezeichnet.

Mit VR-Brillen auf eine virtuelle Tour

Besucherzentrum in Leibstadt. Der Raum, der Besucher ins Endlager schickt, hat rote Stühle und wandhohe Spiegel. Von hier aus kann jeder, der möchte, das Entstehen von Oberflächenanlage und Stollen beobachten.

Rote Stühle, wandhohe Spiegel: der Raum, der Interessierte mithilfe von VR-Brillen in das geplante Tiefenlager reisen lässt.
Rote Stühle, wandhohe Spiegel: der Raum, der Interessierte mithilfe von VR-Brillen in das geplante Tiefenlager reisen lässt. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

VR-Brillen spielen den animierten Film mehrdimensional ab, helfen dabei, die Zukunft zu sehen, die Jahrzehnte entfernt liegt und hunderte Meter unter der Erde, aber eben nicht weit weg. Eine virtuelle Reiseführerin moderiert die Tour, sie heißt Andrea. Sie kündigt einen ersten Zeitsprung an, der in die 2030er Jahre führt.

Was sieht man? Die knorrigen Äste dreier Eichen biegen sich im Wind. Es wirkt wie Frühling, im Hintergrund die Konturen der Alpen. Beobachter dieser Kulisse blicken von einem Hügel auf zwei Fahrradfahrer, die sich den Weg zwischen die Wiesen bahnen. Noch sind die Felder grün, bald aber soll hier das Endlager stehen. Die Bauphase, so erklärt es Andrea im Film, soll nun beginnen.

Neu ist diese Illustration der Nagra nicht. Sie sei vor etwa acht Jahren entstanden, sagt Patrick Studer, er ist Sprecher der Behörde. „Damals war zum Beispiel der Standort noch nicht bestimmt.“ Sie sei kein genaues Abbild der Zukunft, doch zeige die Ausstellung das Tiefenlager in seinen Grundzügen.

Die Nagra will bei der Planung den Fortschritt mitnehmen

Studer sagt: „Man entscheidet immer nur so weit wie nötig und so spät wie möglich, um den Fortschritt mitzunehmen.“ Im Film erklärt ein Mitarbeiter den aktuellen Stand so: Zur Zeit sei der Bau von drei Zugängen in den Untergrund vorgesehen. Zuerst würden zwei etwa 600 Meter tiefe Schächte ausgehoben, an deren Ende Stollen und Kavernen ausgebrochen und ein Felslabor eingerichtet werden.

In einem zweiten Schritt entsteht eine Zugangsrampe mit einer Zahnradbahn in den Untergrund, dann würde das Tiefenlager mit den Stollen erstellt, die erforderlich sind, um die Abfälle einzulagern. Soweit also das Vorhaben.

Das geologische Tiefenlager

Am Besucherzentrum des Kernkraftwerks geht die Zeitreise weiter. Rund 40 Jahre in die Zukunft, die drei kleinen Eichen sind inzwischen gewachsen. Prächtig, wie Reiseführerin Andrea betont. Fahrradfahrer ist nun keiner mehr zu sehen. Stattdessen die Oberflächenanlage, von wo aus das geologische Tiefenlager erschlossen wurde. Es ist das Jahr 2070, jetzt wird eingelagert.

Hochaktives Material soll alle zwei Monate ankommen

Hochaktives Material bahnt sich etwa alle zwei Monate mit dem Zug den Weg nach Nördlich Lägern – aus dem Zwischenlager Würenlingen. Hier warteten die ersten Abfälle schon seit 2001 auf ihren Abtransport, sagt Andrea.

Zoom in die Verpackungshalle. Der Zug fährt ein, angekoppelt drei Bahnwagen mit Behältern. Zwei Mitarbeiter, sie tragen Schutzanzüge, öffnen die Verkleidung der Wagen, heben die Transportbehälter heraus und richten sie auf.

In das Tiefenlager kommt der Strahlenmüll in Endlagerbehältern, einer pro Tag, sagt Andrea. Beladen, verschlossen, geprüft geht es für das hochradioaktive Material in den Untergrund. Hier werden die Behälter in Lagerstollen platziert. Diese würden danach mit einem Spezialgefährt mit einem Tongranulat, dem Bentonit befüllt, erläutert die Reiseführerin. Die radioaktiven Abfälle seien nun sicher im geologischen Tiefenlager eingeschlossen – und zwar langfristig. „Weil sich in dieser Tiefe über ganz lange Zeiträume nichts verändert.“

Schweiz will Atommüll in Opalinustongestein betten

Opalinuston, in dieses Wirtsgestein will die Schweiz ihren Atommüll betten. Er gilt als undurchlässig, selbstheilend, hält Wasser von den Abfällen fern und radioaktive Stoffe zurück. Neben solchen natürlichen Aspekten gibt es im Lager technische Barrieren, die verhindern sollen, dass Radioaktivität von den Abfällen nach draußen dringt.

Hochaktive Abfälle müssen laut Nagra etwa 200.000 Jahre eingeschlossen bleiben, bei schwach- und mittelaktiven Abfällen sind es rund 30.000 Jahre. So lange muss der Strahlen-Abfall also sicher verräumt bleiben.

Ein Stück Opalinuston: In diesem Wirtsgestein will die Schweiz ihren Atommüll einlagern.
Ein Stück Opalinuston: In diesem Wirtsgestein will die Schweiz ihren Atommüll einlagern. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

Nächster Halt. Es ist 2110. Die drei Eichen sind jetzt hundert Jahre alt. Wo bisher die Oberflächenanlage stand, liegt Gras. Die großen Gebäude seien zurückgebaut worden, sagt Andrea, die freien Flächen rekultiviert. Die Zugänge seien verschlossen, jeder Stollen mit einem Siegel. Alles wie vorher, scheint es. Aber: Überwacht wird die Anlage vorerst weiter. Wie lange? Ungewiss.

Studer sagt: „Es sind unsere Nachkommen, die entscheiden, was weiter damit passiert.“ Man plane und baue das Tiefenlager so, dass sich zukünftige Generationen nach dem Verschluss des Lagers nicht mehr darum kümmern müssen, wenn sie nicht wollen oder können. „Es bleibt sicher, ohne menschliches Zutun. Und zwar solange, bis die Strahlung auf natürliche und ungefährliche Werte abgeklungen ist.“ Man nenne das „passive Sicherheit“, erklärt der Sprecher.

Allerdings, das sagt Studer auch: Man baue das Lager so, dass spätere Generationen den Abfall zurückholen können, „auch wenn wir nicht davon ausgehen, dass das nötig ist. Es geht darum, unseren Kindeskindern möglichst viele Optionen offenzulassen und ihnen keine Probleme aufzubürden“.

Ein letzter Sprung, 60.000 Jahre in die Zukunft. Vier verschiedene Szenarien zeigt der Film. Wie könnte die Welt dann aussehen? Ein Dschungel? Wüste? Eiszeit oder eine Stadt? In jedem Fall befindet sich darunter das Tiefenlager, wo – so sagt es zumindest die Reiseführerin – die radioaktiven Materialen noch immer sicher eingeschlossen seien.

Ab ins Endlager: Wer möchte, kann im Besucherzentrum des KKW Leibstadt eine virtuelle Führung in das geplante Tiefenlager der Schweiz ...
Ab ins Endlager: Wer möchte, kann im Besucherzentrum des KKW Leibstadt eine virtuelle Führung in das geplante Tiefenlager der Schweiz erleben. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

Dann endet der Ausflug in die Zukunft, neun Minuten hat er gedauert. Wie es in der Gegenwart weitergehen soll, steht indes fest. Bis in den Herbst 2024 ist die Nagra damit beschäftigt, ihr Rahmenbewilligungsgesuch abzuarbeiten und einzureichen. Das sind mehrere Tausend Seiten, auf denen die Behörde erklärt, warum sie Nördlich Lägern als Standort ausgewählt hat.

Wenn all das behördlich geprüft ist und politisch genehmigt und eine mögliche Volksabstimmung über der Bühne – dann können erste Bauarbeiten auf dem Gelände beginnen. 23 Milliarden Franken soll das Tiefenlager kosten.

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