Tick. Tack. Das Geräusch, das manch einen schon um den Schlaf gebracht hat, lässt Matthias Stotz und Dirk Maier lächeln. Denn: „Das Ticken oder Schlagen einer Uhr gibt dem Raum eine gewisse Atmosphäre“, sagt Stotz, der die Uhrmacherwerkstatt Vector-Technik-Gmbh in Schwenningen betreibt.
Dabei schaut er Dirk Maier, seinem Kollegen, über die Schulter, der eine alte Damenuhr unter der Lupe betrachtet. Zifferblätter, Rädchen, Zeiger. Alles hat der Uhrmacher auseinandergenommen. „Für Uhrmacher sind Uhren wie kleine Lebewesen“, sagt Stotz. „Das ist ein eigener Mikrokosmos. Wir schauen durch die Lupe und da öffnet sich uns eine eigene Welt.“

Doch es ist auch ein Kosmos, in den immer weniger Menschen hineinschauen. Schwenningen nannte sich einst die größte Uhrenstadt der Welt. Und ein Blick in die Stadtbücher offenbart, dass es in den 1950er und 1960er Jahren in der Uhrenindustrie geradezu boomte. 1954 zählte Schwenningen etwa 74 Uhrenfabriken, 48 Bestandteilfabriken und 77 Uhrenhändler und -reparateure.
Übrig geblieben ist davon kaum etwas. Zum Vergleich: Heute gibt es in Schwenningen nach Angaben der Industrie-und Handelskammer (IHK) nur noch zehn Uhrenhersteller und -reparateure sowie drei Händler.
Zeit also für einen Besuch in der Vector-Technik-GmbH bei Matthias Stotz, und bei Urs Grospitz, zwei der letzten Uhrmacher Schwenningens. Zwei, die nie dachten, in der Uhrmacherei zu laden. Und genau dort ihr Zuhause gefunden haben.

Urs Grospitz‘ Faszination für die Zeitmesser begann mit seinem Vater. Einem Uhrensammler. „Ich fand das ja immer langweilig“, sagt Grospitz. Und schmunzelt, weil er weiß, wie er viel seinem Vater zu verdanken hat. Denn: Mitte der 90er Jahre schleifte dieser ihn mit zu einem Uhrmacherkurs an der Volkshochschule. „Ich konnte es selbst kaum glauben, aber mir hat das gefallen: das Tüfteln mit den kleinen Teilen.“
Uhrmacher in vierter Generation
Matthias Stotz dagegen war irgendwie schon immer Uhrmacher – in vierter Generation, wie er sagt – und wollte nach dem Abitur genau das ablegen. Zwar hatten es ihm die Uhren als Kind schon angetan. Damals, als er mit acht Jahren in die elterliche Werkstatt schlich und seinen ersten Wecker zerlegte, war es um ihn eigentlich schon geschehen. Doch: Stotz wollte sich abgrenzen, etwas Anderes machen als sein Vater. Als sein Großvater und Urgroßvater.

Darum suchte er als Grundlage für ein Ingenieurstudium einen Platz an der Feintechnikschule in Schwenningen. Und darum studierte er nach der Uhrmacherschule – auf die er nur gegangen war, weil es in der Feinmechanik keine freien Plätze mehr gab – auch erst mal Architektur.
Heute ist Stotz Geschäftsführer bei Junghans in Schramberg und Inhaber der Vector-Technik-Gmbh in Schwenningen, wo er und sein Team Taschen-, Armband, Groß- und Antikuhren reparieren. Und manchmal auch ganze Teile neu anfertigen, für die es keinen Ersatz mehr gibt.
Wenn die Uhr atmet
Was ihn letztlich doch in die Uhrmacherei zog? „Die Technik und die Geschichte, die in den Uhren steckt“, sagt Stotz. Und natürlich: „Dass man mit seinen Händen sehr schöne, feine Dinge erschaffen kann.“ Repariere er eine Uhr, sei es, als würde er ihr wieder Leben einhauchen. „Nicht umsonst sagen Fachleute auch: Die Spirale im Inneren der Uhr atmet.“
Die kniffligste Reparatur, die er je hatte
Stotz holt tief Luft. Einmal, erzählt er, hätte er selbst nicht geglaubt, eine Tischuhr aus der Produktion des traditionsreichen Schweizer Uhren- und Schmuckherstellers Gübelin noch reparieren zu können. Denn: „Ihr fehlte ein komplettes Echappement“ – das aufwendig herzustellende Uhrenelement sei dazu da, den freien Ablauf des Räderwerks zu hemmen und somit auch für den genauen Gang der Uhr verantwortlich.

„Wir hätten ein anderes draufsetzten können“, sagt Stotz. „Aber das wäre dem Anspruch der Uhr nicht gerecht geworden. Wir wollen die Uhren so gut und originalgetreu wie möglich reparieren.“ Das erwarten die Kunden. Das sei er dem Handwerk schuldig.
Durch hartnäckige Recherche und auch durch etwas Glück geriet Stotz am Ende in Kontakt mit einem alten Uhrenmeister, der für Gübelin gearbeitet hatte, und das Echappement beschaffen konnte. Was die Anekdote verrät: Für Matthias Stotz geht es um mehr als das bloße Reparieren von Uhren. Es ist seine Leidenschaft. „Und eine Handwerkkunst, die wir erhalten müssen.“
Damit altes Wissen nicht verloren geht
Als Stotz das erzählt, da schlagen zeitgleich zwei Uhren zur vollen Stunde. Und da klingelt nur wenige Minuten später sein Handy. Der Klingelton: ein anhaltendes Tick-Tock.
Ganz unvermeidlich fällt der Blick auf seine zwei Armbanduhren, je eine an einem Arm, auf die Klein- und Großuhren an der Wand und auf der Werkbank. Und auf das Bücherregal in seinem Büro. Vollgestopft mit historischen Werken zur Uhrenlehre. Ein paar Bücher sind von seinem Großvater aus den 1920ern, andere Bände, etwa zur Reparatur von bestimmten Uhren, hat Stotz sich kopieren und neu binden lassen. Damit das alte Wissen nicht verloren geht. Und er jederzeit etwas nachschlagen könnte.
Rubine im Inneren der Uhr
Hinter seinem Büro sitz Johanna Wienke und blickt durch ihre Lupe auf eine alte Taschenuhr, die überholt werden muss. Sie deutet auf einige Rubine im Inneren der Uhr. „Diese hier“, sagt Wienke, „halten die Unruh“ – und die taktet das stetige Vorrücken der Zeiger über das Räderwerk.
Doch warum gerade Rubine? Weil sie nach dem Diamanten zu den härtesten Mineralien gehören und deshalb trotz mechanischer Beanspruchung nicht so stark abgerieben werden. „Für uns sind die Uhren wie Wohnungen. Wir kennen uns aus, wir gehen da durch“, sagt sie.

Vor sieben Monaten hat Wienke ihre Ausbildung zur Uhrmacherin beendet, seither arbeitet sie bei Stotz. Ein Weg, den immer weniger junge Menschen einschlagen. „Nur ungefähr 150 Uhrmacher werden pro Jahr bundesweit ausgebildet“, sagt Stotz. „Das ist sehr wenig.“ 3500 Uhrmacher arbeiten aktuell in Deutschland, sagt Albert Fischer, Präsident vom Zentralverband für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik.
Doch woran liegt das? Zum einen am Beruf selbst, der nicht für jeden geschaffen sei, meint Urs Grospitz. „Man braucht wirklich gutes Fingerspitzengefühl. Je nach Uhr liegen schnell 100 bis 600 Teile vor einem.“ Zum anderen gingen ausgelernte Uhrmacher oft in die Medizintechnik. „Sie sind besonders gefragt, weil sie auf kleinstem Raum arbeiten können“, weiß Grospitz.
Während er erzählt, führt er durch seine Werkstatt. Spezialisiert hat sich Grospitz auf Luxus- und Antikuhren und hatte dabei schon besondere Uhren auf seinem Werktisch: Jene etwa, die den zweiten Weltkrieg mitgemacht haben. „Oft sind es Fliegeruhren von Piloten, die in der Familie weitervererbt werden“, sagt er. Und oft hätten diese Uhren lange, persönliche Gravuren auf der Rückseite.

Grospitz mag das. Er mag die Geschichten hinter den Uhren. Für seine Kunden sind sie mitunter Erinnerungsstücke an längst verstorbene Menschen. Deshalb sind sie besonders dankbar für jede noch so kleine Reparatur. „Ich habe einen Kunden aus Spanien, der mir seit 10 Jahren eine Weihnachtskarte schickt, weil ich seine Uhr damals zu Weihnachten repariert habe.“