Glück oder Pech sind schiere Zufälligkeiten, die jeden von uns überraschen können. Doch sie sind auch berechenbar, zumindest nach gewissen Wahrscheinlichkeiten. In diese Zusammenhänge der wissenschaftlichen Wahrscheinlichkeit führte der Mathematiker und Buchautor Christian Hesse gestern Abend beim VS-Forum des SÜDKURIER ein.
Rund 750 faszinierte und vom Vortrag des Mathematik-Professors bestens unterhaltene Besucher in der Neuen Tonhalle lernten, wie unwahrscheinlich ein Lotto-Gewinn ist, aber auch, dass eine gute Ehe kein Zufall sein muss.
Es war nicht zuviel versprochen, als Andreas Ambrosius und Jörg-Peter Rau von der SÜDKURIER-Chefredaktion den Gästen in der vollbelegten guten Stube Villingens eine "ganz besondere Mathematikstunde" versprachen. Christian Hesse, Professor an der Universität Stuttgart, zählt zu den bekanntesten deutschen Mathematikern und ist hierzulande gewiss der unterhaltsamste seiner Zunft, weil er dem breiten Publikum Mathematik mit anekdotischem Humor und vielen lebensnahen Beispielen vermittelt.

Gleich mit seiner ersten Übung brachte er das Publikum ins Staunen. Was ist wahrscheinlicher: Beim ersten Würfeln eine Sechs zu werfen oder, dass von 23 willkürlich ausgewählten Personen zwei den selben Geburtstag nach Monat und Tag haben? Die meisten Besucher tippten auf den Würfel. Falsch gedacht. Beim Würfeln liegt die Chance eins zu sechs, beim Geburtstagsbeispiel aber bei eins zu eins. Bei der Realitätsprobe unter dem Publikum zeigte sich aber, wie trügerisch die Wahrscheinlichkeit sein kann: Erst bei 41 befragten Personen gab es eine Übereinstimmung von zwei Geburtstagen. Mathematisch liegt da die Wahrscheinlichkeit einer Übereinstimmung bereits bei 90 Prozent.

Gewiss noch nie was gehört hatten die Besucher auch vom "Geburtstags-Paradoxon". "Das Sterberisiko an Geburtstagen liegt um 14 Prozent höher als an anderen Tagen", berichtete Hesse. Der Grund ist wohl die höhere emotionale Belastung der Menschen durch diesen Tag. Untersucht haben Wissenschaftler auch das generelle Sterbe-Risiko. Mathematisch wurde dazu eine Maßeinheit mit dem sinnigen Namen "Millimort" definiert.
Dieser verdoppelt sich ab dem 25. Lebensjahr alle sieben Jahre. Mit dieser Einheit lassen sich auch weitere Lebensrisiken berechnen. Mit dem Risiko von einem Millimort kann man 12 000 Kilometer im Flugzeug zurücklegen, aber nur 500 Kilometer mit dem Auto nur 25 Kilometer mit dem Motorrad. Einen Selbstmordversuch berechnen die Mathematiker mit 75 000 Millimort, das Besteigen des Mount Everest nur mit der Hälfte. Schlussfolgerung des Mathematikers: Die Everest-Besteigung ist so riskant "wie ein halber Selbstmordversuch".

Die Wahrscheinlichkeit, im Lottospiel sechs Richtige zu haben, liegt bei eins zu 14 Millionen. Was das bedeutet, veranschaulichte Hesse an einem eindrucksvollen Beispiel. Wenn man 14 Millionen Ein-Euro-Münzen nebeneinanderlegt, gibt dies eine Strecke von 320 Kilometer. Die Wahrscheinlichkeit, von diesen 14 Millionen Geldstücken die eine markierte Münze auf Anhieb zu finden entspreche dem Zufall eines Lottogewinns.
Auch das Eheglück ist kein Tabu für Mathematiker. Gibt es eine Formel für eine dauerhafte Beziehung? Spannende Frage. Ein Psychologe und ein Mathematiker sind auf das 5:1-Prinzip gestoßen. Wenn die Partner auf eine negative Auseinandersetzung mit fünf positiven Interaktionen reagieren, "dann hat der Bestand der Ehe gute Chancen", berichtet Hesse. "Früher habe ich auch gedacht, ein einfaches Sorry reicht. Aber heute weiß ich, die Mathematik sagt etwas anderes." Eine Erkenntnis, der er in seinen Ehealltag einbaue. Das Publikum dankte ihm seinen lebensnahen und humorvollen Exkurs in die Welt der Wahrscheinlichkeit mit großem Applaus.