Im Mittelpunkt der Gedenkfeier zum Volkstrauertag am Sonntag stand in Tennenbronn das Schicksal der einstigen Pfarrerfamilie Wilhelm Karle. In Erinnerung an den evangelischen Gemeindepfarrer, der von 1932 bis 1939 in Tennenbronn wirkte, und der aufgrund der Judenverfolgung zur NS-Zeit mit seiner Familie Annemarie und seinen beiden Kindern Hellmut und Eva-Maria aus dem Deutschen Reich flüchtete, wurde vor der evangelischen Kirche eine Gedenktafel enthüllt.

„Die Pfarrfamilie Karle ist wieder in Tennenbronn angekommen“, sagte Robert Herrmann von der Projektgruppe Heimathaus, als er die Gedenktafel gemeinsam mit Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr enthüllte. Er las einzelne Passagen aus dem Buch über den Nationalsozialismus in Tennenbronn vor, das den Schrecken an diese Zeit jenen, die sie nicht miterleben mussten, ein Stück deutlicher werden ließ. Ortsvorsteher-Stellvertreter Manfred Moosmann appellierte, dass „jeder Einzelne mit seinem Verhalten dazu beitragen kann, dass sich dieser Teil der Geschichte nicht wiederholt“.

Zuvor erläuterte Carsten Kohlmann, Leiter des Schramberger Stadtarchivs und -Museums, die bewegende Geschichte des Pfarrers Wilhelm Karle. Er floh mit Frau und Kindern im April 1939 über Berlin nach Großbritannien, um der Judenverfolgung zu entgehen. Die Familie Karle gehörte demnach zu einer Gruppe von etwa 400 000 Christen, die in der NS-Zeit wegen ihres jüdischen Familienhintergrunds als „nicht-arische Christen“ verfolgt wurden. In das Bewusstsein rückte das Schicksal der Familie Karle durch einen Besuch des Sohns Hellmut Karle, der 1932 in Tennenbronn zur Welt kam und der vor dreieinhalb Jahren seinen Geburtsort besuchte. Dabei wurde er auf die zu diesem Zeitpunkt bereits in Arbeit genommene Erforschung der Projektgruppe Heimathaus von Tennenbronn zur Zeit des Nationalsozialismus aufmerksam gemacht. Der inzwischen 86-Jährige Hellmut Karle machte dem Stadtarchiv Schramberg aus dem Nachlass seiner Eltern wertvolle und international bedeutsame zeitgeschichtliche Dokumente und Fotos zugänglich, die jetzt als Buch veröffentlicht werden. Aufgrund einer Verletzung, die er sich bei einem Sturz zugezogen hatte, konnte der hochbetagte Sohn nicht an der Gedenkfeier teilnehmen. Carsten Kohlmann appellierte an die Tennenbronner Bürger in der vollbesetzten evangelischen Kirche, dass die Familie Karle „in das Tennenbronn-Bewusstsein aufgenommen werden und deren Geschichte beispielhaft im Konfirmations- und Schulunterricht behandelt werden und so in stetiger Erinnerung bleiben müsste.“

Oberbürgermeister Dorothee Eisenlohr dankte der Projektgruppe Heimathaus für die Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels der Geschichte. Als jemand, der Jahrgang 1982 ist, habe sie in in einem Deutschland ohne Krieg aufwachsen dürfen und sei sich dessen sehr bewusst. „Es ist eins sehr großes Privileg, dass wir seit mehr als 70 Jahren Frieden haben.“ Gleichwohl ist auch sie mit vielen Kriegen und Krisenherden in anderen Teilen der Welt wie dem Jugoslawien- und dem Irakkrieg aufgewachsen. Der Volkstrauertag gehe auch darum, bewusst zu machen, dass Frieden nicht selbstverständlich ist. Eisenlohr bedauerte deshalb, dass zu der Gedenkveranstaltung nicht mehr Jugendliche gekommen sind. Angesichts von Gruppierungen, die die Geschehnisse im Dritten Reich verharmlosend darstellen, müsse sich die Gesellschaft entschieden dagegen stellen.