Die Erinnerungen an die schlimmste Zeit in der deutschen Geschichte verblassen: Manche Orte sind längst verschwunden oder überbaut, andere sind bis heute unübersehbar. Das Projekt „Das Dritte Reich und wir“, widmet sich der Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus in St. Georgen. Projektteilnehmer begaben sich jetzt auf Spurensuche.
Otto Rapp, Experte in Sachen St. Georgener Geschichte, unternahm die Exkursion mit einem halben Dutzend Teilnehmer. Er kannte die Orte aus eigenen Kindheitserinnerungen, wo während des Zweiten Weltkrieges Bomben einschlugen und Häuser oder ganze Häuserreihen zerstörten.

Wer im Jahr 2022 durch die St. Georgener Innenstadt geht, wird keinerlei beschädigte Hausfassaden mehr entdecken. Dabei war die Innenstadt von St. Georgen mehrfach Ziel von Luft- und Bodenangriffen gewesen.
Was das Feuerwehrtagebuch weiß
Anhand von Aufzeichnungen aus einem Tagebuch der St. Georgener Feuerwehr, die ist, konnte beispielsweise festgestellt werden, dass im April 1945 eine komplette Gebäudezeile am Bärenplatz durch ein Artilleriefeuer zerstört wurde.

Das hatte Gerhard Mengesdorf recherchiert, Mitinitiator der St. Georgener Projektgruppe. Ebenso wurde ein Haus, das etwa in Höhe zwischen Sparkassengebäude und einer Boutique stand, durch eine Fliegerbombe in Schutt und Asche gelegt.
Auch das Zünderschlössle, das an der Stelle des heutigen Optikergeschäfts an der Ecke Gerwig- und Gewerbehallenstraße stand, wurde von einer Bombe getroffen. Es wurde allerdings erst im Zuge der Stadtkernsanierung Anfang der 1970er Jahre abgerissen.
Otto Rapp konnte auch das ehemalige Haus Haas-Rosenfelder in der Gewerbehallenstraße identifizieren, das am 21. April 1945 von „plündernden Russen“, so im Feuerwehrtagebuch notiert, in Brand gesteckt und niedergebrannt wurde. Heute beherbergt das Gebäude ein Zeitschriftengeschäft.

Viele der damaligen Ereignisse sind nur noch in Erinnerungen von Zeitzeugen vorhanden. Verschwunden sind das Kriegerdenkmal, das in Höhe des heutigen BM-Cafés stand, oder eine von der SS betriebene Lehrwerkstatt, die auf dem Areal der heutigen Firma ebm-papst stand.

Anderes ist noch bis heute präsent. So etwa die steinernen Grabkreuze auf dem alten Friedhof, ebenso der von dem St. Georgener Künstler Willi Dorn (1916 bis 1995) entworfene Gedächtnisbrunnen mit Figurenkranz aus Bronze. Dieser erinnerte ab 1957 an die Kriegs- und zivilen Opfer.

Auch die Wand, in der Schrifttafeln mit Namen St. Georgener Bürger eingelassen sind, die durch Kriegsereignisse ihr Leben lassen mussten, sind bis heute stumme Zeugen der Nazizeit.

Gerhard Mengesdorf, der das von der Universität Gießen wissenschaftlich begleitete Projekt „Das Dritte Reich und wir“ in St. Georgen mit initiierte, wertet das Projekt als Erfolg. „Es sind, auch durch die Unterstützung zahlreicher Bürger, viele bislang nicht bekannte Details aus dieser Zeit ans Tageslicht gekommen.“ Besonders erstaunt habe ihn, „wie viele Euthanasieopfer es in St. Georgen gegeben hat, von denen man bis heute nichts wusste“.