Die Wand singt. Und sie macht das sogar ziemlich gut. Die Musikalität sieht man ihr dabei nicht an. Es ist eben eine fast ganz normale Wand.
Das Geheimnis: Hinter dem unscheinbaren weißen Putz sind Lautsprecher der Marke Revox verbaut. Sie bringen Wände zum Schwingen.

Seit 1998 stellt das Schweizer Unternehmen im Technologiepark am Krebsgraben seine Hifi-Produkte her. Auf dem Gelände produzierte in der Nachfolge von Saba der französische Thomson-Konzern bis Ende der 1980er-Jahre seine Farbfernseher. Heute hat dort Revox sein Werksgebäude und dort befindet sich auch der Hörraum. Der mit der singenden Wand.

Jürgen Imandt ist Marketingleiter des Unternehmens. Er dirigiert das Konzert in Zimmerlautstärke an der Fernbedienung. „Angel“ von Sarah McLachlan ist zu hören. Imandt mag brillante Frauenstimmen in exzellenter Aufnahmequalität, zurückhaltende Musik mit viel Kraft. Das passt gut zu schwingenden Wänden.

Die Niederlassung in Villingen, Klangwerk genannt, gibt es bereits seit 25 Jahren. Dass das Hifi-Erbe der Zähringerstadt lange nach dem Ende von Saba damit weitergeführt wird, weiß kaum jemand. Das wiederum passt gut zu dem Ruf deutscher und Schweizer Ingenieure: Sie tüfteln hinter verschlossenen Türen an ihren hoch präzisen Meisterwerken.
Standortfaktor Zulieferer
So verschlossen geht es beim Bau von Audiosystemen und Lautsprechern in Wahrheit aber gar nicht zu. In die Region gibt es zahlreiche geschäftliche Beziehungen. „Wir setzen auf die Zuliefererkraft im Umfeld“, sagt Imandt.
So bestückt das Unternehmen Hechinger aus Schwenningen beispielsweise Leiterplatten. Und ein weiterer Anbieter hat seinen Sitz sogar direkt auf dem Gelände des Technologieparks.

Für Imandt ist die Nähe zu den Zulieferern wichtiger, als die Preisunterschiede zu chinesischen Anbietern. „Wenn es ein Problem gibt oder wir etwas am Platinenlayout ändern müssen, gehen wird mit dem Bauteil nach nebenan und sagen: ‚Guck mal.‘“
Schon der Firmengründer schätzt den Schwarzwald
Nicht alles findet sich aber im Schwarzwald. Dann schaut das Unternehmen zunächst im weiteren Umkreis: lackiert wird Bayern, Glas kommt aus Thüringen. So hat es schon der Firmengründer Willy Studer gemacht. „Der hat sich umgeschaut, wo er geeignete Werkstoffe findet“, erzählt Jürgen Imandt. „Und er ist dabei über die Grenze gegangen und hat sich schließlich auf den Schwarzwald konzentriert.“

Dort gab es bereits eine Phono-Industrie und auch die Erfahrungen aus der Uhrenproduktion waren sicherlich von Vorteil. Und natürlich gibt es dann noch die verbindende gemeinsame Sprache. Aber das Wichtigste: „Qualität finden wir hier mehr“, sagt der Marketingleiter.
„Wir entwickeln sogar Testgeräte für unsere Bauteile selbst“, sagt Imandt. Die Abteilung für Qualitätssicherung wird von Axel Dold geleitet. Der legt eine Platine nach der anderen in ein solches selbst entwickeltes Messgerät. Alles muss perfekt sein, ehe die Leiterplatten bestückt und in ein Hifi-Gerät eingebaut werden.

Und falls doch mal was kaputt geht? Ein großer Teil der Produktionshalle wird vom Ersatzteillager belegt. Für praktisch alles, was das Unternehmen jemals hergestellt hat.

„Die älteste Schraube passt in eine Revox G36 Bandmaschine aus den 1960er-Jahren“, sagt Torsten Stumpf, Leiter Service und Produktion. „Kann gut sein, dass Willy Studer die noch selbst gedreht hat“, vermutet Jürgen Imandt.

45 Mitarbeiter fertigen in Villingen im Jahr 10.000 Produkte. Was überrascht: In der Produktionshalle ist es so still, genussvolles Musikhören wäre problemlos möglich. Emil Hauger fügt die Teile eines Lautsprechers zusammen. Er strahlt dabei eine große Gelassenheit aus.

Mit der Routine von 38 Berufsjahren in der Produktion geht es dennoch rasend schnell: Frequenzweiche festschrauben, Kabel ziehen, Dämmmaterial ins Gehäuse stopfen, Glasfront festkleben, Lautsprecherchassis einsetzen.
„Es gibt heute Kunden, die wollen hochwertigste digitale Musikwiedergabe, parallel dazu auch das Analoge.“Jürgen Imandt, Revox-Marketinleiter
Ob klassische Box oder in der Wand verputzt – Lautsprecher sind prinzipbedingt analog. Am anderen Ende der Audio-Kette hat in den vergangenen Jahrzehnten hingegen eine Revolution stattgefunden. Musik ist digital geworden und kommt inzwischen auch ohne Tonträger aus.
Aber es gibt eine Gegenbewegung. Die gute alte Schallplatte feiert ihr Comeback. In den USA hat sie 2022 die CD bei den Stückzahlen bereits überholt. Das geht aus dem Abschlussbericht der RIAA (Recording Industry Association of America) hervor.
Schon wieder die alte Platte ...
Da passt es gut, dass Revox mittlerweile auch wieder einen Plattenspieler im Angebot hat. Studiomaster T700 Turntable heißt er und kostet fast 4000 Euro. Dafür gibt es 33 Jahre lang ein Spotify-Abo. Retro hat seinen Preis, wenn die Qualität zeitgemäß sein soll.
„Digitale Musik ist gut, aber parallel Plattenspieler anschließen ist auch schön“, findet jedenfalls Jürgen Imandt. Andächtig legt er das Album „On Every Street“ von den Dire Straits auf das analoge Flaggschiff des Unternehmens und senkt den Tonarm mit der Nadel auf das Vinyl ab.
Die Rückbesinnung auf das Analoge hat auch etwas mit dem Verständnis von Nachhaltigkeit in der Unternehmensphilosophie zu tun. Dazu gehört, dass sich auch Opas 40 Jahre alte Bandmaschine ebenso in ein modernes Digitalsystem integrieren lässt wie das Tidal-Abo der Tochter.
Das ist kein rein theoretisches Szenario. Während Corona entrümpelten offenbar viele Menschen ihre Keller und Dachböden. In der Werkstatt in Villingen wird Tonbandmaschinen, Kassettendecks und Plattenspielern derzeit im Akkord neues Leben eingehaucht.
Was bedeutet eigentlich Revox?
Statt Sarah McLachlan aus der Wand, tönt jetzt Anette Askviks tieftrauriges „Liberty“ aus klassischen schwarzen Lautsprechersäulen. Die Norwegerin klingt zerbrechlich wie eine Schellackplatte und dabei so bestimmt wie eine singende Wand. „Revox heißt wiedergegebene Stimme“, erklärt Jürgen Imandt.
Der Blick aus dem Fenster passt zur Stimmung der Musik. Wo einst der blaue Saba-Schriftzug über dem Werksgelände schwebte, ist jetzt eine Baustelle.

Aber auch wenn es viele nicht bemerken: Der Schwarzwald ist dank seiner hervorragenden Zulieferer längst wieder ein Hifi-Standort. In der Tradition von Dual, Perpetuum Ebner und Saba.