Fasnet, Festivals, Konzerte – viele junge Menschen freuen sich auf diese Großveranstaltungen. Nicht so Smilla Winterhalder.

Für die 19-Jährige ist es die absolute Reizüberflutung – die vielen Gerüche, die Geräuschkulisse, das Menschengedränge. Auf all diese Dinge reagiert Smilla besonders empfindlich, sie versetzen sie regelrecht in Stress.

Smilla hat Autismus. Sie lebt mit dem Asperger Syndrom. „Ich nehme die Reize in meiner Umwelt ungefiltert auf“, erklärt sie. „Es strömt alles zu hundert Prozent auf mich ein.“

Smilla und ihre Mutter Sabine Messmer sitzen am großen Essenstisch in ihrem Haus in Vöhrenbach. Wochenends sind sie hier, unter der Woche leben sie in Freiburg.

Zwei Frauen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein können: Smilla hat ihre braunen Haare zum Zopf gebunden, spricht leise und bedacht, schaut dabei meist auf den Tisch vor sich. Sabine Messmer, eine runde blau umrandete Brille auf der Nase, das Gesicht von kurzen blonden Locken umrandet, ist extrovertiert und wortgewandt.

Doch etwas haben beide gemeinsam: Sie wollen über Autismus reden, darüber, was es für Betroffene bedeutet und wie wichtig es ist, dass die Gesellschaft darüber Bescheid weiß.

„Ich kann nicht für jeden Autisten sprechen“, betont Smilla gleich zu Beginn des Gesprächs. Was sie aber könne: ihre eigene persönliche Wahrnehmung wiedergeben.

Es ist ruhig, im Hintergrund ist das leise Rauschen der Spülmaschine zu hören. „Zum Beispiel dieses Geräusch“, sagt Smilla und deutet auf die Küche, „das höre ich gerade die ganze Zeit und kann es nicht ausblenden.“

Smilla und Sabine Messmer kochen gerne zusammen. Zur Zeit ist die koreanische Küche bei Smilla sehr beliebt.
Smilla und Sabine Messmer kochen gerne zusammen. Zur Zeit ist die koreanische Küche bei Smilla sehr beliebt. | Bild: Hanna Mayer

Frühe Anzeichen

Dass Smilla auf Lärm sensibel reagiert, bemerken ihre Eltern bereits im Säuglingsalter. „Sie hat immer geschrien, wenn es laut war“, erinnert sich ihre Mutter. Im Kindergarten hält sich Smilla oft die Ohren zu und verkriecht sich.

Mit vier Jahren kann Smilla lesen, sie hat es sich selbst beigebracht. Die Erzieher raten trotzdem zur Förderschule. Für Messmer absolut unverständlich. Auch wenn Smilla im Vergleich zu Gleichaltrigen motorisch langsamer ist, habe sie immer gewusst: „Smilla ist kognitiv auf der Höhe.“

Bei einer Heilpädagogin fällt schließlich zum ersten Mal das Wort „Autismus“. Es folgen verschiedene Tests an der Uniklinik in Tübingen. Die Diagnose ist eindeutig.

„Für uns als Eltern war das nicht enttäuschend oder traurig“, sagt Messmer. „Mit der Diagnose war die Anspannung raus.“

Sie suchen sich Hilfe: eine Selbsthilfegruppe, einen Schulbegleiter für Smilla, eine Sozialkompetenzgruppe. Sie versuchen als Familie, den Alltag mehr zu strukturieren.

Doch nicht überall ist Verständnis für die Diagnose da. An eine Situation erinnern sich Smilla und ihre Mutter besonders gut: Die Klasse soll etwas von der Tafel abschreiben. Smilla ist dabei langsam, es fällt ihr motorisch einfach schwer. Der Tafelaufschrieb wird schließlich abgewischt, obwohl Smilla noch nicht fertig ist. Das regt sie fürchterlich auf. Die Schulbegleitung meint daraufhin zu ihr: „Du musst halt schneller schreiben.“

Sabine Messmer schüttelt heute noch den Kopf über diese Aussage und erklärt: „Das ist, wie wenn du einem Rollstuhlfahrer sagst: Steh doch einfach auf.“

„Ich wünsche mir mehr Toleranz für Menschen, die ‚anders‘ sind.“
Sabine Messmer, Mutter von Smilla

Wie schwierig es für Betroffene und Angehörige ist, Hilfe zu bekommen, weiß auch Claudia Springsklee, Leiterin der Selbsthilfegruppe „Autismus-Spektrum“ im Schwarzwald-Baar-Kreis. „Es ist unfassbar, welche Wege Eltern gehen, welchen Widerständen sie begegnen und entgegnen müssen, um an Diagnose- und dann Therapieeinrichtungen und generell Unterstützungsmöglichkeiten zu kommen.“

Claudia Springsklee, Leiterin der Selbsthilfegruppe Schwarzwald-Baar
Claudia Springsklee, Leiterin der Selbsthilfegruppe Schwarzwald-Baar | Bild: JOANNA HAAG

Ziel der Gruppe sei es deshalb, Erfahrungen auszutauschen, Kontakte zu vermitteln, Sozialkontakte zu fördern und sich zu vernetzen. Springsklee hofft darauf, „mehr Gehör zu finden für die Bedürfnisse von Menschen mit Autismus und ihren Angehörigen.“

Zurück ins Wohnzimmer nach Vöhrenbach. Wie nimmt sich Smilla eigentlich selbst wahr? Die 19-Jährige beschreibt sich selbst als „ruhig und zurückhaltend“. Ihre Mutter hingegen nennt sie „humorvoll, bedingungslos ehrlich, sensibel“.

„Ich fühle mich oft unsichtbar.“
Smilla Winterhalter, Autistin

Manchmal, sagt Smilla, mag sie Gesellschaft. Dann, wenn sie mit anderen ein Gesprächsthema findet. „Small Talk hasse ich“, sagt sie.

Smilla liebt es, zu lesen und dabei ganz in die Welt der Bücher zu versinken. Für sie ist es ein wichtiger Ausgleich zum oft so ...
Smilla liebt es, zu lesen und dabei ganz in die Welt der Bücher zu versinken. Für sie ist es ein wichtiger Ausgleich zum oft so stressigen Alltag. | Bild: Hanna Mayer

Überhaupt falle es ihr schwer, Blickkontakt mit anderen zu halten, es sei ihr unangenehm. Wenn Menschen ungenaue Angaben machen, komme sie damit nicht zurecht: „Alles muss genau formuliert sein.“ Ein Lehrer, der sich nicht an den Stundenplan hält? Für Smilla purer Stress.

Berührungen, vor allem, wenn sie sie unverhofft treffen bezeichnet Smilla als „schlimm“. Nicht nur menschliche Berührungen: Allein schon das Gefühl von Kleidung auf der Haut störe sie. Make-Up in ihrem Gesicht fühle sich wie ein Fremdkörper an.

Was Smilla hilft im Alltag zurechtzukommen ist Ruhe, Zeit für sich. Und dass auf eben diese Bedürfnisse Rücksicht genommen wird. Sie würde sich wünschen, dass man einen Autisten immer mal wieder fragen würde: „Was brauchst du?“ Auch, wenn es bei ihr lange gedauert habe, diese Bedürfnisse äußern zu können.

Was Smilla ganz praktisch hilft, sind ihre schallisolierten Kopfhörer, die sie immer dann aufzieht, wenn die Welt ihr zu laut wird.

„Es ist nicht einfach, Autismus zu haben“, findet Smilla. „Manchmal muss man kämpfen.“ Und trotzdem sieht sie Autismus nicht als eine Art „Behinderung“ an. Denn: „Ich kann das meiste, was alle können. Aber eben auf meine Art.“

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