
Tief im Schwarzwald, im Kloster Alpirsbach, steht eine der ungewöhnlichsten Orgeln der Welt.

„Was wir hier gemacht haben ist absolut abgefahren. Im wahrsten Sinne des Wortes", erklärt Claudius Winterhalter mit einem verschmitzten Grinsen. Winterhalter, ein sportlicher Mann mit grauem Dreitagebart, ist Orgelbauer. Seine Werkstatt in Oberharmersbach mit neun Mitarbeitern fertigt ein bis zwei sehr hochwertige Instrumente pro Jahr.
Auf Luftkissen durch die Kirche schweben
In der Klosterkirche von Alpirsbach steht die einzige fahrbare Luftkissenorgel Deutschlands, eine von nur vier Instrumenten ihrer Art weltweit. Das riesige Instrument kann mit Luftkissen angehoben werden, sodass es den Bodenkontakt verliert und mit einem Joystick durch das knapp 900 Jahre alte romanische Kirchenschiff gefahren werden kann. Claudius Winterhalter hat das Instrument 2008 geschaffen.

Zehn Jahre später steht der 65-Jährige vor seinem Instrument und erklärt die Technik mit kindlicher Freude. „Die Orgel schwebt gerade so hoch, dass ein Blatt Papier zwischen Boden und Instrument passt. Und der Mechanismus ist mucksmäuschenstill. Als wir die Luftkissen das erste Mal ausprobiert haben, stand ich gerade in der Orgel. Und auf einmal schaust du nach draußen und siehst, wie eine Säule an dir vorbeifährt. Das war absolut verrückt."

Gehäuse mit der Motorsäge auf dem Kirchplatz bearbeitet
Für verrückt hielten ihn auch die Alpirsbacher, als er in den 1990er-Jahren mit dieser Idee ankam. „Die dachten alle, dass ich den Verstand verloren hätte. Nach dem Motto, der Winterhalter baut uns eine Orgel, die am Ende nicht funktioniert und veruntreut unser Spendengeld. Die Idee ist auf massive Kritik gestoßen."
Und als wäre das nicht exzentrisch genug, hat Winterhalter die Lüftungsschlitze der Orgel von einem Künstler mit einer Motorsäge direkt auf dem Kirchplatz in das Holz sägen lassen. Durchsetzen konnte er sich trotzdem.Seit 2008 schwebt die Orgel zu besonderen Anlässen aus ihrer Nische in die Mitte des Kirchenschiffs, dreht sich und kommt dann lautlos zum Stehen. Das Instrument ist ein Publikumsmagnet, die meisten Konzerte sind ausverkauft.

Gespielt wird das Instrument in der Regel von Carmen Jauch. Die Kantorin der Klosterkirche schwärmt von "ihrem" Instrument, das nicht nur für Gottesdienste, sondern vor allem auch für Konzerte genutzt wird.

"Obwohl die Orgel in Relation zum Kirchenschiff relativ klein ist, füllt ihr Klang die Kirche komplett aus", erklärt Jauch, während sie am dreimanualigen Spieltisch sitzt. Gestartet wird die Orgel ähnlich wie ein Auto mit einem Schlüssel.

Aber wie sieht es eigentlich in der Orgel aus? Vorsichtig klettert Carmen Jauch in das Instrument. Überall stehen Pfeifen auf den sogenannten Registerbänken.

Sie sind in passend ausgebrannte Löcher gesteckt. Von unten strömt die Luft dann die Luft in die Pfeifen. Zum Intonieren können sie jederzeit herausgenommen werden. Hier erklärt Carmen Jauch einige Pfeifenarten und ihre Eigenschaften.
Jedes Register hat einen anderen Klang. Die einzelnen Register der Orgel sind oft dem Klang von Instrumenten nachempfunden. Die unteren Zahlen dokumentieren die Länge der Pfeifen in Fuß.

250 000 Einzelteile – und alles muss exakt passen
Unabhängig von ihrer Größe zählen Orgeln zu den kompliziertesten Instrumenten. Nicht umsonst hat die UNESCO den deutschen Orgelbau unlängst zum Weltkulturerbe erklärt. Eine mittelgroße Orgel kann aus einer 250 000 Einzelteilen bestehen. Eine Tatsache, die vielen Kirchen- und Konzertbesuchern verborgen bleibt.
Holz aus dem Schwarzwald – Pfeifen aus Portugal
Der größte Teil der Orgel wird in Winterhalters Werkstatt von Hand gebaut. Nur die Pfeifen aus eine Zinn-Blei-Legierung kommen werden aus Portugal importiert. Das Holz für die Orgel kommt vorwiegend aus dem Schwarzwald. Verwendet wurde Ahorn, Birne, Fichte und vor allem Eiche. Letzteres, weil der Holzwurm das harte und saure Holz nicht mag. Zudem gibt es Hirsch-, Elch- und Rindsleder im Inneren der Orgeln. Als Aber auch Carbon wird aufgrund seiner klimaneutralen Eigenschaften mittlerweile verwendet.

Wie diese Teile zusammenspielen und vom Organisten Leben eingehaucht bekommen, erklärt Carmen Jauch am Spieltisch.
Orgelmatinée zum zehnjährigen Jubiläum
Jauch wird am ersten Advent auch eine Matinée zum zehnjährigen Jubiläum an der Orgel gestalten. Dann wird die Orgel aus dem Seitenschiff in die Vierung schweben und die Konzertbesucher mit ihrem klaren und kraftvollen Klang in ihren Bann ziehen. Nicht fehlen dürfen dabei auch ihre "Orgelschuhe", die bestimmte Eigenschaften haben.
Am Adventssonntag, 2. Dezember, wird das zehnjährige Jubiläum der Winterhalter-Orgel inder Klosterkirche gefeiert. Um 11.15 Uhr beginnt die Orgelmatinée plus Orchester mit Orgelverfahrung. Gespielt werden das Konzert für Orgel, Streicher und Pauke in g-moll von Francis Poulenc, eine Auftragskomposition „Orgel und Elektronik“ anlässlich des Jubiläums von Tobias Hagedorn und der Bolero von Maurice Ravel, vierhändig gespielt. Anschließend gibt es einen Empfang mit Apéro. Der Eintritt zur Orgelmatinée ist frei.

Biografie: Organistin Carmen Jauch
Die gebürtige Rottweilerin Carmen Jauch ist seit Januar 2015 Organistin und Kantorin in Alpirsbach. Neben alltäglichen Terminen wie Gottesdienstbegleitungen und Beerdigungen organisiert Jauch die renommierten Alpirsbacher Klosterkonzerte und ist auch die musikalische Leiterin der bekannten Alpirsbacher Kreuzgangkonzerte. Das Orgelspiel hat sie im Kirchenmusikstudium an der Hochschule für Musik und Theater in München gelernt. Sie absolvierte die Studiengänge Kirchenmusik (A), Konzertfach Orgel und Cembalo. Ein weiterführendes Studium im Fach Orgel folgte in Piteå (Schweden) sowie im Fach Cembalo an der Universität Mozarteum in Salzburg. Meisterkurse besuchte sie unter anderem bei der französischen Orgelvirtuosin Marie-Claire Alain und bei Olivier Latry, dem Titularorganisten von Notre Dame in Paris. Von 2007 bis 2009 war sie Organistin und künstlerische Leiterin der internationalen Sommerkonzerte an der deutschen Kirche St. Gertrud in Stockholm. Ihre Konzerttätigkeit führte sie schon nach Norwegen, Schweden, Österreich, Frankreich und Argentinien. Darüberhinaus ist sie als freischaffende Organistin, Cembalistin und Klavierlehrerin tätig. Sie lebt und arbeitet in Bösingen bei Rottweil und in Oberhaching bei München. Am liebsten spielt Carmen Jauch Stücke von Bach, aber auch moderne Kompositionen. Weniger angetan ist sie von Max Reger, dessen Werke sie liebevoll als "Reger-Schinken" bezeichnet.