Königsfeld – Winzige Gestalten, die Handstand auf einem überdimensionalen, instabilem Turm machen, sich in einen rissigen Kreis stemmen oder eine sich im Nichts verlierende Leiter hinaufklettern: Der Mensch ist stets das Thema in den Skulpturen von Zeljko Rusic. Ihm ist derzeit eine Einzelausstellung im Kunstraum an der Gartenstraße gewidmet. Wer bei einem Spaziergang durch den Rotwald an seinem Atelier vorbeikommt, trifft den Künstler vielleicht bei der Arbeit an. Wichtigstes Werkzeug beim Kreieren der wundersamen, filigranen Objekte ist eine Kettensäge.
Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu will Zeljko Rusic nur stellen, nicht beantworten – schon gar nicht mit Bezug zur eigenen Biografie. Über seine Person will er nicht sprechen, auch über seine Arbeiten nicht allzu konkret, denn er will die Assoziationen der Betrachter nicht lenken. Darum haben die Werke auch keine Titel, Rusic gibt lediglich Auskunft über Holzart, Größe und Entstehungsjahr. "Es gibt keine Wahrheiten zu entdecken", erklärt er seine interpretatorische Zurückhaltung. "Ich hoffe, dass sich die Leute ihre eigenen Gedanken machen."
Den virtuosen Umgang mit dem vermeintlich grobmotorischen Brachialwerkzeug hat sich der gebürtige Kroate selbst beigebracht. Schon als Kind habe er gern geschnitzt, später habe er seine gestalterische Lust mehr und mehr mit der Kettensäge ausgetobt und seine Technik autodidaktisch verfeinert. "Übung macht den Meister", sagt er lakonisch, als Spaziergänger sein geschicktes, schnelles Hantieren mit der Kettensäge bewundern. Zeljko Rusic hat seinen Arbeitsplatz auf einer kleinen Waldlichtung eingerichtet, wo er Holz lagern kann und mit seinem unvermeidlichen Lärm niemanden stört. Die Vögel und sonstige Waldbewohner haben sich längst daran gewöhnt. Sobald die Säge schweigt, ist wieder Gezwitscher zu hören, aus weiterer Distanz sieht sich der Künstler bisweilen von Rehen beobachtet.
Die Natur inspiriert ihn, er liebt die Abgeschiedenheit so nah am Kernort. Hier kann er den inneren Bildern nachhängen, aus denen sich ein Motiv ergibt. Das steht stets am Anfang einer Arbeit, niemals ist das Material motivischer Ausgangspunkt. "Es ist Mittel zum Zweck." Wenn die Maserung eines Holzstücks zu lebendig und farbig für den beabsichtigten Ausdruck ist, flammt er es mit dem Bunsenbrenner an und überzieht es dadurch mit schwarzen Schattierungen. "Das Material darf nicht dominant und gleichsam dekorativ sein." Bei der Schaffung von Skulpturen sei die warme Lieblichkeit mancher Holzarten unerwünscht. "Mir geht es um Reibung, nicht um Harmonie."
Ob aus Ulme, Eiche, Walnuss oder Linde: Stets sägt der Künstler Menschen aus dem Holz, oft in grotesker Position und auswegloser Lage. Mit philosophischem Blick reflektiert er emotionale Befindlichkeiten und existenzielle Sehnsüchte. Die Figuren haben individuelle Gesichter mit feinst verästelten Falten, Adlernase, Doppelkinn, sie sind dick, dünn, alt oder jung, Mann oder Frau. Doch derlei Eigenschaften seien nicht wichtig, betont Rusic. "Mir geht es um den Menschen als Wesen und um die Befassung mit Leben."
Längst hat er eine innige Beziehung, ja Liebe zu Bäumen und Stämmen entwickelt, die er manchmal selbst gefällt hat, Wuchs, Standort, Alter bestens kennt. "Bäume sind Persönlichkeiten." Entsprechend groß ist sein Respekt vor dem Holz, dem er neue Sinngebung verleiht. "Du musst dich mit dem Material befreunden." Selbst aus fransigen Bruchstücken fertigt er markante Fantasiebilder. Der Königsfelder will nicht gegenständlich arbeiten, nicht die Natur abbilden, die für ihn ein unnachahmbares Wunder ist. Seine Kunst empfindet er als Berufung und ist dankbar, mit Königsfeld einen Ort gefunden zu haben, an dem er sie ausüben kann. 20-jährig kam er nach Deutschland, jetzt ist er Ende 40 und fühlt sich fremd in Kroatien. "Heimat muss nicht da sein, wo man geboren ist, sondern wo man Zugehörigkeit fühlt." Heimat habe für ihn auch mit Freiheit zu tun. "Hier muss ich keine Angst haben, sondern kann mich frei bewegen. Das ist viel wert."
Ausstellung
Sichtbar – unsichtbar ist Titel der Ausstellung mit Arbeiten von Zeljko Rusic, die der Verein Kunstkultur Kultur noch bis Sonntag, 6. November, im Kunstraum an der Gartenstraße zeigt. Die Ausstellung ist samstags und sonntags von 15 bis 17 Uhr geöffnet. (cn)