Frau Dietz, Sie machen Kunst aus Müll. Was bewegt Sie dabei?
Velia Dietz: Während meines Stipendiums setzte ich mich vor allem mit dem Thema Sammeln und Speichern auseinander. Neben dem klassischen Sammeln von Gegenständen, wie Briefmarken, beschäftige ich mich auch mit dem unterbewussten Sammeln von Punkten bei Bonusprogrammen, Alltagsprodukten wie Kaffeekapseln und Flaschenringe.
Aber auch das Sammeln und Speichern von nachhaltig erzeugter Energie nimmt durch das von mir künstlerisch begleitete Forschungsprojekt „Storing Energy at Sea“ (StEnSea) des Fraunhofer Instituts Kassel einen wichtigen Platz in meiner Arbeit ein. Es hat mich gereizt, Dinge zu verarbeiten, denen wir im Alltag oft kaum Beachtung schenken.
Mein Ziel ist es, durch ästhetische Textilien auf brisante Themen, wie Mikroplastik, unnötige Verpackung, feinste Fasern und anderes aufmerksam zu machen.
Wie kommen Ihre Werke bei den Menschen an?
Ich denke, durch die Vielfalt meiner Textilien und der Themen können die meisten Besucher etwas für sich entdecken, ich habe bisher nur sehr positive Rückmeldungen bekommen. Es ist sehr interessant, wie die Betrachter die Textilien erleben, häufig sehen sie die Textilien nach meinem Vortrag mit ganz anderen Augen – genau das ist mein Ziel!
Ist Ihre Ausstellung also in Königsfeld ein Erfolg?
Die Ausstellung wird sehr gut besucht und die meisten Besucher kommen extra zur Führung. Viele sagen, sie hätten nie gedacht, wie subtil man über Textilien aktuelle Themen ausdrücken kann.
Was war bis jetzt Ihre bedeutendste Anerkennung?
Mein größter Preis war bisher wohl der Lucky Strike Junior Designer Award, ein Preis, der deutschlandweit verliehen wird. Sehr gefreut hat mich auch die Ernennung zum Nominee des German Design Award 2018 und natürlich das Landesgraduierten-Stipendium, das nur alle zwei Jahre vergeben wird.
Wer sind Ihre größten Kritiker?
Meine Familie und mein Professor Karl Höing.
Was tun Sie selbst für den Umweltschutz?
Ich engagiere mich für den Erhalt der Lebensräume von frei lebenden Tieren wie Vögeln, Bienen, Käfer und Insekten. Meine Kleidung nähe ich mir zum Teil selber und arbeite nur mit Naturfasern und versuche ein Material so lange wie möglich zu verwenden. Ich verwende keine Einmalprodukte und versuche beim Einkauf auf verpackte Produkte zu verzichten, kaufe bevorzugt regional, saisonal und aus biologischem Anbau ein.
Mich persönlich verzaubert in Ihrer Kunst die elegante Mischung von feinen, edlen Stoffen, von Naturmaterialen, wie zum Beispiel selbst gesammelte Federn, Rosenblüten und Kleeblätter sowie Haushaltsmüll. Das Endergebnis ist atemberaubend. Mit welchen Stoffen arbeiten Sie am liebsten?
Ich arbeite sehr gerne an der Handstrickmaschine, gestalte also aus einem Faden eine dreidimensionale textile Fläche, die ich dann mit Fremdmaterien wie Metall, Kunststoff, Papier oder Glas kombiniere.
In wie vielen Arbeitsstunden haben Sie das Material für die jetzige Ausstellung gesammelt?
In Arbeitszeit kann ich das Zusammensammeln der Materialien nicht beziffern. Das Projekt ging zwei Jahre und ich habe mich gleichzeitig den verschiedensten Themen und Arbeitsphasen gewidmet, recherchiert und gesammelt.
Woher hat eine junge, zierliche Frau die Kraft für diese Leistung?
Die Kraft entwickelt sich aus der Begeisterung für jedes Projekt, an dem ich gerade arbeite.
Was für Kleidung tragen Sie am liebsten?
Ich mag selbst genähte Kleider aus Naturfasern, wie Wolle, Baumwolle, Leinen oder Seide. Zur Vernissage habe ich ein Kleid aus selbst gestaltetem Stoff getragen, das zur Kollektion des Storing Energie at Sea Projekts gehört. Ich möchte zeigen, dass sogar ein wissenschaftliches Projekt, bei dem es um erneuerbare Energien geht, Inspirationsquelle für Kleidung sein kann.
Was hat Sie am Projekt Storing Energy at Sea fasziniert? Welche Verbindung haben Sie sonst zum Bodensee?
Mein Diplomthema „395,23 Meter über dem Meeresspiegel“, in dem das Projekt Tiefenschärfe ein wichtiger Teil meiner Arbeit war, führte zur Begegnung mit dem Projekt StenSea. Ich fand faszinierend, dass es auch dabei um das Thema Sammeln und Speichern geht, nur auf einem ganz anderen Gebiet. Es war die einmalige Gelegenheit ein aktuelles, wissenschaftliches Projekt textil zu interpretieren und bei allen wichtigen Stationen dabei sein zu können. Seit meinem sechsten Lebensjahr segle ich auf dem Bodensee und habe jahrelang im Sommer als Segellehrerin am See gearbeitet.
Was sind Ihre Pläne für die nächsten drei bis fünf Jahre?
Vor wenigen Tagen habe ich die Förderzusage der Alexander Tutsek Stiftung für einen Aufenthalt an der renommierten Glass School in Pilchuk (USA) erhalten. Ich möchte dort meine Arbeit Glas und Strick weiterentwickeln.
Fragen: Eszter Bodo
Person und Ausstellung
Velia Dietz (29) wohnt in Königsfeld und Stuttgart. Sie hat ihr Studium des Textildesigns an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart absolviert. Die Textildesignerin hat schon als Kind viel gemalt und genäht. Ihre Eltern haben ihr ein äußerst gutes Gespür für Formen und Ästhetik vermittelt und sie schon früh mit in Ausstellungen genommen. Ein Besuch im Kunstraum Königsfeld zeigt den Besuchern nur noch am Karfreitag und am Ostersamstag von 15 bis 17 Uhr die Kunst der Textildesignerin Velia Dietz. Jeweils um 15.30 Uhr hält sie einen Einführungsvortrag. (ebk)