Am 24. Februar 2022 begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. In den folgenden Tagen und Wochen flüchteten Millionen Menschen aus ihrer Heimat, auch nach Deutschland, darunter auch 200.000 Kinder, die quasi über Nacht in deutschen Schulen aufgenommen werden mussten.
Auch in Hüfingen an der Lucian-Reich-Schule, wo aktuell 635 Schüler die Schulbank drücken. „Wenige Tage nach dem Kriegsausbruch kamen die ersten sechs Schüler aus der Ukraine bei uns an“, erinnert sich die zuständige Lehrerin Petra Schulter. „Zuerst fand der Unterricht im Rektorat statt.“
Wenig später kamen drei weitere Schüler hinzu. Das hat sich fortgesetzt. Mittlerweile zählt Vorbereitungsklasse insgesamt 50 Schüler. Rund 75 Prozent davon stammen aus der Ukraine, die restlichen Schüler sind beispielsweise aus der Türkei, aus Syrien oder Afghanistan. Die Kinder und Jugendlichen sind zwischen fünf und 16 Jahre alt und sprechen knapp zehn unterschiedliche Sprachen und Dialekte.
Unterricht in Containern
„Zum Glück waren die Container vom Um- und Neubau noch da“, erzählt Petra Schulter. Die Sprachklasse zog rasch dorthin um. Mittlerweile kümmern sich dort drei Lehrer in vier Klassenräumen ausschließlich um die Sprachschüler. Das sind Petra Schulter, Oksana Khimohynska und Vladimir Levcenko. Khimohynska ist selbst aus der Ukraine geflohen.
Bei der Schulanmeldung ihres Sohnes stellte sich heraus, dass sie Deutschlehrerin ist. Kurze Zeit später folgte eine Anstellung über das Schulamt. Vladimir Levcenko ist eigentlich Sportlehrer an der Schule, spricht aber auch Russisch und kann sich daher gut mit den Schülern verständigen. In beiden Fällen ein Glücksfall für Kinder und Schule.

So läuft die Sprachförderung ab
Doch wie ist bei so vielen unterschiedlichen Schülern überhaupt geregelter Unterricht möglich? Ziel sei es, die Schüler auf einen Abschluss vorzubereiten, erklärt Petra Schulter. Grundlage ist dabei immer die Sprache. Deutsch zu lernen falle vor allem den ganz jungen Schülern leichter. In manchen Fällen konnten Grundschüler bereits nach wenigen Wochen in reguläre Klassen wechseln.
Bei den Älteren ist häufig etwas mehr Zeit nötig, weiß Petra Schulter. Um dennoch Anschluss zu finden, nehmen Schüler parallel und stundenweise am regulären Unterricht Teil, vor allem im Sportunterricht. „Im Sport ist die Kommunikation einfacher“, erklärt Vladimir Levcenko.
Was den Lernalltag der Klasse kompliziert gestaltet, ist die große Bandbreite beim Lernfortschritt. Es gebe Schüler, die überhaupt nicht Lesen oder Schreiben können. Andere seien dagegen auf einem guten Bildungsniveau, so Petra Schulter. Wieder andere haben ganz besondere Begabungen oder Schwächen.

Selbstverständlich ist, dass Vorschulkinder und 16-Jährige völlig andere Voraussetzungen und Interessen haben. Während die Jüngsten immer wieder Auszeiten zum freien Spielen benötigen oder gerne Bilder malen, bedarf es bei Jugendlichen anderer Lernmethoden.
In kleinen Gruppen oder in Einzelbetreuung werden Schulaufgaben gelöst. Auch spielerisch wird Sprache vermittelt. Elternarbeit und Konfliktbewältigung sind ebenfalls Teil des Unterrichts. Selbst ein gemeinsames Pausenvesper kann helfen. Einige ukrainische Kinder nehmen weiterhin per Videokonferenz am Unterricht in ihrer Heimat Teil.
Übersetzungscomputer sollen Arbeit erleichtern
50 unterschiedliche Schüler bedeuten letztlich 50 unterschiedliche Stundenpläne, die alle Petra Schulter individuell zusammenstellt. Das ist ein gewaltiger Aufwand, vor allem zu Beginn eines neuen Schuljahres. In allen 50 Fällen müssen Stundenpläne auf den Unterricht der Regelklassen sowie auf individuellen Fähigkeiten abgestimmt werden. Kaum ein Plan gleicht dem anderen.

Für etwas Erleichterung in der täglichen Arbeit sorgt jüngst ein neuer Übersetzungscomputer, der ganze 150 Sprachen beherrscht und 400 Euro kostet. „Es sollen noch zwei weitere Geräte angeschafft werden“, sagt Petra Schulter. Ein Teil des Geldes dafür stammt aus den Erlösen eines gemeinsamen Spielenachmittags im vergangenen Sommer.
Das Gerät hilft vor allem dann, wenn Kinder noch kaum Deutsch verstehen, wie der 13-jährige Bilal aus Syrien, der erst Ende 2022 nach Deutschland kam. Lehrerin Petra Schulter stellt ihm Fragen zur Uhrzeit und erklärt Sachverhalte. Das Gerät übersetzt ihre Worte ins Arabische. Das funktioniert auch umgekehrt. So können Kinder schneller Vertrauen zu ihren Lehrern aufbauen und fühlen sich verstanden, was wiederum den Lernerfolg beschleunigen kann.
Schüler haben es häufig schwer
Trotz aller Bemühungen seitens der Lehrkräfte haben es Schüler nicht leicht, da ist sich Petra Schulter sicher. Die Sprache zu lernen und parallel Bildungsrückstände aufzuholen, sei nicht einfach, zumal die Möglichkeiten der Lehrkräfte zur Einzelförderung begrenzt seien.
Jedes Kind hat zudem seine eigene Geschichte. „Vielen fehlt auch eine Perspektive“, so Petra Schulter. „Sie wissen nicht, ob sie in einem Jahr noch hier sind oder zurück in ihre Heimat gehen.“ Anschluss zu finden, sei ebenfalls nicht einfach.
Auch Konflikte gehören zum Alltag. „Wie in allen anderen Klassen“, weiß Vladimir Levcenko. Das sei bei allen Kindern und Jugendlichen gleich. Vorfälle werden in der Gruppe aufgearbeitet. Zuletzt wurde ein Regelbaum mit Symbolbildern gestaltet, leicht verständlich über viele Sprachen hinweg.
