25 Jahre lag sie im Dornröschenschlaf. Fein säuberlich verstaut in einer Scheune Richtung Bruggen: die legendäre Drehbühne der Lammgesellschaft, die Paul Rosenstihl eigens für den damaligen Bräunlinger Zunftball entworfen und gebaut hat.

Jetzt bekommt sie einen neuen Einsatzzweck. Der liegt mehr als 700 Kilometer entfernt, im Odeon-Theater in Wien. Im November findet auf dieser Bühne die Uraufführung der Oper „Alice“ durch das Sirene Operntheater statt. Vorlage für diese Oper ist das Märchen „Alice im Wunderland“.

Berthold Geyer recherchiert im Internet

In Gang gekommen ist die Kulturhilfe durch den Umstand, dass die Scheune anderweitig genutzt werden soll. Man musste also ausräumen. Zunächst war geplant, die alte Bühne zu verschrotten. Berthold Geyer fand das schade, recherchierte im Internet und stieß auf eine Börse für Theater mit Sitz in Hamburg, auf der unter anderem Kulissen, Kostüme und Beleuchtungsanlagen angeboten werden.

Jury Everhartz vom Operntheater Sirene in Wien.
Jury Everhartz vom Operntheater Sirene in Wien. | Bild: Copyright Sirene

Hier wurde die Drehbühne zum Verschenken eingestellt. Es ging nicht lange und es meldete sich Jury Everhartz vom Sirene Operntheater, der die Bühne unbedingt haben wollte und sogar bereit war, sie abholen zu lassen.

2023: Mitglieder der Lammgesellschaft warten auf den Lkw aus Wien zur Abholung der Drehbühne (von links) Paul Rosenstiel, Brigitte ...
2023: Mitglieder der Lammgesellschaft warten auf den Lkw aus Wien zur Abholung der Drehbühne (von links) Paul Rosenstiel, Brigitte Kropfreiter, Hubert Schmid, Waltraud Wetzel-Geyer, Berthold Geyer, Karlheinz Fesenmeyer, Otto Körner, Constanze Rosenstiel, Gerhard Hofacker, Wolfgang Kropfreiter und Gerhard Bombeiter. | Bild: Lutz Rademacher

Als dann die Spedition aus Wien eintraf, gaben sich viele Mitstreiter des damaligen Zunftballs ein Stelldichein. Einerseits, um bei der Verladung der schweren Teile zu helfen, andererseits um in Erinnerungen zu schwelgen.

Zunftball 1998, Szene „Am Kirnbergsee“ (von links) Ulrich Zandona, Malte Jucho, Wolfgang Kropfreiter, Hermann Paganini und ...
Zunftball 1998, Szene „Am Kirnbergsee“ (von links) Ulrich Zandona, Malte Jucho, Wolfgang Kropfreiter, Hermann Paganini und Berthold Geyers | Bild: Willibald Neininger

Der Zunftball 1998 sollte etwas ganz Besonderes werden. Auf dem Programm stand das selbst geschriebene Theaterstück „Typisch Deutsch“ in vier Akten in wechselnden Kulissen. Die dafür benötigte Drehbühne durfte maximal sieben Meter Durchmesser haben, die Tiefe der damaligen Stadthallenbühne angepasst.

Zunftball 1998, Szene „Im Schloss“ (von links): Herbert Rieger, Thomas Barth, Regina Hofacker, Simon Hummel, Philipp Hummel, ...
Zunftball 1998, Szene „Im Schloss“ (von links): Herbert Rieger, Thomas Barth, Regina Hofacker, Simon Hummel, Philipp Hummel, Anita Paganini, Daniela Zandona und Anselm Volz. | Bild: Willibald Neininger

Sie wurde von Paul Rosenstihl konstruiert und besteht aus neun kuchenstückartigen schweren Metallsegmenten, die auf außen angebrachten Rädern um ein Drehlager laufen und von Hand bewegt werden. Die Teile sind mit Brettern belegt, die vier Kulissen über ein Kreuz unterteilt.

Bei Küpper-Weisser wächst die Bühne zusammen

„Unser damaliger Schlossermeister Bernhard Birk hat die Teile nach Feierabend bei Küpper-Weisser zusammengeschweißt“, erinnert sich Paul Rosenstihl. „Ich war damals schon Konstruktionsleiter und unser Chef Walter Mießen hat das Projekt unterstützt. Die Bretter haben wir bei der Lammgesellschaft darauf geschraubt.“

Zunftball 1998, Szene „Eine Sitzung“ (von links): Reinhard Faller, Ursula Faller, Thomas Barth, Gerhard Bombeiter, Hermann ...
Zunftball 1998, Szene „Eine Sitzung“ (von links): Reinhard Faller, Ursula Faller, Thomas Barth, Gerhard Bombeiter, Hermann Paganini, Ulrich Zandona, Wolfgang Böhe und Petra Schulter. | Bild: Willibald Neininger

Obwohl geprobt, dauerte der Aufbau viel zu lange. Der Auftritt war schließlich ein voller Erfolg: Eine Familie kommt auf die Bühne, setzt sich aus Sofa zum Fernsehabend, die Bühne stellt ein großes Fernsehgerät dar, das Programm beginnt mit der Tagesschau.

Die Schalte geht weiter zu Ortsvorsteher Kurt Hepting nach Unterbränd, wo es am See mächtig stinkt, berichtet dann live aus dem Donaueschinger Schloss, wo auch Bürgermeister E. Ferkel bei Fürst Joachim zu Gast ist.

Zunftball 1998, Szene „Heiliges Beruferaten (von links): Anita Paganini, Malte Jucho, Daniela Zandona, Wolfgang Böhe, Gerhard ...
Zunftball 1998, Szene „Heiliges Beruferaten (von links): Anita Paganini, Malte Jucho, Daniela Zandona, Wolfgang Böhe, Gerhard Bombeiter und Gerhard Hofacker als Pfarrer Ocker. | Bild: Willibald Neininger

Anschließend ist Pfarrer Ocker zu Gast bei Robert Lembke beim „heiligen Berufe-Raten“. Vogelwild und lustig geht es weiter.

Auf der Bühne waren rund 25 Akteure zu sehen. Danach wurde die Drehbühne abgebaut und eingelagert, nicht ahnend, welche Wendung ihr Schicksal 25 Jahre später nehmen sollte.

Konstrukteur Paul Rosenstiel 2023 mit dem Drehlager und den zur Verladung bereiten Bühnensegmenten.
Konstrukteur Paul Rosenstiel 2023 mit dem Drehlager und den zur Verladung bereiten Bühnensegmenten. | Bild: Lutz Rademacher

Die schweren Teile wurden dann mit Hilfe eines Radladers in den Lkw aus Wien geladen. Dabei packen auch die Fahrer Marco Jeriz und Dragan Lowiz kräftig mit an. Und dann ging es im Eiltempo zurück nach Österreich, wo sich Jury Everhartz schon auf die Ankunft freute.

„Wir haben eine Produktion im Herbst, Alice im Wunderland, für die wir die Drehbühne verwenden möchten. Wir werden dieses Stück im Wiener Odeon spielen, dort ist die Bühne zurzeit auch untergebracht“, erzählt Everhartz wenige Tage später auf Anfrage.

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„Nachdem wir kein eigenes Haus haben sondern nur ein Theaterverein sind, werden wir die Bühne wahrscheinlich dem Odeon zur weiteren Nutzung überlassen. Die freuen sich sehr darüber. Später werden wir sie fallweise für Produktionen ausborgen, wenn wir sie brauchen.“ Die Drehbühne, das scheint gewiss, dreht sich also weiter.

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