Sabine Naiemi

Wenn Corona-Patienten solche Nachrichten lesen, wie über die Demonstration der Masken-Gegner oder Masken-Verweigerer in Berlin, dann können sie nur den Kopf schütteln. Betroffene empfinden absolutes Unverständnis für ein solches Verhalten. Drei Patienten der Espan-Klinik erklärten sich bereit, mit dem SÜDKURIER über die Auswirkungen zu sprechen, die Covid-19 auch heute noch auf ihr Leben hat. Patienten übrigens, die nicht zu einer Risikogruppe gehören. Zwei von ihnen schwebten an der Grenze zum Tod. Allen gemeinsam ist, dass sie quasi Patienten der ersten Stunde waren, als Sie im März erkrankten, und ihre Symptome zu Beginn – aus Unkenntnis – von den Ärzten zunächst als Grippe „abgetan“ wurden.

Die Espan-Klinik in Bad Dürrheim ist mit ihrem multidisziplinären Behandlungskonzept bestens gerüstet für die Behandlung von ...
Die Espan-Klinik in Bad Dürrheim ist mit ihrem multidisziplinären Behandlungskonzept bestens gerüstet für die Behandlung von Covid-19-Patienten. | Bild: Wolf-Wilhelm Adam

In der Espan-Klinik in Bad Dürrheim befanden sich inzwischen etwa 60 Corona-Patienten zur Nachbehandlung. 30 seien es aktuell, so der Klinik-Geschäftsführer Bernd Baumbach.

Tina Urban aus Geislingen
Tina Urban aus Geislingen

Tina Urban, 46, aus Geislingen ist von Beruf Krankenschwester in einer Notaufnahme. Hier steckte sie sich auch an. „Bevor letztendlich Covid-19 bei mir diagnostiziert wurde, hatte ich eine dreimonatige Odyssee hinter mir“, erinnert sie sich. Begonnen hätte es bei ihr mit allgemeinem Unwohlsein, Unruhe, hohem Blutdruck. Ihre Beschwerden seien damals nicht ernst genommen worden. Sie selbst habe sich zu Beginn ermahnt, sich nicht so „anzustellen“, schließlich habe sie schon andere Sachen überstanden. Doch irgendwann wurde ein Abstrich gemacht und der war positiv. Später im Gespräch erklärt die Krankenschwester noch, dass in ihrem Blut (sie nimmt an einer Studie teil) keine Antikörper vorhanden wären.

Corona ist eine Systemerkrankung

Psychologe Günter Diehl
Psychologe Günter Diehl

Günter Diehl, der leitende Psychologe der Espan-Klinik, erklärt: „Es herrscht viel Unkenntnis über das, was tatsächlich passiert.“ Keiner habe gewusst, dass es so schlimm ist. „Covid-19 ist nicht wie eine Grippe oder ein bisschen Schnupfen. Covid-19 ist lebens- und existenzbedrohend – ein tückischer Feind.“ Das ganze System des Menschen sei betroffen und auch das System der Gesellschaft.

Otto Ewald aus Pöcking
Otto Ewald aus Pöcking

Otto Ewald, 50, aus Pöcking war sieben Wochen lang positiv, ohne es zu wissen. „Ich war nur zwei Wochen in der Klinik. Davor habe er zwei Wochen lang an einer schweren Grippe gelitten (ab Mitte März), so Ewald, mit über 40 Grad Fieber, einem trockenen Husten und Kopfschmerzen. Es sei eine Bronchitis diagnostiziert worden, doch die verordneten Medikamente hätten nur zwei oder drei Tage geholfen. Schließlich wurde die Atemnot so schlimm, dass er an einem Sonntagmittag mit Notarzt in die Klinik eingeliefert wurde. Und dann hieß es auch schon, er solle noch einen Anruf bei seiner Familie machen, da unsicher sei, ob er beatmet werden müsse und man nicht sicher sagen könne, ob er aus dem damit verbundenen künstlichen Koma wieder aufwacht. „Das ist eine Horrorsituation für die ganze Familie!“ Zum Glück sei er um die Beatmung herumgekommen. Noch positiv wurde er in häusliche Quarantäne entlassen, total abgemagert, weil er nichts mehr essen konnte.

Karl Baumann aus Regensburg
Karl Baumann aus Regensburg

Karl Baumann, 52, aus Regensburg, wurde angesteckt, als er Anfang März mit seiner Familie in einem Restaurant essen war. „Nachträglich stellte sich heraus, dass ein Gast, der infiziert war, wissentlich dort zum Essen war. Diese Person hat durch ihr Verhalten zwölf Leute angesteckt.“ Während seine Frau nur leichte Symptome hatte, war er sieben Wochen lang in stationärer Behandlung, zehn Tage davon unter Beatmung und an der Herz-Lungen-Maschine. Es sei losgegangen mit einer Grippe. „Noch nie vorher habe ich mich so krank gefühlt“, sagt Baumann. Auch bei ihm fielen die Tests auf Corona anfangs negativ aus, erst der letzte war positiv. Als er die Nachricht darüber erhielt, habe er schon keine Luft mehr gekriegt. Am 17. März brachte seine Frau ihn in die Uni-Klinik Regensburg. „Ich war der erste Corona-Patient im Kreis Regensburg“, erinnert er sich.

Dann ging alles ganz schnell. Schon einen Tag später wurde er verlegt nach Donaustauf in die Lungenklinik. Es sah schlecht aus. Er konnte gerade noch einen Videoanruf mit seiner Frau tätigen und wurde dann ins künstliche Koma versetzt und an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Ab da hat Karl Baumann einen Filmriss. Alle Organe waren befallen, er erlitt hohe Blutverluste, so dass er mehrere Bluttransfusionen benötigte. Später habe man ihm ein Computertomographiebild seiner Lunge gezeigt. Nur noch die oberen Spitzen seien belüftet gewesen, die ganze restliche Lunge war zusammengefallen.

Es falle ihm heute noch schwer zu erfassen, wie haarfein er am Tod vorbeigeschrammt ist, da er sich durch das Koma an diese Zeit ja nicht erinnern könne. Seiner Frau habe man gesagt, dass nur 50 Prozent der Patienten es schaffen. Zehn Tage lang wusste seine Familie nicht, ob er es überleben würde. Doch er schaffte es und das erste, was er tat, war seine Frau anzurufen. „Am 17. April habe ich ihr telefonisch zum Geburtstag gratulieren können, es war für alle ein unbeschreibliches Gefühl.“

Dauerfolgen nicht absehbar

Keiner weiß im Moment, wie es weitergeht. „Corona kann man nur fürchten wie der Teufel das Weihwasser“, erklärt der Psychologe Günter Diehl. „Man weiß noch nichts genaues. Vieles kommt erst Wochen oder Monate später hoch. Wir werden noch lange, lange Zeit daran zu knabbern haben.“ Man werde lernen müssen, mit diesem Virus und seinen Folgen zu leben.

Der Kopf will, aber der Körper kann nicht folgen: Zu den vielfältigen Folgen der Erkrankung gehören etwa Konzentrationsschwäche, Hörverlust, Geschmacks- und Geruchsbeeinträchtigungen, Verlust der körperlichen Leistungsfähigkeit und vieles mehr.

Ganz gravierend ist: Die Patienten, die ins künstliche Koma versetzt wurden leiden vielfach unter schwersten Albträumen.

Für Tina Urban, Otto Ewald und Karl Baumann hat die Hilflosigkeit der Ärzte zu Beginn der Pandemie einen ganz, ganz negativen Beigeschmack.

Otto Ewald erklärt: „Am Anfang konnte ich nicht einmal mit meinem Hund spazierengehen. Ich war zu langsam, kam keine 100 Meter weit, ohne Atemnot zu bekommen.“

„Ich habe gerade noch 20 Prozent meiner Leistungsfähigkeit“, sagt Karl Baumann. Das ist sehr deprimierend. Ich hasse diesen Zustand.

„Wo sind die Beifall klatschenden Leute vor den Kliniken jetzt?“, fragt Tina Urban. Es sei gut gemeint gewesen, aber geholfen habe der Beifall niemandem. „Alles wird ganz schnell vergessen.“

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Existenzängste

Alle drei wissen heute noch nicht, ob sie jemals wieder ihren Beruf voll ausüben können. Sie stehen stellvertretend für alle Betroffenen. Damit verbunden sind auch Existenzängste. Alle sind seit Monaten arbeitsunfähig. Nach einer gewissen Zeit gibt es Krankengeld, danach folgt unter Umständen die Aussteuerung und Rente. Wer an den Arbeitsplatz zurückkehrt, von dem wird volle Leistung erwartet.

Psychologische Begleitung

„Die Betroffenen und ihre Familien brauchen psychologische Betreuung, um das Geschehene verarbeiten zu können“, erklärt Günter Diehl. Diese erhalten die Patienten im Rahmen ihrer multimodalen Therapie in der Klinik, doch das sei nicht ausreichend. „Ich dachte am Anfang, ich brauch das nicht“, sagt Otto Ewald. Er wollte stark sein. „Doch jetzt bin ich froh, dass ich das Gespräch und den Gesprächskreis der Corona-Patienten in Anspruch genommen habe.“ Er habe gesehen, dass es allen anderen Patienten genauso geht wie ihm. Ewald: „Das war ein Aha-Erlebnis.“ Das bestätigt auch Tina Urban. Karl Baumann steht noch am Anfang, er ist erst seit ein paar Tagen in der Espan-Klinik, seine Hoffnungen sind groß. Besonders in Bezug auf die Albträume. „Man kann sich das gar nicht vorstellen, was für Bilder da im Traum auf einen einstürzen, was man da erlebt“, sagt er.

An die Maskenverweigerer

Jeder könne mit seiner Gesundheit machen, was er wolle, so die drei. Doch solche Leute sollten mal daran denken, dass sie auch andere gefährden, und sie sollten sich mal selbst in den Kliniken, wo Patienten an der Maschine hängen, ein Bild machen. „Freiheit vom Tragen einer Maske abzuleiten, das können wir nicht verstehen!“

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