Mit Verspätung bekommt nun auch das Freiburger Erzbistum mehr Klarheit über dunkle Seiten seiner Geschichte. Eine unabhängige Arbeitsgruppe wird am Dienstag ihren Bericht über sexuellen Missbrauch durch Geistliche vorstellen. Das Dokument mit einem Umfang von bis zu 600 Seiten sollte ursprünglich schon im Oktober veröffentlicht werden. Doch es waren noch zusätzliche rechtliche Absicherungen nötig.
Exemplarische Darstellung von 24 Missbrauchsfällen
Der mit Spannung erwartete Report soll aufzeigen, wie Vertuschung und Missbrauch in einer der größten Diözesen Deutschlands möglich waren. Es gehe dabei nicht um ein komplettes Bild, hieß es einschränkend vor der Veröffentlichung. Es werden hingegen 24 Missbrauchsfälle exemplarisch dargestellt. Erzbischof Stephan Burger will bei der Pressekonferenz in Freiburg auf die Enthüllungen reagieren. Das SWR Fernsehen wird live berichten.
Der Bericht wird größtenteils anonymisiert sein. Topverantwortliche wie Bischöfe und Generalvikare – das sind die Verwaltungschefs – sollen aber benannt werden. Da werde man dann „genau hinschauen müssen“, antwortete Generalvikar Christoph Neubrand unlängst auf die Frage der Bistumszeitung zu möglichen Rücktritten.
Erzbischof Burger kündigte Konsequenzen unabhängig von Posten und Position an
Der Bericht führt in dem großen Erzbistum mit rund 1,8 Millionen Katholiken spürbar zu Nervosität. Erzbischof Burger kündigte bereits mit deutlichen Worten Konsequenzen an. „Wer Schuld auf sich geladen hat, muss Verantwortung übernehmen – unabhängig von Posten und Positionen.“
Dem hohen Geistlichen ist die Aufarbeitung persönlich wichtig. „Missbrauch pervertiert das Evangelium“ – so lautet einer seiner Leitsätze. Es war über Jahrzehnte hinweg in der katholischen Kirche vielfach gängige Praxis, Priester, die Kinder sexuell missbraucht hatten, in die nächste Gemeinde zu versetzen.

Der Bericht wurde von der sogenannten AG Aktenanalyse erstellt – mit vier externen Fachleuten aus Justiz und Kriminalpolizei. Forschungen anhand von Personalakten nach sexuellem Missbrauch hatten schon früher Erschreckendes zu Tage gefördert: Von Anfang 1946 bis Ende 2015 wurden 190 Beschuldigte entdeckt, die meisten von ihnen Priester, sowie mindestens 442 Betroffene.
Gutachten auch schon in anderen Bistümern wie in Köln oder München
Ähnliche Gutachten gab es auch schon in anderen Bistümern, etwa in Köln und München. In Rottenburg-Stuttgart berief Bischof Gebhard Fürst im Unterschied zu anderen Diözesen schon vor gut 20 Jahren eine unabhängige „Kommission sexueller Missbrauch“ ein.
Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend Missbrauch erlebten, haben in Freiburg ihre eigene Vertretung: den Betroffenenbeirat. Seine Vorsitzende Sabine Vollmer geht von rund 600 Betroffenen im Erzbistum aus – wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen dürfte. Der Deutschen Presse-Agentur sagte sie, es gebe Unzufriedenheit mit den sogenannten Anerkennungsleistungen für Betroffene. „Die Beträge sind nicht hoch genug.“
Vorwürfe gegen Vorgänger Robert Zollitsch
Im Zuge der Missbrauchsdebatte hatte Burger seinem Vorgänger und früheren Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, schon vor Jahren Vorwürfe gemacht. Zollitsch habe als Personalreferent der Erzdiözese und später als Erzbischof Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen und bei der Aufarbeitung begangen.
Der 84-jährige Zollitsch räumte im Oktober in einem ungewöhnlichen Video schwerwiegende Fehler und persönliche Schuld ein. Reicht dieses „Mea Culpa“ aus? Auch diese Frage dürfte nach der Veröffentlichung des Berichts gestellt werden. Der 60-jährige Burger beschäftigt sich auch überregional mit dem Thema. Er ist Vize des Aachener Bischofs Helmut Dieser, der für die Deutsche Bischofskonferenz die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche vorantreibt.
(dpa)