Kaum war der Glockenschlag von St. Jakobus verhallt, begannen am Samstag auf dem Marktplatz pünktlich um 14 Uhr die Karbatschen zu knallen. Normalerweise findet das Übungsschnellen nicht so zentral statt, doch die Schnellergilde hatte aus besonderem Grund in die Altstadt eingeladen: Am Fasnetdienstag wird zum 100. Mal das Preisschnellen ausgetragen und dabei der Stadtmeister und die Stadtmeisterin ermittelt. Im Schaufenster des ehemaligen Immobilienbüros neben dem Bürgerbüro kann anhand von Bildern und Texten die Geschichte der Schneller nachvollzogen werden. „Von 17 bis 22 Uhr ist das Fenster übrigens beleuchtet“, informiert Gildemeister Oliver Müller.
Die Schnellergilde Pfullendorf hat derzeit 58 Aktive

Geschnellt wird in Pfullendorf nicht erst seit Gründung der Gilde im Jahr 1958, sondern schon viel länger. Einer Legende zufolge wurde schon im dreißigjährigen Krieg geschnellt, um die von den Schweden belagerte Stadt zu befreien. Der Gilde gehören aktuell 58 Aktive an. Seit 2015 sind mit Susanne Waitschull und Isabell Hardt auch zwei Frauen dabei. Trug Mann um 1939 noch Knickerbocker, ist ein Schneller heutzutage an seinem blauen Fuhrmannsskittel mit Halstuch, den schwarzen Hosen in Stiefeln und der schwarzen Strickmütze zu erkennen. Die Karbatsche wird, wenn nicht im Einsatz, locker um den Hals gelegt.
Seilermeister Muffler und Tochter Sophie zeigen Herstellung der Karbatsche

Bis 1998 konnten sich die Pfullendorfer von Seilermeister Paul Waldschütz ihre Peitschen vor Ort herstellen lassen. Mittlerweile beziehen sie ihre Karbatschen von der Seilerei Muffler aus Stockach. Seilermeister Bernhard Muffler und seine Tochter Sophie zeigten am Samstag, wie eine Karbatsche vom Spinnen der Hanf-Seile bis hin zum Anbringen des Bändels komplett in Handarbeit entsteht. „Das konische Spinnen ist wichtig, bedeutet: die Seile werden zum Ende hin schmaler“, erläutert der Seilermeister. Kunstvoll werden acht Litzen quadratisch miteinander verflochten. Die 23-jährigen Sophie Muffler übt das traditionelle und selten gewordene Handwerk in fünfter Generation aus. Neben Karbatschen stellt die Bundessiegerin im Seilerhandwerk 2022 zum Beispiel Kletter- und Springseile oder Leinen für Schiffe her.
Jürgen „Metze“ Rauch ist seit 43 Jahren bei den Schnellern

„Die Pfullendorfer sind besonders gute Schneller“, sagt Bernhard Muffler. Ihr Talent stellten sie am Samstag beim Dreier- und Vierertakt eindrücklich unter Beweis. „Hier sind wir Championsleague“, findet auch Jürgen Rauch. Metze, wie er genannt wird, ist seit 43 Jahren Mitglied bei den Schnellern. Er leitet das samstägliche und stets gut besuchte Übungsschnellen und freut sich, wenn er dem Nachwuchs die Kunst des Schnellens vermitteln kann.
Nordlicht ist der Gilde beigetreten

Emma (6) aus Pfullendorf schwingt am Samstag zum ersten Mal eine Karbatsche, ganz im Gegensatz zu Sina Müller (18), Tochter des Gildemeisters. „Ich habe mit fünf Jahren angefangen.“ Auch Nidler Saskia Mohr schnellt von Kindesbeinen an. „Mein Vater hat mir meine Karbatsche geschenkt.
Sie ist inzwischen etwas ausgeleiert, was das saubere Schlagen erschwert.“ Ihren Freund hat sie dazu gebracht, den Schnellern beizutreten. Das Nordlicht staunt nicht schlecht, wie hierzulande die Fasnacht gefeiert wird. „In Hamburg kennen wir ein bisschen Fasching, aber hier geht das ja über Wochen am Stück“, so Fülöp Hennings.
Bändel aus Fallschirmseide erzeugt den Knall

Auf dem Marktplatz knallte es am Samstag durch die umstehenden Gebäude besonders laut. Die jüngsten Besucher waren von ihren Eltern mit Gehörschutz ausgestattet worden. Den typischen Knall erzeugt der Bändel aus Fallschirmseide. Das lässt sich mit Physik erklären. „Zum Schnellen braucht man Kraft, aber auch die richtige Technik. Durch die konische Form erreicht die Karbatsche fast doppelte Schallgeschwindigkeit und durchbricht somit die Schallmauer“, so Oliver Müller. Spätestens am Schmutzigen Dunschtig ab 5 Uhr dürfen sich die Pfullendorfer wieder auf lautes Knallen einstellen. Mit dem Wecken durch die Schnellergilde startet die heiße Phase der Fasnet.