"Ich kann ihm ja nicht mit einer Liebeserklärung kommen, aber mit einer Bewunderungserklärung", so äußerte sich Martin Walser, Grandseigneur der Literatur, zu Arnold Stadler, zu dessen 65. Geburtstag eine große dreitägige, interdisziplinäre Tagung im Meßkircher Schloss stattfand. Trotzdem es ihn sichtlich eine enorme körperliche Kraftanstrengung kostete, kam Walser zur Lesung nach Meßkirch, um Stadler damit zu Ehren – ein Ausdruck größter Wertschätzung.

Elf Referenten befassten sich über zwei Tage hinweg mit dem Werk von Arnold Stadler und dessen Interpretationen. Der Rang seines schriftstellerischen Schaffens lässt sich sowohl an der Auswahl der Wissenschaftler als auch an der überwältigenden Besucherresonanz bemessen. Über die gesamte Tagung hinweg füllte sich der Festsaal im Schloss, sodass die Besucher sich stets nach einem freien Platz umschauen mussten. Eine andere Form der Bewunderungserklärungen schenkten die Autoren und Autorinnen durch ihre Lesung dem Geehrten. Sie gaben Zeugnis von der überaus großen Freundschaft zu dem in Rast aufgewachsenen Schriftsteller, der ihr eigenes Schaffen teilweise beeinflusste und so manch einem zu Bekanntheit verhalf.
Fernsehmoderatorin und -redakteurin Luzia Braun, die ebenfalls aus Meßkirch stammt, hielt die einführenden Worte zur Lesung von Martin Walser. "Beide haben mich seit der Schulzeit begleitet", erzählte sie, "Arnold als Klassenkamerad und Martin Walser als Schullektüre." Die beiden Schriftsteller gehörten zum gleichen Orden: dem Sprachmenschenorden, wie Walser einmal formuliert habe. Vor über 30 Jahren hätten sich Walser und Stadler kennengelernt. Nach einer Veranstaltung habe er die Walsers besucht und "seither ist die Welt eine andere", beschrieb Luzia Braun die Auswirkung auf Arnold Stadler. "Dass Sie da sind, ist für Arnold ein großes Geschenk – und nicht nur für ihn", richtete sie ihr Wort an Martin Walser.

Martin Walser las den Text "Über das Verbergen der Verzweiflung", mit dem er im Sommer 1999 Arnold Stadler im Magazin "Der Spiegel" vorstellte. Kaum hatte er seine kraftvolle, ausdrucksstarke Stimme erhoben, schienen die Lebensjahrzehnte von ihm abzufallen. Die Wortgewaltigkeit seiner Rede war beeindruckend wie eh und je.

Da immer zwei Schriftsteller gleichzeitig auf der Bühne saßen, wartete Bruno Epple bereits neben Martin Walser auf seinen Vortrag. Epple ist als Mundart-Dichter wie als Maler im oberschwäbischen Raum bekannt. Er las ein Mundart-Stück aus dem Buch "Erntedankfest", zu dem Walser das Vorwort schrieb. "Darauf sprachen mich viele an und gratulierten mir", erzählte Epple.

Der Wissenschaftler und Schriftsteller Christof Hamann, der aus Überlingen stammt, verfasste eigens für diese Lesung einen Text, den er mit "Mein Stadler – das Wort und der Dialekt" betitelte. "Meine Stadler-Lektüre ist nicht linear", beschreibt er, aber sie habe ihn zu T.S. Eliot und Johann Peter Hebel geführt. Beim trockenen Humor von Jörg Hannemann konnte sich das Publikum köstlich amüsieren. Er las aus seinem Erstlingswerk, das er mit 69 Jahren schrieb. "Ohne Arnold wäre der Roman nie erschienen", bekannte der in Hamburg lebende Hannemann, der sich von Stadler motiviert fühlte.

Humorvoll gestaltete sich ebenso der Auftritt von Gaby Hauptmann. Die Bestsellerautorin erzählte, wie sie Arnold Stadler kennenlernte. Sie hätten in einer Talkrunde des Norddeutschen Rundfunks mit lauter berühmten Leuten nebeneinandergesessen. Der Moderator habe die Auszeichnungen von Stadler gelobt, sich dann ihr zugewendet und gefragt, welche Preise sie erhalten habe. Nach einer kurzen peinlichen Sekunde habe Stadler geantwortet: "Frau Hauptmann braucht keine Ehrungen, sie hat Leser." Das sei der Beginn ihrer langen Freundschaft gewesen. "Selbst die Chinesen lesen Hauptmann", fügte Moderator Siegmund Kopitzki hinzu.

Mit dem Verleger und Dichter Jochen Jung stellte Arnold Stadler seinen ersten Leser vor, da er sein erstes Manuskript bei ihm eingereicht hatte. Jung las aus "Ein dunkelblauer Schuhkarton" gewitzte Märchenfragmente vor. Humorvoll war ebenso die Lesung von Andreas Maier, der den Titel der Lesungen lieferte: "Lieber Gott, lies das mal." In dessen Text "Neulich bin ich alt geworden" lässt er auch Arnold Stadler auftreten.

Reinhard Kaiser-Mühlecker gehört zu den Talenten, denen Stadler zu Bekanntheit verhalf. Er hatte ihn für den Ponto-Preis vorgeschlagen, den der junge Schriftsteller dann erhielt. In seinen Romanen dominiert ein ruhiger Ton, er schafft dabei eine unglaubliche Verdichtung der Atmosphäre. Luzia Braun stellte Walle Sayer als "Meister der kleinen Form" vor, so habe ihn Anton Philipp Knittel genannt. Er sei ein großartiger Dichter und sie freue sich, dass sie seine Texte aufgrund dieser Anmoderation kennengelernt habe.
Alissa Walser las zwei Erzählungen aus ihrem neusten Buch "Eindeutiger Versuch einer Verführung", die von der Kraft ihrer Sprache künden, und ihre Schwester Johanna Walser las einen Text über den Maler Jan Vermeer, der 2015 in der Zeitschrift "Mauerläufer" erschien. Den Abschluss der Lesung, da die Autoren außer Martin Walser in alphabetischer Reihenfolge zu Wort kamen, bildete Joachim Zelter. Als Tribut an den Veranstaltungsort las Zelter aus "Die Würde des Lügens", einem frühen Text, eine Passage, in der Heidegger eine Rolle spielt. Er sei erst skeptisch gewesen, ob er diesen Text überhaupt hier lesen könne, doch das amüsierte Lachen des Publikums machte ihm deutlich, dass die Meßkircher Humor verstehen.

Nach dreieinhalb Stunden Lesung blieb Anton Philipp Knittel nichts weiter zu sagen, als dass auch dies der "Kosmos Arnold" sei und erhielt ebenso viel Applaus für den gelungenen Abend wie für die aufwendige Organisation.
Die Tagung
Anton Philipp Knittel organisierte mit einem kleinen Arbeitskreis die Tagung. Elf Wissenschaftler aus Deutschland und Österreich lud er ein, um sich mit Aspekten im Werk von Arnold Stadler zu befassen. Die Referenten hatten jeweils eine Dreiviertelstunde Zeit, ihre Thesen zu erläutern, und die Besucher 15 Minuten, um Fragen zu stellen. Dabei ging es um die zentralen Stadler-Begriffe wie Heimat oder Sehnsucht sowie um Stadler und die Theologie.
Der Sonntag startete mit dem Film "Zwischen Donau und Bodensee – Der Schriftsteller Arnold Stadler" aus dem Jahr 2001 von Anita Eichholz. Die Filmemacherin betonte, sie sei heute noch glücklich, dass sie gegen den Willen der Redaktion darauf bestanden habe, dass Stadler seine Textzitate selbst spreche. Vor und nach einer Gesprächsrunde über Stadlers Aussage "Schreiben ist Übersetzen von Welt in meine Sprache" sang der Männerchor "Die Meistersinger". (imi)