Manchmal starren Menschen sie an, vielleicht aus Neugier, vielleicht aus Irritation. „Ich bin es gewohnt, dass Leute sich nach mir umdrehen und habe da schon ein dickes Fell“, sagt Christin Löhner. Diesen Leuten schenke sie dann ihre Visitenkarte.
Auf der Visitenkarte steht, was Christin Löhner tut und was sie lebt: Sie ist Buchautorin, Dozentin, Politikerin und vor allem Referentin für Transidentität und Transsexualität. Und sie hat einen Verein gegründet: die Vereinigung von Menschen mit Variante der Geschlechtsentwicklung (VDGE).
Die Vereinigung ist bundesweit tätig und hat ihren Hauptsitz in Stockach. Der Verein ist entstanden, nachdem Löhner im Jahr 2016 die einzige Selbsthilfegruppe für transsexuelle Menschen im südwestdeutschen Raum gegründet hatte.
Aktuell unterhält der Verein drei Selbsthilfegruppen und neun Peerberatungsstellen in ganz Deutschland und in der Schweiz. Die VDGE hat aktuell rund 50 Mitglieder und es gibt weitere Vereine, die eng mit ihr kooperieren. Doch was genau tut die VDGE?
Begleitung für Betroffene
Transsexuellen Menschen wird in der Öffentlichkeit bisher wenig Verständnis entgegengebracht und sie haben weltweit gegen Diskriminierung zu kämpfen. Oft werden sie gemobbt, verprügelt oder sogar ermordet.
Laut einer US-Studie aus dem Jahr 2018 denkt jeder zweite transsexuelle Mensch über Suizid nach, jeder dritte hat demnach bereits einen Suizidversuch unternommen. Erst im September vergangenen Jahres machte ein tragischer Vorfall Schlagzeilen. Die aus dem Iran geflüchtete Transfrau Ella hatte sich auf dem Berliner Alexanderplatz öffentlich verbrannt.
Damit es gar nicht erst soweit kommt hat Christin Löhner die VDGE gegründet. Die Vereinigung begleitet Betroffene und berät sie. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, ihnen in allen Fragen und Problemen zur Seite zu stehen.
Selbsthilfegruppen bieten Unterstützung
Christin Löhner schildert die Probleme der Betroffenen: „Viele transsexuelle Menschen verlieren nach ihrem Outing ihren Job, ihre Freunde oder sogar ihre Familie.“ Es könnten darum auch Angehörige und Freunde von transsexuellen Menschen in die Selbsthilfegruppen kommen.
Und beim Mobbing sei es so: Wenn jemand jemanden mobben wolle, dann tue er das ja nicht direkt, sondern hintenherum. „Darum müssen Angehörige, Freunde oder Verwandte wissen, wie man auf so etwas reagieren soll“, führt Christin Löhner aus.
Auch in, wie Löhner sie nennt, männerdominierten Betrieben, wie zum Beispiel der Alu Singen, der Alu Stockach oder auch in sozialen Einrichtungen sei Präventionsarbeit hinsichtlich Mobbing und Diskriminierung wichtig. Löhner versucht mittels Vorträgen andere für diese Themen zu sensibilisieren und zu informieren.
Sie hat als erste gleichgeschlechtliche Transsexuelle in Baden-Württemberg im Jahr 2018 ihre jetzige Ehefrau Michelle geheiratet und sagt: „Meine Frau und ich wollen so präsent sein wie möglich, damit die Leute lernen, dass wir doch nicht die Monster sind, die man in uns sieht.“
Vorträge und ein Buch sollen aufklären
Darum hält Christin Löhner Vorträge an Schulen und in sozialen Einrichtungen, gibt Seminare an Universitäten, ist mit dem Verein auf Messen unterwegs und hat auch ein Buch geschrieben. „Es gibt unendlich viel zu tun“, sagt sie. Um den Zusammenhalt der Vereinsmitglieder zu stärken würden normalerweise Grillfeste oder Basare stattfinden. Corona-bedingt hatte Löhner die Selbsthilfetreffen bereits im März 2020 ins Digitale verlagert. Diese Videokonferenz-Treffen laufen laut Löhner mit 26 bis 30 Teilnehmern gut.
Postkarten als Reaktion auf Diskriminierung
Aktuell engagiert sich die VDGE in der Kampagne „Get over it!“ (Komm darüber hinweg). Die Kampagne ist die Reaktion auf eine Initiative des Bündnisses Fairplay für Frauen, die transsexuelle Menschen diskriminiert. In sozialen Medien hat die Initiative ein Werbebanner mit der Aufschrift „Frauen haben keinen Penis, Männer schon“ verbreitet. Dem Bündnis gehören Frauen oder Frauenorganisationen an, die sich vehement dafür einsetzen, dass andere Frauengruppen von der Definition Frau ausgeschlossen werden. Die VDGE verteilt derzeit Postkarten, darauf steht: „Es gibt Frauen mit Penis. Genauso wie es auch gebärende Männer mit Vagina gibt.“