Die Wohlfahrtsverbände im Landkreis Konstanz sind angesichts der Planungen für den Bundeshaushalt 2024 alarmiert, weil massive Kürzungen für die freie Wohlfahrtspflege im Migrationsbereich drohen. Diese hätten aus ihrer Sicht enorme Einschnitte der sozialen Angebote und eine nachhaltige Schwächung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes zur Folge. Gerade in der aktuellen Lage seien die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte und die Jugendmigrationsdienste wichtiger denn je.
Bei einem Austauschtreffen im Rahmen des bundesweiten Aktionstags informierten Vorsitzende und Geschäftsführer der Wohlfahrtsverbände sowie Mitarbeiter von Migrationsberatung und Jugendmigrationsdiensten die Bundestagsabgeordneten Ann-Veruschka Jurisch (FDP) und Andreas Jung (CDU) über Aufgaben, Erfolge und Herausforderungen. Zwei zugewanderte Erwachsene sprachen über ihre Erfahrungen.

30 Prozent Kürzungen stehen im Raum
Die Mitarbeiter stellten ihre Arbeit vor und betonten, die geplanten Kürzungen für die Migrationsberatung von rund 30 Prozent kämen zusammen mit der höchsten Zahl an Neuzugewanderten seit dem Zweiten Weltkrieg. Durch die Kürzungen drohen bundesweite Schließungen von Beratungsstandorten und Reduzierung von Expertenwissen. Im Landkreis Konstanz arbeiten derzeit statistisch 8,65 Personen in Vollzeit, daraus würden 6,45 Vollzeitstellen.
Fehlende Beratungskapazitäten bei steigender Nachfrage auch durch das Chancenaufenthaltsrecht und das Fachkräftezuwanderungsgesetz bedeuteten längere Wartezeiten. Menschen, die das Gemeinwesen und die Wirtschaft mitgestalten wollten, würde die Teilhabe am Arbeitsmarkt, an Bildung und Gesellschaft massiv erschwert. Und potenzielle Fachkräfte gingen möglicherweise verloren. Außerdem könnten Regeldienste wie Agentur für Arbeit und Jobcenter nicht mehr wie jetzt unterstützt werden, was zu einem Anstieg von Folgekosten führen werde.

Zugewanderte haben Sprachschwierigkeiten
Veronika Ellert (Awo Radolfzell) beschrieb die Schwierigkeiten Zugewanderter im Umgang mit den Behörden. Aufgrund von Sprachschwierigkeiten könnten die Klienten beispielsweise keine Online-Termine vereinbaren. Auch Telefonzentralen oder Mails und Briefe seien für viele eine riesige Hürde. „Briefe in Beamtendeutsch verstehen viele nicht, da helfen wir.“
Andreas Jung fragte, ob Briefe nicht in einfachem Deutsch verfasst oder den formalen Briefen nicht eine einfache Erklärung beigefügt werden könne. Ziel sei seit Langem eine einfach verständliche Sprache, betonte Anja Selke vom Caritasverband Singen-Hegau. Online würden mehrere Sprachen angeboten, das bedeute für einen Teil der Ratsuchenden eine Erleichterung, für andere eine weitere Hürde, weil sie nicht digital zurechtkämen.
Was die Integration verzögert
Antje Willi (Caritas Konstanz) verwies auf weitere Schwierigkeiten: Die Komplexität der Beratung nehme zu – auch aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen wie Inflation, Ärztemangel, der Situation am Wohnungsmarkt oder fehlender Kinderbetreuungsplätze. „Viele Frauen, die in Sprachkurse möchten, müssen warten, bis es einen Betreuungsplatz gibt. Das verzögert ihre Integration.“
Auch bei den Jugendmigrationsdiensten herrscht Alarmstimmung. Dort werden jährlich über 120.000 junge Menschen von bundesweit 700 Hauptamtlichen in rund 500 Stellen beraten und begleitet. Die Herausforderungen wie Wohnungs-, Ausbildungs- und Jobsuche, Schulbesuch und Spracherwerb nehmen flächendeckend zu.
Dennoch drohen drastische Kürzungen. Der Programmbereich Respekt Coaches mit einem derzeitigen Volumen von 31 Millionen Euro soll sogar komplett gestrichen werden. Johannes Renner von der Awo beschrieb, wie man ergänzend zur Schulsozialarbeit durch Gruppenangebote die Demokratie stärke, Menschenfeindlichkeit und Extremismus in allen Formen vorbeuge und jungen Menschen demokratische Werte vermittle. Seit 2018 wurden über 365.000 junge Menschen erreicht.
„Der völlig falsche Moment“ für Kürzungen
„Die jährliche Androhung von Kürzungen bedeutet auch für die Mitarbeiter enormen Druck und bindet enorme Kapazitäten. Wir machen gute Arbeit, die es wert ist, dauerhaft finanziert zu werden“, so Antje Willi. Andreas Hoffmann, Caritas Konstanz und Kreistagsabgeordneter (CDU), ergänzte, der Bund kürze, doch der Kreishaushalt sei vollkommen in Schieflage. Es gebe keine Hoffnung auf Kompensation.
„Es ist der völlig falsche Moment, wenn jetzt der Boden weggezogen wird für diese Arbeit. Das ist geradezu Benzin für bestimmte Parteien.“ Deutschland habe im Umgang mit ausländischen Mitarbeitern ohnehin nicht den besten Ruf. „Wir brauchen mehr Geld, um mehr in Schulen und in die Bevölkerung zu gehen – für eine erfolgreiche Integration und damit die Ausländerfeindlichkeit nicht zunimmt.“

Mohammad Karimi und Bernice Boadiwaa sind beide zugewandert und erzählten von ihren Erfahrungen. Karimi kam 2016 aus Afghanistan, machte hier den Hauptschulabschluss und eine Lehre und arbeitet in Stockach. Bernice Boadiwaa aus Ghana arbeitet in der Pflege im Krankenhaus und möchte Krankenschwester werden. Beide erzählten dankbar von der Hilfe durch die Migrationsberatung. „Es war, als ob ich viel Durst hatte: Die Beraterin hat mir Wasser gegeben“, formulierte Boadiwaa.
Abgeordnete loben und wollen unterstützen
Ann-Veruschka Jurisch war sehr beeindruckt und berührt von der Präsentation. Ihr sei sehr bewusst, dass Menschen, die in Deutschland ankommen, einen Lotsendienst brauchen. Der Finanzminister fordere, man müsse sparen, doch für Projekte wie den Chancenaufenthalt, die man angestoßen habe, müssten auch die notwendigen Mittel da sein.
Auch Andreas Jung lobte die wertvolle Arbeit. In einer Zeit, in der durch den Ukraine-Krieg und aus anderen Gründen mehr Menschen herkämen, seien Kürzungen in diesem Bereich kurzsichtig und gingen in die falsche Richtung. Er wünsche sich, dass es in der Haushaltsplanung nochmals Bewegung gibt. „Sie leisten vor Ort Hilfe, das braucht Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Ich bedanke mich und sage Unterstützung zu.“