Herr Heier, Frau Klotz, Herr Göller, am Wochenende feiert die Wahlwieser Waldorfschule ihr 40-jähriges Bestehen. Beginnen wir aus diesem Anlass mit einem Blick in die Zukunft: Wo soll es für die Schule hingehen?
Thorsten Heier: Wir wollen die Waldorfpädagogik kontinuierlich weiterentwickeln. Ein großer Punkt dabei wird die digitale Revolution sein, auf die auch die Waldorfschulen eine Antwort finden müssen. Und in dieser Hinsicht haben wir auch schon investiert, allerdings nicht in die Anschaffung von Tablet-Rechnern, sondern wir haben eine ganze Lehrerstelle dafür geschaffen. Denn wir wollen die Schüler fit machen, dass sie das Smartphone und den Computer beherrschen und nicht umgekehrt. Sie sollen beispielsweise die Geschäftsmodelle von sozialen Netzwerken verstehen. Natürlich haben wir auch einen EDV-Raum sowie Beamer und Visualizer. Das Thema Digitalisierung bearbeiten wir auch mit den Eltern, damit das, was in der Schule vermittelt wird und was zu Hause gelebt wird, zusammenpasst.
Kirje Klotz: Zur Weiterbildung und für den Austausch von Eltern, Lehrern und Schülern haben wir daher die Kulturwerkstatt Schule gegründet.
Heier: Und Rudolf Steiner hat schon zu seiner Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in seinen Vorträgen vom fortschreitenden Zusammenwachsen von Mensch und Maschine geschrieben. Das war schon ganz schön visionär.
Es gibt allerdings auch kritische Stimmen, die Rassismus-Vorwürfe gegen Steiners Werk vorbringen.
Herbert Göller: Man wird wenig Rassistisches in Steiners Schriften finden. Im Gegenteil: Ein starkes Motiv bei ihm war gerade das Zusammenwachsen der Kulturen. Und grundsätzlich ist die Waldorfbewegung weltweit angelegt. Aus heutiger Sicht war Steiner sehr fortschrittlich und diese Kritik, die häufig aus kirchlichen Kreisen kam, nimmt auch ab. Aber natürlich findet man altmodische Formulierungen bei Steiner.
Heier: Bei der Bewertung dieser wenigen Textstellen muss man also die Sprache vor 100 Jahren vor Augen haben; das ist also eher eine Zeitfrage, keine Haltungsfrage.
Klotz: Und Steiner wollte immer, dass seine Pädagogik weiterentwickelt werden soll. Seine Schriften sind keine in Stein gemeißelten Wahrheiten.
Als Schule in privater Trägerschaft ist die Waldorfschule auch ein wenig ein Wirtschaftsunternehmen. Wie finanzieren Sie sich?
Heier: Die Regeln dazu sind für alle Schulen in freier Trägerschaft in Baden-Württemberg gleich. Das Land übernimmt 80 Prozent der Kosten, zehn Prozent sollen durch Elternbeiträge und weitere zehn Prozent als Eigenanteil zusammenkommen. Umgesetzt wird das aber so, dass das Land nur etwa 70 Prozent der laufenden Kosten an die Schule bezahlt und den Eltern etwas dazugibt. Am Ende bleibt trotzdem eine Lücke von etwa zehn Prozent, die wir etwa durch Vermietungen und hauptsächlich durch den Martinimarkt schließen, der wiederum von den Eltern organisiert und durchgeführt wird. Und das Finanzierungsmodell funktioniert nur, weil unsere Lehrer weniger Gehalt bekommen als ihre Kollegen an Staatsschulen. Denn wir haben viele andere Kosten, die nicht erstattungsfähig sind, etwa weil es mehr Fächer und mehr Räume gibt und beispielsweise jedes Jahr viele Klaviere gestimmt werden müssen.
Wird bei Ihnen demnächst gebaut?
Heier: Unsere neue Schulküche ist inzwischen fertig, der dazu gehörige Gastraum muss noch fertig werden. Und zu einer Waldorfschule gehört eigentlich ein Festsaal, wofür wir bislang unsere Turnhalle nutzen. Doch das ist ein Kompromiss, und der macht immer wieder Probleme beim Sportunterricht.
Göller: Ein Festsaal steht auf unserer Wunschliste.
Heier: Dafür brauchen wir aber einen großen Partner und sind in Gesprächen.
Es gibt Stimmen, die behaupten, dass an Waldorfschulen gewissermaßen jeder unterrichten darf. Was entgegnen Sie und wie stellen Sie die Qualität sicher?
Heier: Es wird immer solche Klischees geben, gegen die man sich wehren muss. Tatsache ist: Die Hürden für den Zugang zum Lehrerberuf sind auch an Waldorfschulen sehr hoch, in der Oberstufe zum Beispiel gleich wie an staatlichen Schulen. Und alle Lehrer an Waldorfschulen müssen einen Abschluss in Waldorfpädagogik machen, für Oberstufenlehrer kann der auch auf ein Fachstudium aufgesattelt werden. Das passiert auch berufsbegleitend.
Göller: Diese Aus- und Fortbildungszeiten sind sehr intensiv. Sie finden an privaten Seminaren und Hochschulen statt, die aber staatlich anerkannt sind.
Heier: Diese Hochschulen werden von allen Waldorfschulen gemeinsam finanziert.
Im vergangenen Jahr hat eine andere Wahlwieser Einrichtung runden Geburtstag gefeiert, das Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf wurde 70 Jahre alt. Gibt es einen Zusammenhang?
Göller: Ohne das Kinderdorf gäbe es die Waldorfschule nicht. Denn zwei der drei Gründer des Kinderdorfs waren Anthroposophen. Um die Kinder im Kinderdorf zu unterrichten, wurde also eigentlich schon 25 Jahre vor der Vereinsgründung hier Waldorf-Pädagogik betrieben. Die erste Schule des Kinderdorfs war in Baracken an der Stelle, wo jetzt der Fußballplatz ist. Anfangs lebten hauptsächlich Waisenkinder dort, die ihre Eltern im Krieg verloren hatten. Im Laufe der Zeit wurde das Kinderdorf immer mehr zu einer Einrichtung der Jugendhilfe und es musste eine spezielle Schule her, die diesen Kindern gerecht werden konnte. Das war dann der Impuls für den zweiten Bauabschnitt der Waldorfschule Anfang der 1990er-Jahre.
Klotz: Am 15. Juni 1978 wurde der Trägerverein der Waldorfschule ins Vereinsregister eingetragen, weshalb wir auch jetzt feiern.
Hatte man damals mit Vorurteilen zu kämpfen? Und gibt es heute noch Vorurteile?
Göller: In der Anfangsphase, noch bevor die Waldorfschule unabhängig wurde, gab es schon eine gewisse Konkurrenz zwischen dem Kinderdorf und Landwirten um Flächen. Aber Grundstücksverkäufe sorgten natürlich auch für gegenseitiges Interesse. Und man darf nicht vergessen, dass durch das Kinderdorf, dessen Werbeträger die Schule vor der Vereinsgründung durchaus war, viele Menschen aus ganz Deutschland nach Wahlwies kamen. Die Waldorfpädagogik war hier damals schon sehr neu und war eigentlich eher in Städten vertreten. Regelrechtes Misstrauen gab es allerdings nicht.
Klotz: Das kann man vielleicht am besten als abwartende Haltung bezeichnen. Und heute ist das völlig verschwunden. Wir fühlen uns im Ort sehr gut aufgenommen und das Verhältnis zu Stadtverwaltung, Ortschaftsräten und zu den Ortsvorstehern ist schon seit Jahren sehr gut.
Nun steht das Festwochenende bevor. Wie haben Sie das vorbereitet?
Klotz: Die Vorbereitungen laufen etwa seit einem dreiviertel Jahr. Zuerst haben wir eine Umfrage unter Lehrern, Eltern und Schülern gemacht, was zur Feier des 40-jährigen Bestehens nicht fehlen darf. Aus den Anregungen ist dann das Programm entstanden.
Was wünschen Sie sich für das Festwochenende?
Klotz: Zunächst einmal natürlich, dass viele Menschen kommen. Und wir wollen etwas zurückgeben an diejenigen, die die Schule über die Jahre begleitet haben. Im Prinzip wollen wir einfach schöne gemeinsame Stunden verbringen und Einblicke in das Schulleben vermitteln.
Personen und Termine
- Personen: Thorsten Heier ist seit 2014 Geschäftsführer der Wahlwieser Waldorfschule. Zuvor arbeitete der Betriebswirt als selbstständiger Dienstleister für den Küchenhersteller Alno in Pfullendorf. Kirje Klotz gehört als Elternteil zum Festkreis für das 40-jährige Bestehen der Schule. Herbert Göller arbeitet seit 1989 als Klassenlehrer an der Waldorfschule und betreut Schüler von der ersten bis zur achten Klasse.
- Veranstaltungen: Das Festwochenende beginn am Freitag, 15. Juni, um 17 Uhr mit dem Singspiel "Der eigensüchtige Riese" nach Oscar Wilde von Schülern der Klassenstufen drei bis sieben unter Leitung von Heidrun Menzel. Um 19.30 Uhr beginnt ein Bildervortrag mit Rückblick von Herbert Göller. Am Samstag, 16. Juni, gibt es von 10 bis 12 Uhr eine öffentliche Schulfeier. Schüler der Klassen eins bis zwölf zeigen Ausschnitte aus dem Unterrichtsgeschehen. Von 13 bis 16 Uhr zeigt sich die Schule beim Tag der offenen Tür. Weitere Termine folgen. (eph/gri)