Geflüchtete Frauen und Mädchen haben es oft schwer, sich in die Gesellschaft in Deutschland einzufinden. Denn diese ist in vielen Fällen anders organisiert als sie es aus ihren Heimatländern kennen. Das ruft viele Fragen bei Frauen und Mädchen hervor, die sie allerdings mitunter bisher nicht stellen konnten, denn die größte Hürde ist die deutsche Sprache. Seit Anfang Oktober nehmen deswegen bis zu acht Frauen an einem Bestärkungsprojekt für Arabisch sprechende Frauen teil, das die Stadt mit Pro Familia Konstanz organisiert. Die 21- bis 52-jährigen Frauen, die in den Gemeinschaftsunterkünften oder dezentral in Stockach leben, besuchen den Kurs, den Sahera Semaan an fünf Terminen anbietet.
Frauen sprechen offen über Persönliches
Die Schulungsleiterin ist Ärztin der Pro Familia Konstanz. Sie wuchs in Palästina auf und ging dort zur Schule. 1992 kam sie nach Deutschland, absolvierte einen Deutschkurs und schloss ihr Medizinstudium an der RWTH Aachen ab. Im Rahmen ihrer Facharztausbildung in Gynäkologie arbeitete sie im Marienhospital Aachen und im Klinikum Konstanz. Bei den Treffen spricht sie mit den Frauen ganz unterschiedliche Themen an. "Die Frauen sind in der Gruppe viel offener, als ich das von deutschen Frauen kenne. Sie nutzen die Chance, persönliche Fragen zu stellen", sagt Sahera Semaan.
Gesundheit und Geburt sind wichtige Themen
Die Treffen entwickelten sich auch nach den Wünschen der Frauen. "Wir haben über das deutsche Gesundheitssystem gesprochen, über Frauengesundheit, Verhütung, Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern oder während der Schwangerschaft. Ich habe ihnen erzählt, wie es bei einer Geburt im Krankenhaus abläuft." Sexuelle Bildung, Frauenrechte und Selbstbestimmung sowie Beziehung und Zusammenleben kamen ebenso zur Sprache.
Was sich die Geflüchteten wünschen
Die Frauen reden auch über die allgemeine Situation in der Unterkunft und die Beziehungen innerhalb der Familie. Sie berichten frei über ihre Probleme: Weder ihr Mann noch sie hätten Arbeit, die räumliche Enge sei belastend und es gebe keinen Kontakt zu deutschen Frauen. Den hätten sie gerne, versichern die sechs Frauen, die an diesem Morgen am Tisch sitzen. Sahera Semaan gibt ihnen daher Informationen über Treffpunkte, an denen Kontakte zu einheimischen Familien möglich sind. Außerdem regt sie an, dass die Gruppe in Eigenregie weiterläuft, damit sich die Bekanntschaften vertiefen.
Die Deutschkenntnisse wollen alle verbessern
Sie fühlten sich gestärkt durch die Hinweise der Gynäkologin, sagen die Frauen. Vieles hätten sie zuvor nicht gewusst – auch was ihren Körper angehe. Pro Familia bietet den Kurs mit Kinderbetreuung an. Nur so war die Teilnahme einiger Frauen möglich. "Wir versuchen, auch einen Deutschkurs mit Kinderbetreuung zu organisieren", sagt die Flüchtlingsbeauftragte der Stadt, Janell Lia-Breitmayer.
Kurs für Männer findet im Dezember statt
Auch für Männer wird es einen Kurs in der Gemeinschaftsunterkunft geben: am 4. Dezember mit persischer, am 6. Dezember mit arabischer Übersetzung. Sie können sich über Familie, Geschlechterrollen und Erwartungen in Deutschland sowie über ihre Befürchtungen und Hoffnungen austauschen. Referent wird ein Sexualpädagoge von Pro Familia sein.
Das Projekt
Das Projekt "Takaa – Niroo" dient der Förderung der seelischen Gesundheit von geflüchteten Frauen und Mädchen und der Stärkung ihres Schutzes vor Gewalt und geschlechtsspezifischer Diskriminierung. Es erhöht die Chance geflüchteter Frauen und Mädchen auf eine gelingende persönliche Entwicklung in Deutschland. Das Projekt richtet sich auch an geflüchtete Männer, insbesondere die Bezugspersonen der Teilnehmerinnen an den Frauengruppen. Der Projektträger ist die Werkstatt Parität, Projektpartner die Paritätische Baden-Württemberg. (wig)