Stephan Freißmann und Anna-Maria Schneider

Dass die Geburtshilfeabteilung am Radolfzeller Krankenhaus schließt, zieht Kreise weit über die Stadt am See hinaus – auch für Schwangere aus dem Raum Stockach ist es ein Schlag ins Kontor. Für sie fällt künftig eine wichtige Adresse für die Geburt weg. Und für viele von ihnen setzt damit jetzt hektisches Umplanen ein. So berichtet Simone Janiczek, niedergelassene Frauenärztin in Stockach, dass sie in ihrer Praxis derzeit 30 bis 40 schwangere Frauen betreue, die in den nächsten ein bis zwei Monaten entbinden würden. Mindestens zehn von ihnen hätten nach Radolfzell gehen wollen und müssen sich jetzt anders orientieren. Auf Dauer gesehen schätzt Janiczek den Anteil an Schwangeren aus ihrer Praxis, die ihr Kind in Radolfzell zur Welt gebracht haben, auf etwa ein Drittel – bei 100 Schwangeren, die sie pro Quartal betreue. "Das Krankenhaus in Radolfzell war sehr wichtig für Stockacher Schwangere", sagt sie. Und: Die Schließung sei schade, aber eine Verlagerung in größere Zentren politisch gewollt.

Hört man sich unter den Hebammen im Raum Stockach um, ist von Bedauern und Verunsicherung die Rede. So sagt Regina Honold, Hebamme in Eigeltingen-Eckartsbrunn: "Wer im März in Radolfzell entbinden wollte, fragt sich nun, ob das noch geht. Das erzeugt einen wahnsinnigen Druck auf die Frauen." Als zum Jahreswechsel schon einmal das Aus für die Radolfzeller Geburtenstation im Raum stand, sei das so weit gegangen, dass manche Frauen die Einleitung der Geburt mit Medikamenten in Erwägung gezogen hätten – um es noch vor der Schließung zu schaffen. Und Honold wirft die Frage auf, wo die mehr als 500 Geburten im Jahr, die es zuletzt in Radolfzell gab, aufgenommen werden sollen.

Die Kapazität bei den Kreißsälen reiche zwar bestimmt aus. Doch für das folgende Wochenbett? Dabei sei die Atmosphäre im kleinen Radolfzeller Krankenhaus ruhiger gewesen. Und wenn eine Frau nach der Geburt relativ rasch wieder entlassen werde, weil der Platz gebraucht werde, so sei der Aufwand für die freiberuflichen Hebammen bei der Nachsorge viel höher. Honold, die nur in Teilzeit als Hebamme arbeitet, befürchtet, dass die Versorgung nach der Geburt nun leidet. Sie berichtet, dass allein unter den von ihr betreuten Frauen nun vier bis fünf umplanen müssten.

Und die Schwangeren? Für die 29-jährige Ramona Zimmermann aus Orsingen dürfte die Geburt in Radolfzell gerade noch klappen. Sie ist im neunten Monat schwanger, das Kind könnte jeden Moment kommen. Da die Belegärzte bis zum 24. März den Betrieb noch gewährleisten, ist sie eine der letzten Frauen, die in Radolfzell ein Kind bekommen können. Doch auch sie hat sich schon Gedanken über mögliche Alternativen gemacht: "Hätte die Geburtshilfe früher geschlossen, wäre ich für die Entbindung nach Überlingen gegangen", sagt sie. Eine Entbindung in Singen war für sie, trotz der Nähe, keine Alternative. Zwei ihrer Bekannten seien im vergangenen Jahr wegen Platzmangels auf der Entbindungsstation in Singen abgewiesen worden, berichtet Zimmermann. Diesem Risiko habe sie sich nicht aussetzen wollen.

Abgewiesen am Singener Kreißsaal, das kennt auch Sarah Mävers aus Erzählungen ihrer Freundinnen. Die Stockacherin hält ihre Tochter Talitha im Arm. Das Baby ist gerade einmal vier Tage alt und in Radolfzell zur Welt gekommen, wie auch ihr älterer Bruder Raphael vor vier Jahren. Die negativen Berichte ihrer Freundinnen über das Singener Klinikum, über Personalmangel und Unterbesetzung sowie die Größe der Einrichtung, haben sie dazu bewogen, in Radolfzell zu entbinden.

Andrea Jagode, Pressesprecherin des Klinikverbundes, bestätigt einen Hebammen-Engpass am Singener Klinikum vergangenes Jahr. Aus diesem Grund habe man über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten auch mal Frauen abweisen müssen. "Diesen Engpass haben wir behoben", versichert Jagode.

Wie es weitergeht

  • Alternativen: Schwangere im Raum Stockach haben weiterhin die Wahl zwischen verschiedenen Krankenhäusern. Singen, Überlingen und Tuttlingen sind die nächsten.
  • Beleghebammen: Am Radolfzeller Krankenhaus ist es möglich, eine eigene Hebamme mitzubringen, die die gesamte Geburt begleitet. Peter Fischer, Geschäftsführer des Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz, verspricht laut einer Pressemitteilung nun, dass dieses Modell auf die Standorte Singen und Konstanz übertragen werden soll. (eph)
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