Frau Ospelkaus, Sie kommen im Mai nach Singen und in den Hegau. Was haben Sie vor?
Ich bin auf einer kleinen Lesereise in der Bodenseeregion. Sandra Storz vom Horizont-Treff, der Hospizarbeit in Singen, hatte mich eingeladen. Es geht um das große Thema Trauer, das gern in den kalten Herbst verlagert wird, als würden Menschen im Mai keine Verlusterfahrung machen. Alle Gefühle brauchen einen Ausdruck – auch die schweren. Erst wenn wir Worte und Ausdrucksformen finden, lässt der Verlustschmerz nach. Es ist mir wichtig, dass ich mit Leichtigkeit und sogar mit Humor über Trauer spreche. Auch Kinder und Jugendliche brauchen Geschichten und Ausdrucksformen für komplizierte Gefühle wie Trauer, Wut und Frust. Ob Mitmachlesung für Kindergartenkinder, Lese-Events für Teens oder eine Lesung für Erwachsene. Lebensmut und Lebensfreude stehen im Vordergrund.
Ein Buch von Ihnen heißt „Meine Reise durch das Trauerland“. Was ist Ihr persönlicher Hintergrund zu diesem Buch?
Vor 15 Jahren erkrankte ich schwer an Krebs. Mein Mann und ich hatten zwei kleine Söhne. Die Therapien waren sehr anstrengend und kaum war die letzte beendet, erhält mein Mann die Diagnose Leukämie. Fünf Monate später starb er. Ich spürte den Verlust meiner eigenen Fähigkeiten, den Verlust unserer Gegenwart und Zukunft, den Verlust eines geliebten Menschen. Ich fand mich in einem Trauerland wieder. Es war ein fremdes Land und die Trauer wurde meine Reisebegleiterin. Die Trauer kennt sich im Trauerland aus.
Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie kleine Kinder sehen, die so alt sind wie Ihre Söhne zum Zeitpunkt des Todes Ihres ersten Mannes?
Ich empfinde Wehmut. Mein jüngster Sohn war damals zwei Jahre alt. Kleinkinder entdecken so viel, sie staunen und lachen. Vieles habe ich verpasst oder nur durch verweinte Augen wahrgenommen. Es tut mir leid, dass meine Kinder keine direkten Erinnerungen an ihren Papa haben. Andererseits staune ich, wie viel Schönes wir trotzdem erlebt haben. Es ist ein Wunder, dass meine Söhne so unbeschwert waren und sind.

Was empfehlen Sie Trauernden?
Trauernde dürfen sein – einfach sein mit all den Tränen, Fragen, Zweifeln, Sorgen und Wut. Trauernde brauchen Zeit, um sich über die unterschiedlichen Gefühle bewusst zu werden. Freunde, die diese widersprüchlichen Gefühle aushalten, sind eine große Hilfe. Der normale Alltag tut gut. Oft wollen Menschen etwas Besonderes für einen trauernden Freud tun. Es braucht nicht das Besondere, es braucht das Alltägliche wie kochen, gemeinsam Wäsche zusammenlegen, spazieren gehen, einkaufen, etwas reparieren.
Welche Rolle spielt der Glaube an Gott für Sie in der Trauer?
Zu wissen, dass es mehr gibt, als ich sehe, begreife und verstehe, tröstet mich. Gott ist meine Adresse für all die widersprüchlichen Gefühle, meinen Kummer und mein Unverständnis. Ich bin ja nicht allein mit dieser Erfahrung. Ich bin verbunden mit einer Gemeinschaft und Gebeten, alten biblischen Texten und Liedern. Diese Verbundenheit verbindet auch mein Herz.
Sie haben mit „Die Gewandnadel“ aktuell einen viel gerühmten Roman geschrieben. Ist Schreiben auch Trauer- und Lebensbewältigung?
Wenn ich schreibe, fühle ich mich lebendig. Ein Tagebuch hilft mir, Gedanken und Gefühle zu sortieren, aber in meinen Romanen habe ich auch immer einen Abstand zu mir selbst. Ich überlege sehr intensiv, inwieweit sich die Figuren in meinen Geschichten mit dem Leser verbünden können.
Worum geht es in Ihrem Roman „Die Gewandnadel“? Wie sind Sie auf die Idee gekommen? Wie lief die Recherche?
In dem Roman geht es um die Versöhnung mit der eigenen, oftmals schwierigen Lebensgeschichte. Zur „Die Gewandnadel“ hatte mich in den 2000-er Jahren die Arbeit mit Rot-Kreuz-Schwestern im Ruhestand inspiriert, die alle an der Front im Zweiten Weltkrieg gedient hatten. Der Roman wird in zwei Zeitebenen erzählt: die Gegenwart im Seniorenheim und die Vergangenheit an der Afrikafront. Die Geschichte ist real, aber die Figuren sind fiktiv. Versöhnung, Freundschaft und Identität sind Themen des Buches – und wie im echten Leben: Chaos und Liebe,
Wann und wo schreiben Sie?
Am liebsten arbeite ich daheim am Schreibtisch mit meinem großen Monitor. Wann immer ich unterwegs bin, nehme ich zwar Schreibzeug mit, doch meistens schlummert es im Koffer. Menschen und ihre Geschichten sind eine große Inspiration für mich.
Arbeiten Sie an einem weiteren Buch?
Das nächste Buch begleite ich als Co-Autorin. Es geht um einen Klinikclown und seine ganz eigene Philosophie. Der Clown lebt im Moment, ist vorurteilsfrei, lebensbejahend und hat keine Berührungsängste – auch nicht mit dem Tod. Es ist ein wunderbares Projekt. Ich lerne, lache und weine zugleich, wenn ich die Geschichten von Kindern aufschreibe, die wissen, dass sie niemals Teenager werden.