Die rund 2000 Quadratmeter große Dachkonstruktion am Singener Bahnhofsplatz, für die die vorbereitenden Arbeiten am Dienstag begonnen haben, wird jetzt doch begrünt. Oberbürgermeister Bernd Häusler hat dazu eine Eilentscheidung getroffen, sich gleichwohl bei den Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderats rückversichert. Die Fraktionssprecher haben ihrerseits das Einverständnis ihrer Ratskollegen eingeholt, sodass die Absprache einem einstimmigen Beschluss des Gemeinderats gleichkommt.
Angesichts der Vorgeschichte war davon nicht unbedingt auszugehen, denn über die Gestaltung der Dachkonstruktion gingen die Meinungen ursprünglich stark auseinander. Im Juli 2017 beschäftigte sich der zuständige Ausschuss des Gemeinderats erstmals mit der Frage, ob das Dach begrünt werden sollte oder nicht. Bei vier Enthaltungen stimmte der Ausschuss mehrheitlich für eine Begrünung, doch der Beschluss wurde wenige Tage danach und nach intensiver Diskussion vom Gemeinderat revidiert. In der Debatte ging es zeitweilig grundsätzlich zu, sie drehte sich unter anderem um die Frage, ob die Begrünung des Daches zur geschichtlichen Identität der Stadt als Industriestandort passe.
Das Thema tauchte nach der Vorlage des städtischen Klimagutachtens erneut auf, die Mehrheit der Stadträte blieb jedoch bei der getroffenen Entscheidung zum Verzicht aufs Dachgrün. Als Gründe wurden dabei die Befürchtung von Mehrkosten sowie einer Bauverzögerung angeführt.
Gründach ist billiger als Standardkonstruktion
Ein Kuriosum sorgte dafür, dass nun eine gemeinsam getragene Kehrtwende vollzogen wird. Das bauausführende Unternehmen wandte sich an die Stadtverwaltung und empfahl seinerseits eine extensive Begrünung. Diese beeinträchtige weder die Statik (im Gegensatz zu einer intensiven Begrünung) noch die Bauzeit und wirke sich außerdem kostendämpfend aus. Veranschlagt sind für die begrünungsfreie Dachkonstruktion rund 1,48 Millionen Euro, mit der Begrünung können die Kosten um etwa 44.500 Euro reduziert werden.
OB Bernd Häusler wollte sich da nicht zwei Mal bitten lassen und veranlasste die Eilentscheidung mit der erwähnten Absprache im Ältestenrat. Und auch die vor allem den Fraktionen von CDU, Neuer Linie und FDP angehörenden Gegner einer Dachbegrünung sehen offensichtlich keinen Grund mehr zum Festhalten am ursprünglichen Ratsbeschluss. Wie der Fraktionssprecher der Neuen Linie, Dirk Oehle, gegenüber dem SÜDKURIER sagte, war vor allem die Annahme höherer Kosten die Ursache für das Votum gegen die Begrünung. Er war – wie die Mehrheit der Ratskollegen – davon ausgegangen, dass ein Gründach eine mit Mehrkosten verbundene Statik der gesamten Konstruktion verursachen würde.

Die neue Ausgangssituation ist laut Kirsten Brößke auch für die FDP der Grund für die jetzige Zustimmung zum Gründach gewesen. „Die FDP sieht das ganz leidenschaftslos“, erklärt sie. Ihrer Partei gehe es in erster Linie um die Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte und dies werde angesichts der Kostenreduzierung erreicht. Ähnlich argumentiert Franz Hirschle (CDU), der allerdings in der Kurskorrektur keinen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel sieht. „Das ist ein gutes Zeichen“, sagt er mit Verweis auf die extensive Form der Begrünung, „einen wirklichen Effekt fürs Klima gibt es dadurch aber nicht.“

Die Stadträte, die sich von Beginn an für die Dachbegrünung ausgesprochen hatten und vor allem den Grünen, der SPD und den Freien Wählern angehören, halten sich bei der Freude über den Triumph auf den letzten Metern zurück. „Natürlich freut‘s uns“, sagt Eberhard Röhm als Fraktionssprecher der Grünen, wobei ihm die Entwicklung wie ein Déjà-vu-Erlebnis vorkommt.
Es sei nicht das erste Mal, dass seine Fraktion Anträge stelle, zunächst damit scheitere und dann am Ende doch obsiege. „Der gesellschaftliche Wandel kommt uns da entgegen“, so seine Erfahrung. Abgesehen davon stuft Eberhard Röhm den Gewinn an Glaubwürdigkeit der Politik hoch ein. Die Stadt mache bei jeder Flachdachkonstruktion eine Begrünung zur Pflicht, wollte aber beim eigenen Projekt darauf verzichten – dieser Makel sei jetzt beseitigt.
Weitere Hintergründe zur Diskussion über die Umgestaltung des Singener Zentrums
- Die Ausgangslage: Zu Beginn der Debatte um die Dachgestaltung am Bahnhofsplatz standen die Kosten, die Ästhetik und das Selbstverständnis der Stadt im Vordergrund. Man ging von Mehrkosten in Höhe von mindestens 50 000 Euro im Fall einer Begrünung aus – für ein Dach, das ohnehin niemand sieht und einige Stadträte als hässlich einstuften. Außerdem sollte ein Alu-Dach einen Bezug zur Industriegeschichte der Stadt schaffen.
- Das Klimagutachten: Eine von der Stadt in Auftrag gegebene Analyse zu den Beeinflussungsmöglichkeiten des Mikroklimas sorgte quer durch alle Fraktionen für eine Neuorientierung. Dadurch wurde unter anderem deutlich, dass durch Bebauungsformen maßgeblich Einfluss auf Luftströme und folglich die Gesundheit genommen werden kann. Seitdem werden beispielsweise Dach- oder Fassadenbegrünungen prinzipiell anders bewertet.
- Die Kosten: Das Unternehmen, das mit der Dachkonstruktion am Bahnhofsplatz beauftragt wurde, benötigt nach Angaben der Stadtverwaltung keine neue Statik für den Fall einer extensiven Begrünung des Daches. Statt Mehrkosten von 50 000 Euro ist demnach mit einer Kostenersparnis von 44 500 Euro zu rechnen. Dieser Aspekt überwiegt offensichtlich auch die geschichtsideologischen Überlegungen zum Selbstverständnis der Stadt.
- Der Zeitplan: Dass trotz des Klimagutachtens zunächst am Verzicht einer Dachbegrünung für den Bahnhofsplatz festgehalten wurde, hing nicht zuletzt mit dem Zeitplan für die Umgestaltung des Singener Zentrumsbereichs zusammen. Ziel ist es, den Bahnhofsbereich bis zum Herbst zeitgleich mit dem Einkaufszentrum Cano fertigzustellen und damit gleichzeitig Impulse für die Attraktivität des Nahverkehrs zu setzen.