Herr Hertkorn und Herr Steinebrunner, Darm und Stuhlgang sind schambesetze Themen. Blut im Stuhl verunsichert viele Menschen, auch wenn meistens nur harmlose Marisken oder Hämorrhoiden dahinter stecken. Bei welchen Anzeichen sollte man einen Arzt aufsuchen?
Hertkorn: In unsere Praxis kommen viele Patienten, die Blut im Stuhl festgestellt haben. Und das ist auch gut so, denn es ist wichtig, die Gründe frühzeitig abzuklären, um nicht wertvolle Zeit zu verlieren. Es ist aber in der Regel nicht das sichtbare, helle Blut, das auf eine Darmkrebserkrankung oder mögliche Vorstufen hinweist, sondern das versteckte, das sogenannte „okkulte“ Blut. Auch Symptome wie Stuhlunregelmäßigkeiten, neu aufgetretener Durchfall oder Verstopfung, vermehrte Blähungen, allgemeine Schwäche und unerklärlicher Gewichtsverlust können gegebenenfalls Anlass für eine Darmspiegelung sein.
Diese Symptome bedeuten aber noch lange nicht, dass es Darmkrebs ist.
Hertkorn: Nein, wir können durch die Spiegelung des Darms sehen, ob beispielsweise die Darmschleimhaut entzündet ist, wie etwa bei Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder nach vorangegangenen Infektionen. Auch eine Divertikelkrankheit kann zu Beschwerden führen. Sollten Polypen zu erkennen sein, müssen sie vorsorglich entfernt werden, da diese sich potentiell zu Krebs entwickeln können.
Das heißt, die Darmspiegelung gilt nach wie vor als sicherstes Verfahren zur Früherkennung bei Darmkrebs?
Steinebrunner: Ja, die Darmspiegelung gilt weiterhin als der Goldstandard bei der Darmkrebsvorsorge. Sie ist ein sicheres und etabliertes Verfahren. Sollte sich jemand mit der Entscheidung für eine Vorsorge-Darmspiegelung schwertun, so ist es – als zweitbeste Wahl – durchaus sinnvoll, einen Stuhltest zu machen, der nicht sichtbares Blut im Stuhl anzeigt. Ein positiver Stuhltest kann auf eine Darmkrebserkrankung oder auf Krebsvorstufen hinweisen, allerdings kommen auch andere Blutungsquellen infrage, wie zum Beispiel eine Zahnfleischverletzung, eine Magenschleimhautentzündung oder eine Hämorrhoidalblutung. Zur weiteren Abklärung ist dann jedoch ebenfalls eine Darmspiegelung erforderlich.
Wenn jemand eher ängstlich ist, kann dieser positive Stuhltest für extreme Besorgnis, vielleicht sogar für Panik sorgen.
Steinebrunner: Es ist verständlich, dass ein positiver Test zu Verunsicherung führen kann. Obwohl unsere Kapazitäten sehr ausgebucht sind, versuchen wir in diesem Fall Patienten vorzuziehen, um ihnen zeitnah die Ungewissheit zu nehmen.
Wie hoch ist das Risiko, dass das positive Stuhltestergebnis bestätigt wird?
Hertkorn: Ungefähr bei der Hälfte dieser Fälle stellen wir einen Polypen fest, den wir während der Untersuchung entfernen. Der Anteil derer, die dann wirklich ein Karzinom haben, ist sehr gering und liegt anhand größerer Auswertungen bei wenigen Prozent.
Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Männern wird deshalb ab dem 50. Lebensjahr eine Darmspiegelung empfohlen, Frauen ab dem 55. Lebensjahr. Bei unauffälligem Befund wird diese erst nach 10 Jahren wiederholt. Reicht das wirklich?
Hertkorn: Bei einer unauffälligen Befundung reicht das aus, soweit auch die Familienanamnese oder Patienten-Vorgeschichte unkritisch ist. Ansonsten würde man ein Nachsorgeintervall von drei bis fünf Jahren empfehlen.

Führt der Weg zum Facharzt immer über den Hausarzt?
Steinebrunner: Ja, wir raten zu einer Überweisung durch den Hausarzt, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Für uns können gegebenenfalls Vorbefunde, Laborergebnisse, Stuhltestergebnisse oder auch Berichte von Kollegen wie Urologen oder Gynäkologen, die dem Hausarzt vorliegen, hilfreich sein.
Die Vorstellung vorab abzuführen und die Untersuchung selbst schrecken einige Menschen ab. Wie läuft die Darmspiegelung tatsächlich ab?
Steinebrunner: Es hat sich in den letzten Jahren viel getan. So ist das Abführen nicht mehr so unangenehm, weil deutlich weniger von dem Abführmittel getrunken werden muss. In der Regel erfolgt die Darmspiegelung ambulant und unter Sedierung. Somit ist die etwa 20- bis 30-minütige Untersuchung schmerzfrei, auch das Entfernen von Polypen. Der Gastroenterologe führt über den After ein fingerdickes Endoskop in den Dickdarm ein und lässt Kohlendioxid in den Darm strömen. Früher hat man Raumluft verwendet, die nach der Untersuchung zu starken, teils krampfartigen Blähungen führte. Kohlendioxid hat den Vorteil, dass es schneller wieder abgeatmet wird und schmerzlos den Darm verlässt. Daher arbeiten wir in unserer Praxis, wie viele andere Kollegen auch, mit Kohlendioxid. Mithilfe des Endoskops lassen sich der gesamte Dickdarm und bedarfsweise auch ein kleiner Abschnitt des unteren Dünndarms betrachten. Eine kleine Kamera am Ende des Endoskops überträgt die Bilder auf einen Monitor. Mithilfe von Spezialwerkzeugen können während der Untersuchung Gewebeproben entnommen oder Polypen entfernen werden.
Welche Risiken gibt es bei einer Darmspiegelung?
Hertkorn: Selten kommt es zu Kreislauf- oder Atembeschwerden. In sehr seltenen Fällen – deutlich unter ein Promille der Patienten – kommt es zu einer signifikanten Blutung, die wir im Falle des Falles aber oftmals direkt stillen können. Noch seltener – etwa ein Fall pro 10.000 Untersuchungen – kommt es zu einer sogenannten Perforation, also einer Darmverletzung, beispielsweise bei der Entfernung sehr großer Polypen oder bei voroperierten Patienten. Generell wachen die Patienten nach der Untersuchung schnell wieder auf und sind relativ fit. Sie bleiben dann noch etwa 30 bis 60 Minuten zur Beobachtung in unserer Praxis und wir besprechen sogleich die Befunde. Nach der Kurznarkose dürfen sie nicht selbst Auto fahren und müssen sich abholen lassen.
Ist eine „virtuelle Darmspiegelung“, die mithilfe eines Computertomogramms oder eines Kernspintomogramms erstellt wird, eine Alternative?
Steinebrunner: Diese Techniken haben sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt, sind allerdings aktuell weiterhin kein Ersatz für die Darmspiegelung. Für diese Form der Untersuchung muss ebenfalls vorab der Darm durch Abführen gesäubert werden. Ein CT ist mit einer Strahlenbelastung verbunden. Ebenso ist es weiterhin schwierig, hiermit sehr kleine Polypen zu entdecken. Zu bedenken ist, dass eine Abtragung der entdeckten Polypen nur durch die Darmspiegelung möglich ist. Nicht zuletzt wäre das eine Vorsorge-Leistung, die von der gesetzlichen Krankenversicherung aktuell nicht abgedeckt ist und somit privat bezahlt werden müsste.
Was kann man präventiv gegen Darmkrebs tun?
Hertkorn: Bei Übergewicht ist eine Gewichtsreduktion wichtig. Zudem ist tägliche Bewegung ratsam, weitgehender Verzicht auf Alkohol und Tabak, wenig verarbeitete Wurstwaren und rotes Fleisch, stattdessen ballaststoffreiche, mediterrane Kost. Im Prinzip gilt auch hier die allgemein bekannte gesunde Lebensweise.
Lassen Sie uns über Zahlen reden. Wirkt sich die diagnostische Früherkennung signifikant auf die Fallzahlen aus?
Hertkorn: Definitiv. Darmkrebs ist eine Krankheit, die sehr häufig vorkommt. Bei Männern steht sie nach Prostata- und Lungenkrebs an dritter Stelle, bei Frauen nach Brustkrebs sogar an zweiter Stelle. Angesichts der immer weiter ansteigenden Lebenserwartung wäre eigentlich auch ein Anstieg der Darmkrebsfälle zu erwarten. Anhand aktueller Auswertungen zeigt sich allerdings erfreulicherweise – insbesondere bei den über 50-jährigen Patienten – ein rückläufiger Trend, der auf den Effekt der Vorsorge zurückgeführt wird. Auf die Gesamtbevölkerung gesehen sind die Fallzahlen seit Beginn der Vorsorge-Darmspiegelung vor 20 Jahren -altersbereinigt – um ein Viertel zurückgegangen. Nimmt man nur die Gruppe der Menschen, die tatsächlich eine regelmäßige Vorsorge-Darmspiegelung in Anspruch nehmen, so ist die Zahl der aufgetretenen Darmkrebserkrankungen sogar um 60 Prozent reduziert und wir verzeichnen darüber hinaus sogar 70 Prozent weniger Todesfälle im Zusammenhang mit einem Darmkarzinom als bei den Menschen ohne Darmkrebsvorsorge. Einfach gesagt: Die Darmkrebsvorsorge rettet Leben!