70 Termine standen im Kalender, fast genauso viele sind in den vergangenen Monaten ausgefallen: Auch die Sexualaufklärung in Schulklassen ist Pandemie-bedingt sehr eingeschränkt. Deshalb setzt Pro Familia nun verstärkt auf Online-Angebote, um Kinder und Jugendliche zu erreichen. „Das ist wahnsinnig viel, was da weggefallen ist in den vergangenen Monaten“, sagt Lena Hörner. Vieles verlagere sich nun ins Internet, wo es gute, aber auch sehr schlechte Informationen gebe. „Für die Jugendlichen ist das eine Katastrophe“, ergänzt Maleen Mack. Die beiden Frauen kümmern sich bei Pro Familia gemeinsam mit Daniel Briel unter anderem um die Sexualpädagogik. Außerdem fehle häufig der Rahmen für einen Austausch. Den soll es nun nicht nur bei Online-Angeboten für Schulklassen, sondern zudem mit einer neuen Jugendsprechstunde bei Pro Familia geben.

Sexualität ist ständig präsent und doch tabu

Normalerweise stehen jeden Montag und Mittwoch Termine an Schulen im Terminkalender der Pro-Familia-Berater. Dann unterhalten sich Lena Hörner, Daniel Briel oder Maleen Mack mit Gruppen der vierten bis zehnten Klasse über Sexualität und alles, was dazu gehört. Und das ist ganz schön viel: „Die Zeit reicht nie aus, um alle Fragen zu beantworten“, erinnert sich Briel. „Sexualität ist ein ständig präsentes Thema und dennoch tabuisiert, das ist paradox“, sagt Maleen Mack. Mit Lehrern falle es vielen Kindern und Jugendlichen schwer, über Sexualität zu sprechen.

Die Stärke der Berater? Sie kommen unbefangen von außen

Auch im Rahmen eines Schulbesuchs sei es vielleicht erstmal komisch, mit jemand Fremdem über so etwas Privates zu sprechen. Doch man könne den Teilnehmern pädagogisch einen Raum dafür schaffen. „Wir sagen immer, dass wir eine Schweigepflicht haben und es nicht nach außen tragen. Schon das bietet einen gewissen Schutz. Es ist toll, wenn jemand von außen kommt. Das ist unsere große Stärke“, sagt Psychologin Lena Hörner. Damit könne man meist auch Gespräche untereinander anstoßen. „Plötzlich fangen die Schülerinnen an, untereinander zum Beispiel über ihre Periode zu sprechen. Das ist toll.“

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Denn in der Lebensrealität von Jugendlichen spiele der eigene Körper und Liebe eine große Rolle, doch Ansprechpartner fehlen. „Was früher die Bravo war, ist heute das Internet“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin und systemische Beraterin Maleen Mack. „Medien sozialisieren auch im Bezug auf Sexualität, aber damit sind Jugendliche oft alleine.“

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Es gebe wenige Formate, die sie dafür empfehlen könne. Dazu zählt das Youtube-Talkformat „Auf Klo“ von funk, dem jungen Angebot von ARD und ZDF. Aber meist warten im Internet vor allem Stereotype und überzeichnete Inhalte, kritisiert Daniel Briel. Pro Familia arbeite deshalb auch an einem Projekt zur Medienkompetenz, wofür aber noch Fördergelder fehlen.

Manchmal scheitern Online-Angebote an der Technik

Die Schultermine stehen bei Pro Familia weiterhin im Kalender, können wegen der Corona-Pandemie aber in der Regeln nicht stattfinden. Zumindest nicht in Präsenz. Während viele Schüler sich inzwischen daran gewöhnen mussten, dass Unterricht online stattfindet, blieb Sexualpädagogik dabei ausgeklammert und fand ähnlich wie Sportunterricht einfach nicht mehr statt. Das soll sich ändern. Einen Termin im Rahmen einer Tischmesse mit 40 bis 50 Schülern gab es bereits vor wenigen Wochen. Der erste richtige Online-Termin ist noch diesen Monat geplant.

Zwar habe Pro Familia schon in den vergangenen Monaten Online-Veranstaltungen angeboten, doch anfangs seien Schulen skeptisch gewesen. Manchmal scheitere es auch an der technischen Ausstattung: Optimal ist, wenn jeder Schüler ein eigenes Gerät und einen Internetzugang hat.

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Wenn eigene Grenzen klar sind, gibt es weniger Grenzüberschreitungen

Ein Pflichtprogramm gebe es bei den Aufklärungsterminen nicht. „Die Themen sind ganz unterschiedlich“, sagt Daniel Briel, das hänge oft auch vom Alter ab. Das reicht vom Sprechen über den eigenen Körper und die Pubertät bis zu der Frage, wie man eigentlich seinen Schwarm ansprechen kann. Ein Fokus sei auch die Prävention: Wenn Kinder und Jugendliche ihre eigenen Grenzen kennen, gebe es auch weniger Grenzüberschreitungen, erklärt Briel. Das sei ein Grund, warum Sexualpädagogik so wichtig sei.

Auch die Inhalte ändern sich mit der Zeit

Nicht nur die Art und Weise, wie Pro Familia zu den Schülern kommt, hat sich in den vergangenen Monaten verändert. Auch die Inhalte wandeln sich im Lauf der Zeit. „Je älter sie werden, desto offener werden auch die Schüler“, sagt Daniel Briel. Das gelte auch für Themen wie sexuelle Orientierung oder Rollenbilder. „Damit geht man in den letzten Jahren sensibler um und es wird für die Betroffenen zum Beispiel auch leichter, sich zu outen“, erklärt Briel. Er spricht stets von SchülerInnen, um Schülerinnen wie Schüler gleichermaßen anzusprechen – ein Beispiel dafür, wie sich eine Gesellschaft und ihre Sprache ändern können.

Seine Kollegin Lena Hörner ergänzt: „Es ist auch wertvoll, in solchen Veranstaltungen eine andere, neue Perspektive einfließen zu lassen.“ Denn so mache man Themen präsent. Doch dafür müsse es solche Gespräche geben.

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Anonym und kostenlos: Jugendsprechstunde startet am Montag

Die Jugendsprechstunde startet am Montag, 12. April, um 15 Uhr. Montags und mittwochs können Kinder und Jugendliche sich dann von 15 bis 16 Uhr ohne Anmeldung und anonym einwählen und einzeln mit einem Berater der Pro Familia sprechen. Der dauerhafte Link ist: https://us02web.zoom.us/j/81223963396

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