Haben Sie das alles selbst erlebt? Die nach vielen Literaturlesungen aus dem Publikum gestellte Frage wurde zum Thema der Eröffnung des 14. Literaturfestivals Erzählzeit ohne Grenzen, das im Hegau und der angrenzenden Schweiz stattfindet. Beantwortet hat die Frage Judith Hermann, eine mit zahlreichen Literaturpreisen geehrte Schriftstellerin aus Berlin. Und zwar auf hohem literarischem Niveau.
Auf der Bühne der bis auf den letzten Platz besetzten Kammgarn-Halle las Hermann das erste Kapitel aus ihrem neuen Buch „Wir hätten uns alles gesagt“. Wie sie dem Publikum erklärte, enthält das Buch den Text, den sie als Poetikdozentin zum Thema „Vom Schreiben und Verschweigen im Schreiben“ an der Universität Frankfurt am Main an drei Abenden gelesen hat. Ein Text aus einer Poetikvorlesung? Kann der ein Publikum fesseln? Er kann. Das Publikum war schon nach den ersten Sätzen hingerissen. Hermann ging klug, poetisch und voller Humor dem Zauber ihres eigenen Schreibens auf den Grund.
Schriftstellerin voller Witz und Charme
Schon beim Gespräch mit der in der Schweiz durch das Fernsehen sehr populären Kulturmoderatorin Monika Schärer hatte die Berliner Schriftstellerin zuvor voller Witz und Charme von ihren Erlebnissen auf Lesetouren berichtet. Ganz zu Beginn ihrer Karriere, als die Schriftstellerin mit den Kurzgeschichten ihres ersten Buches „Sommerhaus, später“ Furore machte, sei sie nach Solothurn zu den Literaturtagen eingeladen worden.
Ironisch erzählte sie von den Traumata, die sie da durchlebt habe. „Es war für mich albtraumhaft“, bekannte sie. Das Gesellige liege ihr, die beim Schreiben isoliert arbeitet, nicht. Heute könne sie mit Anlässen dieser Art aber umgehen, versicherte sie dem Publikum in der Kammgarn-Halle. Sie wisse sich inzwischen auch gegen die totale Verwahrlosung zur Wehr setzen, die ob des vielen Rotweins oft drohe.
Im Publikum in der ersten Reihe verfolgten mit sichtlichem Vergnügen Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler und Schaffhausens Stadtpräsident Peter Neukomm die Lesung. Zuvor hatte Moderatorin Monika Schärer die beiden Schaffhauser Kultur-Verantwortlichen Patrick Strasser und Raphaël Rohner auf die Interview-Couch gebeten. Beide lobten die grenzüberschreitende Veranstaltung und erzählten von ihren Lesegewohnheiten.

Elena Duni singt bei der Eröffnung
Dann kam Elena Duni auf die ihr vertraute Bühne der Kammgarn. Die in Genf lebende Musikerin und Performerin mit albanischen Wurzeln, ausgebildet in klassischem Klavier, Jazzgesang und Jazzkomposition, hat ihr neues Bühnenprogramm, mit dem sie auf Tournee gehen wird, in der Kammgarn geprobt und getestet. Sie sang und spielte mit beeindruckender Intensität arabische und Balkan-Volkslieder und zum Schluss noch ein Lied, in das sie schweizerdeutschen Text einflocht.
Am Ende der Eröffnungsveranstaltung wurde vom Publikum lang anhaltender Applaus gespendet. Noch bis zum 2. April werden sich im Rahmen der Erzählzeit im Hegau und in der Schweiz viele weitere Autorinnen und Autoren dem Publikum vorstellen. Die Frage, ob die Schriftsteller ihre Geschichten selbst erlebt haben, wird sich nach Judith Hermanns in Schaffhausen vorgetragener Poetikvorlesung erübrigen.