In bunte Gewänder gehüllte Mönche, versunken in Kontemplation. Die Marmorkuppel des Taj Mahal. Vielleicht eine Statue von Krishna, der Flöte spielenden Inkarnation des Gottes Vishnu. Sollte ein solches Bild vor Ihrem inneren Auge entstehen, wenn Sie das Wort Hindutempel hören, dann wartet eine Enttäuschung auf Sie.
Der Standort der Gemeinde Singen Vinayagar wird auf der einen Seite von den Bauzäunen der Cano-Baustelle begrenzt, auf der gegenüberliegenden Seite liegt der Bahngleis 1 des Bahnhofs. Dazwischen: ein längliches Gebäude mit schäbiger Fassade. "Sie haben Ihr Ziel erreicht", sagt das Navi. Kann das stimmen?

Tatsächlich: Darma Vivekachandran wartet bereits am Eingang. Der Präsident der Hindugemeinde trägt blaue Jeans und eine schwarze Jacke. Nach einer höflichen Begrüßung bittet der 42-Jährige darum, die Schuhe abzulegen – ein unerwarteter Wunsch vor dem Betreten eines Gebäudes das eher an einen Schuppen als an eine Gebetsstätte erinnert. Aber folgt man Vivekachandran ins Innere, bietet sich ein beeindruckender Anblick: Mit Schleifen und Tüchern verzierte Altäre, Statuen, Gemälde, Blumenketten, Kerzenständer, Öllampen und Gebetsglocken. Alles strahlt in gold, rot, orange, lila, grün.
Der Präsident rollt einen Teppich aus. "Stellen Sie sich lieber hier drauf. Sonst kriegen Sie kalte Füße." Die Gemeindemitglieder haben gelernt, sich mit ihrer Umgebung zu arrangieren. Selbst der Lärm vor der Tür stört Vivekachandran nicht. "Für uns ist es ein Vorteil, dass unser Tempel so nahe am Bahnhof gelegen ist."
Viele der 50 bis 60 Hindus, die seit 20 Jahren regelmäßig die Gottesdienste besuchen, würden mit dem Zug anreisen. Nein, der Präsident hat andere Sorgen als die unschöne Umgebung der 70 Quadratmeter großen Räumlichkeiten. "Vor drei Jahren haben wir die Info bekommen, dass das Gebäude im Zuge der Baumaßnahmen am Bahnhof abgerissen wird", berichtet er.
Die Konsequenz: 270 Familien würden die Möglichkeit zum Gottesdienst verlieren. "Wir sind die einzige hinduistische Gemeinde im Süden. Unsere Mitglieder kommen zum Teil aus Schaffhausen, Tuttlingen und Ravensburg angereist. Der nächstgelegene Hindutempel befindet sich erst wieder in Stuttgart." Zunächst habe er das Gespräch mit dem Oberbürgermeister gesucht, sagt der 42-Jährige.
Die Stadt habe sich auch gewillt gezeigt, bei der Suche nach einem neuen Standort zu helfen. Die Hindugemeinde könnte nahe dem Waldfriedhof ein Grundstück bekommen, hieß es aus dem Rathaus. Um das Bauprojekt zu finanzieren, habe man daraufhin unter den Mitgliedern knapp 150 000 Euro Spendengelder gesammelt. "Ich bin dann nach Indien geflogen und habe von einem Tempelplaner Baupläne anfertigen lassen", fährt Vivekachandran fort.
Enttäuschte Erwartungen
Ende 2016, die Ernüchterung: Der Gemeinderat lehnte das Vorhaben ab. "Es hieß, dass man sich in der Nähe des Friedhofs keinen Tempel vorstellen könne." Dem Rat habe missfallen, dass das Gebäude in den ursprünglichen Planungen von außen als hinduistischer Tempel erkennbar gewesen wäre. "Darauf bestehen wir aber gar nicht", betont Vivekachandran. "Wir sind schon lange mit dem Bauamt im Austausch und stets offen für Korrekturen unserer Pläne gewesen."
Der Präsident verweist auf mehrere Briefe, die das dokumentieren. Als Reaktion auf die Entscheidung des Gemeinderats schrieb er zum Beispiel im Januar 2017: "Wir waren und sind bereit, unseren Bau den Vorstellungen der Gemeinde anzupassen. Wie wir schon mitgeteilt haben, nehmen wir auch gerne eine Halle als Standpunkt an. Wir würden dann nur innen unseren Tempel bauen."
Zwei Jahre sind vergangen seit Vivekachandran diese Zeilen verfasst hat. Aber weder in Singen noch in den Ortschaften der Umgebung konnte seitdem ein geeignetes Gebäude gekauft oder angemietet werden (siehe Erklärstück, unten). Sind die aus Sri Lanka und Südindien stammenden Hindus einfach nicht willkommen im Hegau? Darma Vivekachandran hofft, dass dem nicht so ist.
"Unsere Familien sind alle in der zweiten oder dritten Generation hier in Deutschland. Wir sind keine Sekte, wir sind nicht radikal. Uns geht es darum, unsere Traditionen an unsere Kinder weiterzugeben." Er lädt Interessierte ein, bei den Freitagsgottesdiensten um 19 Uhr vorbeizuschauen. "Wir beantworten gerne Fragen zu unserer Religion." Auch dem Gemeinderat habe er mehrfach angeboten, in eine Sitzung zu kommen und die Hindugemeinde vorzustellen. Seine Briefe an die Fraktionssprecher blieben unbeantwortet.
Wie viel Zeit bleibt noch?
Für Oberbürgermeister Bernd Häusler ist trotzdem weder der Gemeinderat noch die Stadt Schuld daran, dass die Suche nach einem neuem Tempel enttäuschend verlief. "Die Räumlichkeiten in Singen sind einfach begrenzt. Wenn wir etwas Geeignetes finden, unterstützen wir die Hindugemeinde gerne." Der OB betont auch, dass er die Mitglieder als integre Menschen kennengelernt habe: "Das sind sehr sehr nette Leute, die in ihren 20 Jahren in Singen nie Probleme gemacht haben." Er hoffe, dass schnell eine Ausweichmöglichkeit für den bisherigen Tempel gefunden wird.
Klar ist aber auch: Die Zeit drängt. Die Deutsche Bahn – der Besitzer des Gebäudes, in dem die Hindus untergebracht sind – hat eine Voranfrage für einen Neubau auf dem Areal gestellt. Eine Genehmigung wurde bereits erteilt.
Häusler möchte nicht ausschließen, dass der jetzige Tempel-Standort noch in diesem Jahr dem Erdboden gleichgemacht wird. Realistisch erscheint, dass die Bundespolizei in einen Neubau auf dem Gelände einzieht. "Tatsächlich sucht die Bundespolizei in Singen aktuell nach Möglichkeiten, sich örtlich neu zu orientieren", heißt es von Seiten der Behörde. Eine spruchreife Entscheidung gebe es zwar noch nicht, eine Sprecherin weist den SÜDKURIER jedoch darauf hin, dass sich das schon in einigen Wochen ändern könne.
Aussagen wie diese sorgen nicht gerade dafür, dass Darma Vivekachandran besser schlafen kann. "Wir würden mittlerweile auch in eine Scheune ziehen", betont der Präsident, der für jede Hilfestellung dankbar ist. "Wichtig ist, dass wir nicht auf der Straße stehen!"
Warum sich die Suche nach einem neuen Tempel-Standort so schwierig gestaltet
- Die Gemeinde: Die Mitglieder von Singen Vinayagar stammen aus Sri Lanka und Südindien. Sie sind Hindus, Anhänger der mit 1,1 Milliarden Mitgliedern drittgrößten Weltreligion. Hindus glauben, dass die Seele eines Menschen unsterblich ist und nach dem Tod in neuer Form weiterlebt. Die Gesamtheit der guten und schlechten Taten, das Kharma, entscheidet über das Schicksal des Einzelnen. Gegründet wurde die Gemeinde 1999. Zahlreiche Mitglieder wohnen im Hegau und Umgebung. "17 unserer 270 Mitgliedsfamilien leben in Singen", berichtet Gemeinde-Präsident Darma Vivekachandran. Er lebte mit seiner Familie zunächst in Singen und wohnt heute in Radolfzell. Der Priester der Gemeinde, Shanthirakanthan Ramachandran, reist von Freiburg aus an, um die wöchentlichen Gottesdienste zu leiten.
- Das Problem: Von Mitarbeitern der Bundespolizei hat die Gemeinde erfahren, dass die Behörde vorhat, in ein größeres Gebäude umzuziehen – aller Voraussicht nach auf dem Gelände, wo Singen Vinayagar untergebracht ist. Nachforschungen bei der Stadt Singen hätten ergeben, dass diese Möglichkeit tatsächlich im Raum steht. Der Vermieter der Hindugemeinde, die Deutsche Bahn, hat die für einen Neubau nötige Genehmigung bereits erhalten. Falls die Hindugemeinde auszuziehen hat, müsste sie drei Monate vorher informiert werden. Bis jetzt hat die Gemeinde noch kein entsprechender Bescheid erreicht. Die Mitglieder rechnen aber damit, ihren Tempel noch im Verlauf des Jahres aufgeben zu müssen. Sie suchen deshalb ein Grundstück, ein Gebäude oder eine Halle – egal, ob zur Miete oder zum Kauf.
- Die Suche: Ob in Singen, Hilzingen, Gottmadingen, Rielasingen-Worblingen, Radolfzell, Eigeltingen, Stockach oder Tuttlingen: Überall habe man die Anfrage der Hindus in den vergangenen Jahren zunächst wohlwollend zur Kenntnis genommen. "Es ist immer ähnlich: Man wünscht uns viel Glück bei der Suche, kann uns aber nicht weiterhelfen", berichtet Vivekachandran. Nahe kam die Hindugemeinde ihrem Ziel im Engener Ortsteil Welschingen. Mit dem Eigentümer einer ehemaligen Metzgerei war man sich über einen Kaufvertrag einig. Als man die Nutzungsänderung des Gebäudes bei der Stadt Engen beantragte, legte der Gemeinderat sein Veto ein. "Rat will keinen Tempel" titelte der SÜDKURIER im Februar 2018. Zur Begründung des Gremiums hieß es im Artikel: "Die Produktionshalle befinde sich inmitten benachbarter Betriebe, die höhere Schallpegel, Gerüche oder anderswertige Belastungen an ihr Umfeld abgeben. Auch wenn der Antragssteller dies aktuell nicht beklage, könne dies in einigen Jahren der Fall sein. Zum anderen befürchtet der Gemeinderat, dass weitere gewerbefremde Betriebe in das Gebiet kommen könnten." Derweil sind christliche Gemeinden aus der Umgebung auf die Notsituation der Hindus aufmerksam geworden. Christian Bär, Gemeindereferent in Stockach, schreibt in einem Brief an seine Kollegen im Dekanat: "Meiner Wahrnehmung nach fehlt es an einer Art Fürsprecher, der das Anliegen politisch oder formal unterstützt (...) Es wäre eine schöne Geste im Sinne des gegenseitigen Unterstützens der Religionen, wenn wir der Gemeinde behilflich sein könnten."